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Berlin: Bellevue im Kerzenschein

Vaclav Havels letzter Berlin-Besuch als tschechischer Präsident klang gesellig aus: mit einem Dinner bei Johannes Rau – und mit Weggefährten, die längst zu Freunden geworden sind

Eigentlich ist dieser Präsident ja ein Dichter. Da ist es nur legitim, dass er zu Beginn seiner Tischrede im Schloss Bellevue zurückgreift auf seinen ursprünglichen Beruf, den des Dramatikers. Einen Sinn für die kompositorischen Zusammenhänge von Zeit und Raum und ihre innere Bedeutung traue er sich deshalb schon zu und gibt in eleganter Weise dem Abendessen, das der Bundespräsident dem tschechischen Staatspräsidenten gibt, seinen Rang. Es ist der Höhepunkt und der Abschluss eines Besuches, der ihm erlaubt , wie Vaclav Havel sagt, „den Kreis zu schließen“. Seine erste präsidiale Auslandsreise hatte ihn nach Berlin geführt – vor dreizehn Jahren. Nun ist es seine letzte.

Aber vom Kompositorischen lebt ein solcher Abend ohnedies. Er ist ein geselliges Ereignis, aber irgendwie auch ein Staatsakt, er ist auf einen freundschaftlichen Ton gestimmt und transportiert doch Bedeutung. Und was so Tischreden heißt, sind in Wahrheit Erklärungen von hoher Grundsätzlichkeit, die Zeichen geben und Markierungen setzen.

Der Bundespräsident bescheinigt dem „Dissidenten und Dramatiker“, dass Europa heute anders aussähe, „wenn es Vaclav Havel nicht gäbe“. Johannes Rau gibt sich sicher, dass der tschechische Staatspräsident künftig zur „zweiten Generation der Gründungsväter Europas“ gehören wird. Havel seinerseits beschwört dieses Europa als den Versuch, sich von den Jahrtausenden der Kriege, Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten zu trennen, „einschließlich der gewaltsamen Umsiedlung von Menschen“.

Zum geselligen Charakter eines solchen Abendessens gehört es allerdings auch, dass der hohe Ton mit gefälligen Randbemerkungen garniert ist. Rau beklagt ironisch, wie schwer Havel zu ehren ist. Nicht einmal einen Orden oder Preis kann er ihm noch verleihen – er hat schon alle, die man in Deutschland bekommen kann. Der tschechische Präsident erinnert sich an den ersten Besuch in Berlin – „beinahe von einem Tag auf den anderen“ ins Staatsamt katapultiert – und an den damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, der ihm die „ersten Lektionen in Präsidentschaft gab“. Dann allgemeines Gläserklingen, Perlhuhnbrustroulade, ein Streichtrio, das – auch dies, versteht sich, deutsch-tschechisch komponiert – Dvorak, Mendelssohn, Martinu spielt.

Der vielleicht wichtigste Teil der Komposition dieses Abends aber sind die Gäste. Die früheren Botschafter sind da, die am Verhältnis der beiden Staaten gearbeitet haben. Auf der tschechischen Seite exemplifizieren sie mit ihren Biographien die Wende: Jiri Grusa, der Exilant, der der erste Vertreter Prags in der Bundesrepublik war, Frantisek Czeny, der Literat und Journalist, sein Nachfolger, der vorher die Ständige Vertretung in Berlin leitete. Auf der deutschen Seite Hermann Huber, der in Prag amtierte, als die Flüchtlinge in die Botschaft strömten, und Hagen Graf Lambsdorff. Vor allem aber hat Rau Vertreter des Widerstands in der DDR eingeladen: Christian Führer, den Leipziger Pfarrer, Friedrich Schorlemmer aus Wittenberg, Joachim Gauck, Gerd und Ulrike Poppe.

Denn geladen werden sollten Menschen, so Rau, die Havel ein Stück auf seinem Weg begleitet haben. Also sieht man einen strahlenden, lockeren Kurt Biedenkopf, den langjährigen König im sächsischen Nachbarland, und den k.u.k. Aristokraten-Kopf von Fürst Schwarzenberg, der ein paar Jahre lang Havels rechte Hand war.

Die Schauspielerin Angelika Domröse ist dabei, die einmal in Prag gelebt hat, und der Emigrant Tomas Kosta, der längst ein deutscher Verleger ist, und Antje Vollmer, die Streiterin für ein besseres Verhältnis von Deutschen und Tschechen – sie trägt den Orden, mit dem sie Havel am Nachmittag in der tschechischen Botschaft ausgezeichnet hat. Und, natürlich, Repräsentanten der Bundesrepublik: Außenminister Joseph Fischer und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Am Nachmittag hatte Alt-Bundespräsident Richard von Weizsäcker, ebenfalls mit einem Orden ausgezeichnet, Havels Leistung mit einem kühnen Bild umschrieben. Der Stein, den er mit seinem Kampf gegen den Totalitarismus wie Sysiphos den Berg heraufgewälzt habe, „blieb plötzlich oben liegen“.

Am Abend, beim Kerzenlicht-Dinner im Schloss Bellevue, ist das Klima entspannter. Auf dem Dessertteller liegt ein rotes Herz, aus Marzipan. Es ist ein Tribut an Havel. Der hat auch ein hohes Vergnügen am Spielen und fügt seinem Namenszug gerne ein kleines Herz an.

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