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BER-Desaster: Noch lange nicht die letzte Dröhnung

Der Flughafen Tegel bleibt bis auf Weiteres in Betrieb – wie lebt es sich damit? Eine Erkundung von Reinickendorf über Wedding nach Pankow.

Natürlich, dass Schönefeld jetzt wieder einmal nicht rechtzeitig fertig wird, sei blamabel, sagt Claudia Weber, 49 Jahre, Chefin vom „Imbiss am Kutschi“, aber dass Tegel deshalb länger in Betrieb sei, umso besser. „Die Flugzeuge über mir – das hat immer etwas von Fernweh.“

Der Reinickendorfer Kurt-Schumacher-Platz am Tag nach dem erneuten BER-Desaster: eine regennasse Kreuzung, die Wurst für 1,30 Euro, die Menschen unter Regenschirmen, harte Gesichter. Wie fühlt es sich an, das Leben in der Einflugschneise, einmal mehr zum Warten auf Ruhe verdammt? Oder froh über den kurzen Weg, die schnellste Möglichkeit, die Stadt zu verlassen?

Vor zehn Jahren sei sie extra an den Flughafen gezogen, sagt Claudia Weber, rotbraune Locken, roter Pullover zwischen Currywurst und Buletten, weil der Weg zur Arbeit dadurch so schön kurz ist. Ein Mann mit schütterem Haar schiebt Bierfässer in eine Kneipe, sein Wagen parkt in zweiter Reihe, ein Verkehrshindernis, das hupend und schimpfend umfahren wird. Eine geradezu dezente Lärmquelle, gemessen an der Lufthansa-Maschine, die jetzt über die Kreuzung dröhnt.

Wer in solchen Momenten den Kopf hebt, ist nicht von hier, sagt Claudia Weber. Bestellt wird in den Flugpausen, gegessen wird, wenn die Maschinen lärmen. „So versteht man sich ganz gut“, sagt sie, und der Rentner mit dem Fahrrad, der schon gegen zehn Uhr Wurst essen kann, nickt zustimmend. In der „Schallschutzzone 1“ wohne er, die Fenster sind isoliert, die Ohren an den Lärm gewöhnt. „Was hier wirklich stört, ist der Verkehr“, sagt er, Fahrradschloss im Fahrradkorb, beige Jacke, braune Mütze. Andere haben durchaus ihre Probleme mit den Flugzeugen. Was für den Rentner normal ist, soll bei Thomas Kassner, 68 Jahre, zu einem Knalltrauma geführt haben, das linke Ohr taub, das rechte nur noch 50 Prozent Hörkraft. Zwei Jahre sei es her, jetzt will er klagen, einen Anwalt habe er schon, sagt er.

Mit einer großen Empörung im Viertel über die verschobene Schließung Tegels rechnet Reinickendorfs Bezirksbürgermeister Frank Balzer (CDU) indes nicht, „die Leidensfähigkeit der Anwohner ist relativ groß“, sagt er. Der Vorteil an den Problemen in Schönefeld ist für ihn, dass die Leerstandskosten in Tegel am Ende denkbar gering sein dürften. „Wir planen weiter für die Zeit nach dem Flughafenbetrieb, der Übergang wird dann wohl fließend sein“, hofft er.

Laute Flugzeuge, niedrige Mieten

Bis es soweit ist, dürften noch einige Maschinen über den Kutschi donnern. Gut gelaunt winken hier die Trinker hinter einer Dönerbude. Ein Pulk BVGler steht daneben, trinkt Kaffee und wartet auf die nächste Schicht, weil der Kutschi kein Platz zum Verweilen ist, sondern vor allem eine Kreuzung, mit allem, was Knotenpunkte so ausmacht: Haltestellen, Friseure, Blumenläden, Imbissbuden. Wie aber sieht es aus in den Wohngebieten in der Einflugschneise, von Reinickendorf über Wedding bis Pankow?

Die Koloniestraße in Wedding, links die Schrebergärten, rechts die Fußballfelder. Größere Wohnblöcke und kleine Häuser mit Vorgärten, Kopfsteinpflaster, Mittelklasseautos. „Man gewöhnt sich an alles“, sagt der bärtige Mann auf dem Weg in sein Haus, der Vorgarten noch voller Weihnachtsschmuck. „Im Sommer auf der Terrasse ist es nicht so schön, im Haus haben wir Schallschutzfenster“, sagt der Mann, dessen Nachbar in Tegel arbeitet und sich über die kurzen Wege freut. Er habe sich schon immer gefragt, warum Berlin nicht zwei Flughäfen haben soll.

Weiter nach Pankow, in den Bezirk, dessen Bürgermeister Matthias Köhne (SPD) findet, dass es „nichts hilft, sich darüber aufzuregen. Übrigens ebenso wenig, wie ein Rücktritt von Wowereit helfen würde“. Hinein in den Bürgerpark, zwölf Hektar Grünes mit Tiergehege, wo jetzt Ana Bivour mit ihrem fünfjährigen Linus steht, der emsig Brot in Ziegenmäuler stopft. Man komme extra aus Prenzlauer Berg hierher, sagt sie und erzählt von den Hobbys ihres Sohnes: im Wesentlichen Ziegen füttern und Flugzeuge gucken, auch wenn die durch die dichte Wolkendecke nicht zu sehen, nur zu hören sind. Für Kinder ist das ein toller Ort, sagt Bivour, in Prenzlauer Berg gebe es keinen besseren.

„Wer sich über laute Flugzeuge ärgert, freut sich dafür vielleicht über niedrige Mieten“, sagt Stefan Greitzke, der seine jüngste Tochter im Kinderwagen durch den Park schiebt. Man müsse sich nur einmal umschauen im Viertel, sagt er, prächtige Häuser mit Stuck in bester Lage. „Solange hier Flugzeuge den Marktwert dämpfen, bleiben die Mieten bezahlbar“, vermutet er. Auf den Beeten hinter dem Eingangstor liegen noch Tannenzweige, aus der Voliere zwitschern die Vögel – ein Idyll. Dann landet ein Flugzeug, die Vögel machen kurz Pause. Und zwitschern weiter.

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