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Es sieht so aus, als könnte auch Wowereit nicht mit einer Tradition brechen, die sozialdemokratische Stadtoberhäupter in Berlin nach Willy Brandt pflegten: Sie traten vorzeitig zurück.

© dpa

Ein kleiner Rücktritt: Ist Klaus Wowereit noch zu halten?

Niemand kann ihn absetzen als Regierungschef, nur er selbst die Konsequenz ziehen. Am Montag traf er eine erste Entscheidung.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Krisentreffen, Vier-Augen-Gespräche, Telefonkonferenzen – den ganzen Tag ging das so. Gleich Montag früh saß der Berliner SPD-Chef Jan Stöß beim Genossen Fraktionschef Raed Saleh auf der weißen Couch, die in dessen Büro im Berliner Abgeordnetenhaus steht. Sie brüteten über der Frage: Wie soll es weitergehen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit? Mit jenem Aufsichtsratschef des Großflughafens in Schönefeld, dem die Probleme über den Kopf gewachsen sind. Das spärliche Kommuniqué der Sitzung, das Saleh formulierte, war reif fürs Kabarett: „Die Informationspolitik der Flughafen-Geschäftsführung an den Aufsichtsrat wirkt sehr unprofessionell und deshalb werden wir da zu einer Neubewertung kommen müssen.“ Der Airport der Hauptstadt, nur ein Problem der Kommunikation?

Nachmittags traf sich in der SPD-Parteizentrale in Wedding der Geschäftsführende Landesvorstand, um die Katastrophe für sich zu bewerten. Vorher schon tagten im Roten Rathaus die Gesellschafter des Flughafens; Abgesandte des Bundes sowie der Länder Berlin und Brandenburg. Mit dem Ergebnis, dass Wowereit den Vorsitz im Aufsichtsrat abgibt, aber dem Gremium erhalten bleibt. Der brandenburgische Ministerpräsidenten Matthias Platzeck soll es nun besser machen. Wowereit verkündete dies vor seinem Amtszimmer im Rathaus sichtlich angespannt. Die Hände, gefaltet, zitterten.

Der Landes- und Fraktionsvorstand der CDU, die in Berlin als Juniorpartner mitregiert, schaltete sich derweil am Telefon zusammen, auch die christdemokratischen Senatsmitglieder wurden einbezogen und abends traf sich der Koalitionsausschuss der rot-schwarzen Landesregierung. Nicht, wie ursprünglich geplant, in Wowereits Büro, sondern auf Salehs Sofa wollten sie noch bis in die Nacht debattieren. So rundete sich der Tag.

Wowereit wurde die Nachricht des Flughafen-Technikchefs Horst Amann, dass der Eröffnungstermin am 27. Oktober 2013 nicht zu halten sei, am Freitag per Boten zugestellt. An seinem letzten Urlaubstag. Aber dem Innensenator und CDU-Landeschef Frank Henkel gab er die Information nicht weiter. Der wuchtige Christdemokrat beschwerte sich, zuerst telefonisch bei Wowereit, dann öffentlich. Präziser gesagt, Henkel explodierte, weil er als Aufsichtsratsmitglied erst am Sonntag aus der Zeitung von dem „Erdbeben“ erfuhr. Er sei stinksauer, fassungslos, schimpfte der CDU-Mann. Es war ihm kein Trost, dass die SPD-Führung um Stöß und Saleh auch nicht von Wowereit vorab in Kenntnis gesetzt worden war. Am Montag entschuldigte sich der Missetäter. „Es tut mir leid!“

Aber Entschuldigungen helfen nicht mehr. Es gibt jetzt so viele, die auf den Regierenden Bürgermeister schlecht zu sprechen sind. Jürgen Trittin brachte es auf den Punkt. „Das war’s jetzt, Klaus“, twitterte der Spitzenkandidat der Grünen für die Bundestagswahl Sonntagnacht. „Unter Wowereits wurstiger Untätigkeit leiden zehntausende Pankower, Spandauer und Reinickendorfer.“ Also jene, die im Einflugbereich des Flughafens Tegel wohnen, der auf unbestimmte Zeit geöffnet bleibt. Die übrigen Berliner leiden auch – unter einem Regierungschef, der es sich selbst nicht mehr zutraut, den Neubau des Flughafens als Chef des Aufsichtsrats zu vollenden.

Auch in bösen Mails an die Senatskanzlei entlädt sich der Zorn enttäuschter Bürger. „Die Wahrheit ist, dass Sie eine Pfeife sind“, schrieb einer von ihnen. Ein Bauingenieur aus Charlottenburg, der weder den Lärm der Flugzeuge in Tegel, noch der in Schönefeld mitbekommt. Für Wowereit werde es allerhöchste Zeit, so forderte der Beschwerdeführer, von allen Ämtern zurückzutreten. Der Imageverlust für Berlin, die Vergeudung öffentlicher Gelder sei offenbar kein Problem für den Regierungschef. „Wir als Familie haben traditionell seit Generationen der SPD die Stange gehalten, aktiv und als Wähler, mit Ihnen ist das nicht mehr möglich.“

Siegmar Gabriel stärkt Wowereit den Rücken

Wer weiß, ob Wowereit diesen Brief je zu Gesicht bekommen wird. Sein Arbeitstag begann am Montag im Roten Rathaus mit der Besprechung der wichtigen Wochentermine. Die Mitarbeiter erlebten mal wieder einen Chef, der sich in aller Seelenruhe auf die nächsten Tage vorbereitete. Auch soweit es den Flughafen betraf. Ein Mann mit Nerven aus Titan und immer noch mit der Attitüde des weisen Staatsmannes, der auch Journalisten gern so anschaut, als seien sie nur Bewohner eines aufgeregt gackernden Hühnerstalls. Wie es wirklich um ihn steht, was Wowereit in seinem Innersten bewegt, gibt er selten preis.

Allerdings ahnen jene Genossen, die ihn besser kennen, dass sich Wowereit seit Monaten ernsthafte Gedanken macht, die in eine Rücktrittserklärung vom Amt des Regierenden Bürgermeisters münden können. Nicht müssen, aber können. Offiziell stützen die Parteifreunde den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden, den die bundesweite Parteilinke nach der mäßig erfolgreichen Abgeordnetenhauswahl im September 2011 ein letztes Mal als möglichen Kanzlerkandidaten hochlobte. Ein gutes Jahr ist das erst her. Bis dahin galt Wowereit als Hoffnungsträger einer sich erneuernden, großstädtisch geprägten Sozialdemokratie, er war eine Art Popstar und bis zur spektakulären Verschiebung der Flughafeneröffnung im Mai 2012 der beliebteste Politiker Berlins. Kein anderer Regierender Bürgermeister war so lange ohne Unterbrechung im Amt. Nicht einmal der CDU-Mann Eberhard Diepgen, der in den Wendejahren 1989/90 eine von den Wählern verordnete Zwangspause einlegen musste.

Trotz alledem: Es sieht so aus, als könnte auch Wowereit nicht mit einer Tradition brechen, die sozialdemokratische Stadtoberhäupter in Berlin nach Willy Brandt pflegten: Sie traten vorzeitig zurück. Heinrich Albertz tat es, Klaus Schütz und Dietrich Stobbe. Oder sie verloren, wie Walter Momper, im laufenden Betrieb den Koalitionspartner und wurden von den Wählern abgestraft. Selbst Hans-Jochen Vogel, der 1981 den West-Berliner Genossen aus der Patsche helfen wollte, erlitt dieses Schicksal.

Und jetzt: Klaus Wowereit. Rücktritt und Neuwahlen?

Der SPD-Chef Sigmar Gabriel stärkte dem Parteifreund am Montag, zwei Wochen vor der Landtagswahl in Niedersachsen, im Willy-Brandt-Haus demonstrativ den Rücken. „Warum soll er zurücktreten? Ich wüsste keinen Grund.“ Die Vorwürfe gegen den Regierenden Bürgermeister seien unberechtigt. Doch hinter den Kulissen der Bundespartei sprechen Genossen von einer „sehr ernsten Lage“. Es werde eng für Wowereit. Für die Partei, die schon genug Probleme hat, kommen die Meldungen aus der Hauptstadt zur Unzeit. Dass der angeschlagene Berliner Regierungschef auf solche taktischen Überlegungen wenig Rücksicht nehmen wird, ist führenden Sozialdemokraten im Bund dennoch klar, dafür kennen sie ihn zu gut. Es herrscht Ratlosigkeit.

Die Berliner SPD mit ihrer neuen, jungen und linken Führung steht jetzt vor einer ersten großen Bewährungsprobe. Solange es zu Wowereit keine personelle Alternative gibt, stehen Stöß und Saleh, die Landes- und Fraktionschefs, auch intern loyal zum ehemaligen Aushängeschild der hauptstädtischen SPD, das nun ihr größtes Problem geworden ist. In der Partei galt bisher die Parole: Wowereit soll, bitte, bitte, mindestens bis zur Eröffnung des Großflughafens bleiben. Jetzt gibt es dafür keinen Termin mehr – also, was tun? Der Beratungsbedarf ist groß. Am heutigen Dienstag kommt nicht nur die SPD-, sondern auch die CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus zu einer Sondersitzung zusammen und am frühen Vormittag wird der Senat die Lage erörtern.

Grüne, Linke und Piraten werden einen Misstrauensantrag gegen Wowereit einbringen

Am Donnerstag wird es dann zum öffentlichkeitswirksamen Showdown kommen, den die Opposition organisiert. Grüne, Linke und Piraten haben eine Sondersitzung des Landesparlaments beantragt und werden einen Misstrauensantrag gegen den Regierenden Bürgermeister einbringen. Darüber kann erst, wie gesetzlich vorgeschrieben, 48 Stunden später, demnach am Sonnabend, abgestimmt werden. Ein demonstrativer Akt, der nicht kriegsentscheidend ist. Denn die SPD/CDU-Koalition hat sich am Montag schnell darauf geeinigt, den Regierenden nicht fallen zu lassen.

Solange sich daran nichts ändert, liegt das Heft des Handelns bei Wowereit. „Er ist jetzt selbst gefragt, mit Blick auf das Wohl der Stadt und die Staatsräson muss der Regierende Bürgermeister Verantwortung übernehmen“, sagte der SPD-Kreischef von Steglitz-Zehlendorf, Michael Arndt. Nein, das sei überhaupt kein verstecktes Rücktrittsansinnen, ganz im Gegenteil, versichert er. „Aber Wowereit muss schnell Transparenz und Klarheit schaffen.“ Arndt erinnerte daran, dass die Berliner SPD-Mehrheit mit dem Führungskampf im letzten Jahr die Grundlagen für den Niedergang der Wowereit-Ära legte. „Ich bin sehr befremdet, wie die Genossen in anderen Kreisverbänden agierten und immer noch agieren.“

Ein anderer, alter Vertrauter, der anonym bleiben will, mutmaßte: „Es gibt keine Gründe für ihn hinzuschmeißen.“ Es sei eine bittere Zeit für Wowereit, aber er habe ja nachweislich starke Nerven, auch wenn ihn das Flughafen-Desaster mit „voller Wucht“ treffe. Außerdem geht der sturmerprobte Genosse davon aus, dass selbst die Oppositionsparteien in Berlin derzeit kein echtes Interesse an Neuwahlen haben. In Kreisen der CDU wurde das am Montag bestätigt. „Wir stehen zum Koalitionsvertrag und wollen noch viel tun für die Stadt“, hieß es.

Hinter diesen braven Sätzen steht die nüchterne Erkenntnis, dass die Union selbst bei einem Wahlsieg kaum Bündnisoptionen hätte. Schwarz-Grün in Berlin vor der Bundestagswahl wird in Parteikreisen als realitätsfremd erachtet. Eher drohe Rot-Rot-Grün. Wobei die SPD damit rechnen müsste, bei Neuwahlen noch hinter den Grünen zurückzubleiben. Ein Wahlergebnis unter 20 Prozent rückte angesichts des Flughafen-Dramas in greifbare Nähe. Erst recht dann, wenn die vorzeitige Auflösung des Parlaments durch ein Volksbegehren erzwungen würde.

Dies alles könnte die Sozialdemokraten dazu verleiten, einen Führungswechsel ohne Neuwahl zu wagen. Aber sollte jemand so tollkühn sein und sich im Abgeordnetenhaus aus dem Stand heraus einer geheimen Wahl zum neuen Regierungschef stellen? Das könne, so befürchtet ein Genosse, „nur ein Rohrkrepierer werden“. Selbst dann, wenn es der Parteispitze gelingen sollte, kurzfristig einen konsensfähigen Kandidaten zu präsentieren. Gebetsmühlenartig werden zwei Namen genannt: Arbeitssenatorin Dilek Kolat oder Fraktionschef Saleh. Der frühere SPD-Landeschef Michael Müller ist endgültig aus dem Rennen.

Vorerst geht es aber noch darum, den Damm nicht brechen zu lassen. Angesichts des öffentlichen Drucks auf Wowereit, der sich nun aufbaut, ist das ein schwieriges Projekt. Denn nicht nur die Grünen forderten gestern erstmals den Rücktritt des Regierungschefs. Auch die Linken, die den SPD-Mann lange als Regierungspartner begleiteten und in der Opposition bisher recht behutsam mit ihm umgingen, haben die Nase voll. Der Linken-Bundestagsabgeordnete Stefan Liebich geißelte das „Unvermögen von Wowereit und Henkel“ und hält eine „künftige Landesregierung ohne SPD und CDU“ für ein lohnenswertes Ziel.

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