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Berlin: Berlin 2000: Provokationen am Brandenburger Tor

Der Schock war enorm: Mit schwarz-weiß-roten Fahnen und dem Ruf "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" zogen am 29. Januar 600 Neonazis zum Bauplatz des Holocaust-Mahnmals und dann durch das Brandenburger Tor.

Von Frank Jansen

Der Schock war enorm: Mit schwarz-weiß-roten Fahnen und dem Ruf "Ruhm und Ehre der Waffen-SS" zogen am 29. Januar 600 Neonazis zum Bauplatz des Holocaust-Mahnmals und dann durch das Brandenburger Tor. Als sei die SA wieder auferstanden. Gegen den Marsch demonstrierte nur ein Häuflein junger Linker, doch die Fernsehbilder riefen weit über Berlin hinaus Empörung hervor.

Innensenator Eckart Werthebach kritisierte, dass der Bundestag im Juli 1999 den Verzicht auf eine Bannmeile nach Bonner Vorbild beschlossen hatte. Stattdessen ist das Areal rund um den Reichstag "befriedet". Hier darf demonstriert werden - aber nur, wenn das Parlament ungestört tagen kann. Werthebach fordert, nun auch das Brandenburger Tor, das Holocaust-Mahnmal und die Neue Wache zum befriedeten Bezirk zu erklären. Bei SPD und Bündnisgrünen werden Bedenken laut.

Die rechte Szene und die mit ihr liierte NPD animierte die Aufregung zu weiteren Provokationen. Am 12. März stiefelten 500 Neonazis wieder zum Brandenburger Tor, durften aber nicht hindurch. Außerdem hagelte es Proteste: Mehrere hundert Linke "begleiteten" den Marsch der Rechten. Nur mit Mühe konnte die Polizei Schlägereien verhindern. Gleichzeitig versammelten sich auf dem Pariser Platz 12 000 Menschen zu einer Kundgebung gegen Rechts. Tags darauf forderte Innensenator Werthebach erneut die Verschärfung des Versammlungsrechts. Die Richter des Verwaltungsgerichts, die das von der Polizei ausgesprochene Verbot der rechten Demonstration aufgehoben hatten, verwahrten sich gegen Kritik.

Am 1. Mai kamen erneut Hunderte Neonazis nach Berlin. Diesmal, um mit den hiesigen "Kameraden" an einer Kundgebung der NPD teilzunehmen. Die insgesamt 1000 Rechtsextremisten trafen sich in Hellersdorf. Mehrere Neonazi-Anführer hielten Reden. Die Polizei hielt linke Gegendemonstranten weitgehend fern. Abends prallten Linke und Polizei in Kreuzberg aufeinander.

Ein halbes Jahr später, am 4. November, liefen 1000 Neonazis durch Mitte, um gegen ein Verbot der NPD zu demonstrieren. Die Partei hatte sich jedoch von dem Marsch distanziert, den der ehemalige Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Steffen Hupka, und der Hamburger Neonazi Thomas Wulff anführten. Linke Gruppen versuchten mehrmals, den Zug der Rechten zu blockieren, wurden aber von der Polizei abgedrängt.

Beim fünften Aufmarsch konnten sich die Linken durchsetzen. Als sie Barrikaden bauten und mit Steinen, Flaschen und Eiern warfen, löste die Polizei am 25. November den Zug von 1500 NPD-Anhängern am Bahnhof Alexanderplatz auf. Die protestierenden Neonazis wurden gewaltsam in Sonderzüge der S-Bahn getrieben.

Im Streit um die genannten neuen befriedeten Bezirke erhielt Innensenator Werthebach am Tag vor dem letzten NPD-Aufmarsch Unterstützung von Bundesinnenminister Otto Schily und seinen Länderkollegen. Letztere beauftragten Schily, einen Entwurf zur Änderung des Versammlungsrechts vorzubereiten.

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