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BER-Debakel: Klaus Wowereit: Der hat Nerven

Er kann’s nicht! Er will auch gar nicht! Mal hämisch, mal empört wird Klaus Wowereit für das Flughafendesaster verantwortlich gemacht. Das ist die Außensicht. Doch es gibt auch eine andere: die von innen, wo der Respekt vor einem konzentrierten Krisenmanager wächst.

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Klaus Wowereit hat natürlich vorher gewusst, dass das passieren würde. Er sitzt eingerahmt von Oberschülern in einem Raum im Besucherzentrum an der Bernauer Straße, Berlin-Mitte, ehemaliges Mauergebiet, ein Raum bis unter die Decke voll mit Freiheit, und soll nun über seine eigene reden. Die Schüler wollen das, denn sie sind mit dem Regierenden Bürgermeister zum Gedenken an den Mauertoten Peter Fechter hierhergekommen. Wowereit und die Freiheit. Ausgerechnet jetzt.

Es ist Freitag, der 17. August, der Tag nach der Sitzung des Aufsichtsrats der Flughafengesellschaft, die fünfte in diesem Jahr. Sie ist nicht gut ausgegangen. Für das Projekt nicht. Aber auch für ihn, Wowereit selbst, nicht.

Es gibt Gründe zu glauben, er sei im Moment so unfrei wie selten zuvor. Ein Flughafen hat sich an ihn gekettet.

Als Peter Fechter beim Fluchtversuch aus Ost-Berlin angeschossen wurde und im Todesstreifen nahe des Checkpoint Charlie verblutete, war Klaus Wowereit neun Jahre alt. Seine Jugend stand unter dem Eindruck dieses Moments. Das will der Regierende Bürgermeister die Schüler hier spüren lassen. Er nimmt sich Zeit. Es geht darum, was Freiheit wert ist. Er verschränkt die Arme vor der Brust. Noch Fragen?, sagt sein Blick aus verquollenen Augen. Arme schnellen hoch.

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Was er machen würde, fragt eine Schülerin, wenn er jetzt nicht Regierender Bürgermeister sein müsste.

Eine harmlose Frage, aber an diesem Tag klingt sie wie eine Rücktrittsforderung. In den hinteren Stuhlreihen flüstert jemand: „Flughafen.“

Der BER, sprich Ber. Problem-BER, Puuh, der BER, Lärmschutzärger, Entrauchungsärger, Personalärger, Zuständigkeitsärger, der Flughafen, der nicht fertig wird. Die Aufsichtsratssitzung vom Donnerstag ergab keinen neuen Eröffnungstermin, obwohl kaum dementiert wird, dass der derzeit avisierte – der dritte – am 17. März nicht zu halten ist. Berlin muss etwa eine halbe Milliarde Euro mehr für den Flughafen bezahlen.

Der Blick des Regierenden wandert über die Schülergruppe. Dann sagt er, ohne konkret zu werden, da gebe es vieles, was er lieber täte.

Wowereit vertritt nur einen von drei Eignern der Flughafengesellschaft: das Land Berlin. Matthias Platzeck sitzt für Brandenburg im selben Aufsichtsrat, dritter Eigner ist der Bund, vertreten durch das Verkehrsministerium. In der Krise angestarrt wird aber vor allem Wowereit, der Aufsichtsratsvorsitzende und der Mann, der im offenen Hemd von der Krisensitzung berichtet, als wolle er gleich ins Wochenende. Das kommt nicht gut an bei den Bürgern, deren Steuergeld da draußen in Schönefeld verbuddelt wird. Man gibt ihm die Schuld. Noch nie stand er in der öffentlichen Wahrnehmung so schlecht da wie in dieser Krise.

Diese Rolle als Buhmann der Nation ist neu und ungewohnt für Wowereit. Und sie hat offenbar jene Eigenschaften an ihm verstärkt, die ihn seit eh und je begleiten: Misstrauen und Vorsicht. Er gibt nur noch das Nötigste an Informationen preis. Ein verbindlicher Eröffnungstermin? Eine belastbare Kostenschätzung? Sollen sich doch die anderen den Mund verbrennen. Die Brandenburger oder die Vertreter des Bundes. Er nicht.

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Wozu an der BER-Front kämpfen? Damit kann er nichts mehr gewinnen

Wowereit weiß, dass ihm dieses Schweigen als Maulfaulheit, als Sturheit, als Flucht vor der Öffentlichkeit angerechnet wird. Das sei ihm, so hört man, auch nicht angenehm. Aber er denke momentan nicht an sich – sondern nur auf das Ergebnis hin: Fliegen vom neuen Flughafen.

Und das ist die andere Sicht auf die Form und das Format des Berliner Regierenden. Die von innen. Einer von denen, die am Donnerstag mehr als acht Stunden lang bei der Aufsichtsratssitzung zugegen waren, sagt, Wowereit mache das „klasse“. Von wegen Gewurschtel, von wegen Desinteresse oder Lustlosigkeit. Im Gegenteil. Sehr konzentriert, sachlich und nervenstark habe Wowereit die Marathonsitzung geleitet. Er war der Chef, eindeutig. Das bestätigt auch ein anderer Teilnehmer.

Sind das die letzten Getreuen, die so etwas sagen? Die Apologeten eines zerbröselnden Machtsystems um den Regierenden Bürgermeister? Es ist wohl eher so, dass es verschiedene Perspektiven auf die Geschehnisse gibt, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Die einen denken: Der gibt sich keine Mühe, was man daran erkennt, dass er nicht um seinen Ruf kämpft. Die anderen sagen: Mit diesem Flughafen kann man nichts mehr gewinnen, auch keinen Kampf um einen Ruf. Vor dessen Eröffnung – wann auch immer – werde noch einiges auf Wowereit einprasseln, das ist nicht zu verhindern. Wozu an der Front kämpfen? Da solle er seine Energie sinnvoller nutzen.

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Etwa im Senat, wo er auch jetzt und trotz allem keinen Zweifel daran aufkommen lässt, dass er dessen Chef ist. Selbst der Innensenator und CDU-Landeschef Frank Henkel bekam das kürzlich zu spüren, als er in das Büro von Wowereit zitiert wurde, dem eine Senatsvorlage aus den Reihen der Union nicht passte. Und auch der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum entkam in Sachen Liegenschaftspolitik nur knapp einem Zornesausbruch Wowereits.

Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh weiß solche Zeichen durchaus zu schätzen. Das holprige Gegen- und Nebeneinander von sozialdemokratischen Senatsmitgliedern und Regierungsfraktion, das bis zum Frühsommer typisch war, ist in diesen Zeiten der Not einer professionalisierten politischen Abstimmung gewichen, in die auch der neue SPD-Landeschef Jan Stöß einbezogen ist. Die Genossen haben fürsorglich einen engen Schutzkordon um ihren Wowereit gezogen. „Wir machen uns Sorgen um ihn“, sagt eine einflussreiche Sozialdemokratin. „Die Sache mit dem Flughafen, das nimmt ihn schon mit.“

Verkriechen wird sich Wowereit trotzdem nicht können. Die parlamentarische Sommerpause endet an diesem Sonntag, es scheint nicht ausgeschlossen, dass er gleich in der ersten Plenarsitzung des Abgeordnetenhauses am 30. August eine Regierungserklärung zum Flughafen abgibt. Der nächste Schritt ist dann die Aufsichtsratsitzung am 14. September. Dann müssen endlich ein tragfähiges Finanzierungsmodell und der tatsächliche Eröffnungstermin verkündet werden. Manche sagen: Sonst...!

Derzeit sind es nur die Kleinen, die versuchen, Klaus Wowereit zuzusetzen – auch im Bund. Grüne und FDP sind die Wortführer, die Klaus Wowereit am Ende sehen, seinen Rücktritt fordern. In der CDU sieht man das anders. Nicht nur, weil die in Berlin mit den Sozialdemokraten in einer Koalition stecken. Natürlich wissen sie auch, dass sie die Verantwortung für das BER-Desaster nicht allein Wowereit zuschieben können, mit Staatssekretär Rainer Bomba sitzt immerhin auch ein CDU-Mitglied im Aufsichtsrat nahe an Wowereits Seite.

Platzeck stand in der öffentlichen Wahrnehmung lange als Gewinner da

Der dritte große Name in der Runde der Verantwortlichen ist der des brandenburgischen Ministerpräsidenten. Und Matthias Platzeck kommt ganz anders durch die Krisenzeit als Wowereit.

Es ist Samstagvormittag im Speisesaal der Lenné-Gesamtschule in Potsdam, da hält der Parteivorsitzende und Ministerpräsident eine Rede auf dem Unterbezirksparteitag der Potsdamer Sozialdemokraten. Aufgeräumt, locker spricht er lange über das boomende Potsdam, die demografische Entwicklung im Lande, die Energiewende. Erst am Schluss handelte er kurz den Flughafen ab: Der sei ja weitgehend fertig, entgegen der medialen Wahrnehmung „keine Ruine“, sondern stehe „komplett“ da, und trotz der Probleme mit dem komplexen Brandschutz- und Sicherheitssystem, dem kompliziertesten, das je in einen Flughafen gebaut wurde, sehe er „sehr, sehr schön aus“. Und dann lädt Matthias Platzeck die Genossen ein, schon jetzt einmal vorbeizufahren, sich diesen schönen Flughafen anzuschauen. Als er fertig ist, gibt es keine Nachfragen, keinen, der aufsteht, nachbohrt oder gar kritisiert.

Platzeck ist im Aufsichtsrat Wowereits Stellvertreter. Und er versteht es, sich hinter dessen Rücken kleinzumachen.

Die Brandenburger nehmen ihm das nicht übel. Wenn er herumreist in der Lausitz, in der Uckermark, ist, was in Berlin tagtäglich aufs Neue aufregt, kaum ein Thema für die Leute. Außerhalb des Berliner Autobahnringes, sagt einer, der Platzeck begleitet, „wird er fast nie auf den Flughafen angesprochen“. Beim RBB-Landessender sollen sie gemessen haben, dass in den märkischen Weiten bei Beiträgen zum BER-Desaster die Einschaltquoten sinken.

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In Potsdam, in der Staatskanzlei, in der Zentrale der SPD, wo schon die Landtagswahl 2014 vorbereitet wird, sind sie nicht unglücklich darüber, dass es so läuft. Dass der aufkommende Ärger vor allem den Berliner Wowereit trifft. Und so geschah bei denen, die für Brandenburg im Aufsichtsrat sitzen, in diesen Wochen und Monaten, in denen eine Hiobsbotschaft die nächste ablöste, etwas Merkwürdiges. Je schlimmer alles wurde, so formuliert es einer, der mit am Tisch sitzt, desto mehr sei der „Respekt, die Hochachtung vor Wowereit“ gewachsen. Andere reden von Tagen des Elends, die verbänden. Wowereit wird gelobt für sein Krisenmanagement, für Konzentriertheit, für Informiertheit, für Geduldigkeit, was neu ist. Er gehöre auch nicht zu denen, „die sich neuerdings häufig melden, um ins Protokoll zu kommen“.

Matthias Platzeck selbst würde sowieso kein kritisches Wort über Klaus Wowereit verlieren. Die beiden kennen sich seit 2001, als Wowereit, der gerade Eberhard Diepgen ablöste, zum Antrittsbesuch nach Potsdam kam. Da war Platzeck noch Oberbürgermeister, wurde erst ein Jahr später Ministerpräsident. Beide, gleich alt, verstanden sich, mehr nicht. Zu grundverschieden sind die Charaktere. Aber das Verhältnis trägt. Das half jetzt bei der Einigung über den Schallschutz für zehntausende Anwohner des Flughafens. Der Streit war die bisher wohl größte Belastungsprobe in ihrem Verhältnis. Für Wowereit wegen der Kosten, die auch Berlin trägt. Für Platzeck, weil es um seine Brandenburger und um seine Glaubwürdigkeit ging. Um so höher rechnet er Wowereit an, dass der über seinen Schatten sprang und inoffiziell mithalf, den Bund zum Einlenken zu bringen, heißt es in Potsdam. So etwas vergisst Matthias Platzeck nicht.

In der öffentlichen Wahrnehmung dagegen stand Platzeck bei der Verkündung der Verhandlungsergebnisse als Gewinner da und Wowereit als der große Verlierer. Das auszuhalten, ist nicht wenig. Es setzt Kampfgeist voraus. Noch so eine Eigenschaft Wowereits, die erst in Krisenzeiten trägt. Wie hatte er in der Gedenkstätte zu den Schülern gesagt: Probleme beflügeln mich. Was für eine Metapher.

Mitarbeit Christian Tretbar

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