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Kronprinz Wilhelm auf einem Pferd im Gespräch mit einem Kindermädchen, umgeben von einer Menschenmenge.

© Berliner Illustrirte Zeitung

Berlin-Bilder aus der Kaiserzeit: Smalltalk mit dem Kronprinzen

#Aufschrei im Tiergarten: Ein edler Reiter durchquert Berlins Zentralgehölz. Kronprinz Wilhelm gibt sich volksnah - und scherzt mit einem Kindermädchen. Die Zuschauer sind entzückt, und die Berliner Illustrirte Zeitung reportiert am 29. März 1914 eine "allerliebste Episode". Ein Berliner Zeitbild kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges.

Pferdehufe trommeln an diesem Vorfrühlingstag durch den Tiergarten, Spaziergänger bleiben stehen, wenden die Köpfe und blinzeln nach den heranpreschenden Reitern ins Sonnenlicht. Einer sprengt voran "in der prächtigen schwarzen Uniform der Danziger Husaren", notiert der anonyme Autor der "Berliner Illustrirten Zeitung" vom 29. März 1914.

"Fröhlich blitzen die blanken Augen in dem von der Sonne männlich braun gebrannten Gesicht, und Lebensfreude und Jugendkraft atmet die ganze Erscheinung. Bald ist er erkannt: 'Der Kronprinz, der Kronprinz' geht es freudig von Mund zu Mund." In der Nähe des Hippodroms zieht Prinz Wilhelm die Zügel an, umringt von einer Zuschauermenge. Mit dem Zeitungsmann gehen bei der Beschreibung der Szenerie derweil die Pferde durch: "Freundlich lächelnd überfliegt das Auge seiner Kaiserlichen Hoheit die erwartungsvolle Menge. Plötzlich reitet der Kronprinz auf ein einfaches Kindermädchen zu, das bescheiden mit seinem Schützling in der vordersten Reihe steht. Respektvoll weicht die Menge zurück, und ein alter Mann entblößt den Kopf, als sich der Kronprinz zu dem Kind herunterbeugt und ihm huldvoll über den blonden Scheitel streicht. Das Kind aber weiß nichts von der hohen Gunst, die ihm zuteil wird, es bückt sich und will ein Steinchen zum Spiel aufheben. 'Ja, ja' lacht seine Kaiserliche Hoheit, 'was ein Häkchen werden will, krümmt sich bei Zeiten'."

Welch ein Jokus! Und ungeachtet "des herzlichen Gelächters, das dieses Bonmot bei den Umstehenden auslöst", beginnt der Thronfolger mit dem Kindermädchen zu plaudern: ob sie mit ihrer Stellung zufrieden sei, und ob es ihr nicht gefallen würde, bei seiner Frau, der Prinzgemahlin Cecilie, in Dienst zu treten, "und lachte herzlich, als das Mädchen mit entzückender Naivität die üblichen Fragen stellte: wie viel Kinder im Haus wären, wie viel Zimmer, und ob noch ein zweites Mädchen da wäre".
Scherzhaft wird um den Lohn gefeilscht, endlich lässt sich der Prinz "vom Adjutanten den Mietstaler reichen" und drückt der Frau ein Zehnmarkstück in die Hand. "Eins-A-Sache, das wird ’ne Freude für Cilly", verabschiedet sich der Hohenzollernspross ganz volksnah vom hohen Ross.

So reitet er, von Hochrufen begleitet, davon in den Berliner Frühling 1914, der Kronprinz des Deutschen Reiches. Der 31-jährige Friedrich Wilhelm Victor August Ernst von Preußen wäre an diesem Märztag wohl nicht so arglos auf Tuchfühlung mit dem Volk gegangen, hätte er geahnt, auf welche fatale Weise sein Amtskollege, Kronprinz Franz Ferdinand von Österreich wenige Wochen später um den Thron gebracht wird. Souveräne Befehlsgewalt wird Wilhelm, der nie der Dritte sein wird, zeitlebens nicht erlangen. Beim Oberkommando über die 5. Armee, unter anderem in der Schlacht um Verdun, muss er sich der Militärführung unterordnen. Nach der Kriegsniederlage folgt er dem Vater ins niederländische Exil, erst 1923 darf er nach Deutschland zurückkehren. Ein letztes Mal strebt Wilhelm 1932 ein politisches Amt an. Deutschnationale Volkspartei und Stahlhelm erwägen, ihn zur Reichspräsidentenwahl als Einheitskandidaten der Nationalisten gegen Amtsinhaber Hindenburg und Herausforderer Adolf Hitler antreten zu lassen. Vergeblich. Der abgedankte Kaiser im Exil droht seinem Sohn: "Wenn Du diesen Posten übernimmst, so musst Du den Eid auf die Republik schwören. Tust Du das und hältst ihn, so bist Du für mich erledigt. Ich enterbe Dich und schließe Dich aus meinem Hause aus." Wilhelm gehorcht und lässt den Dingen ihren Lauf.

Der Beitrag ist die erste Folge unserer neuen Serie mit Berlin-Bildern aus der Kaiserzeit, die ab jetzt auf der letzten Seite unserer gedruckten Sonnabend-Beilage MEHR BERLIN erscheint. Sie ist leicht zu erkennen: Achten Sie auf die Überschrift in Fraktur!

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