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Mit der „Elektrischen“ durch die Stadt. Als 1907 diese Aufnahme der Kantstraße Ecke Joachimsthaler Straße entstand, gehörte Charlottenburg noch nicht zu Berlin.

© Foto; Sammlung Clemens-Maria Peuser

Berlin-Bücher: Die Kantstraße als Zeugin der Zeit

Wieder im Aufwind: Birgit Jochens porträtiert die Charlottenburger Kantstraße.

Ist vom erneuten Aufschwung der westlichen Innenstadt die Rede, geht es meist um Kurfürstendamm und Tauentzienstraße. Aber auch die Kantstraße hat sich gewandelt und ist den Ruf als Ramschmeile losgeworden, der ihr in den achtziger und neunziger Jahre wegen der vielen Im- und Exportläden anhaftete. Selbst vom Rotlichtviertel rund um den Stuttgarter Platz ist fast nichts mehr übrig. Inzwischen finde die Straße als „Boulevard der Einwanderer“ und als ein Beispiel gelungener Integration sogar überregionale Beachtung, schreibt Birgit Jochens in ihrem Buch „Die Kantstraße. Vom preußischen Charlottenburg zur Berliner City West“. Sie muss es wissen, schließlich hat die Historikerin lange das Museum Charlottenburg-Wilmersdorf geleitet.

Charlottengrad und Chinatown

In keiner anderen Straße Berlins leben und arbeiten laut Jochens so viele Menschen aus verschiedenen Nationen, Ethnien, Religionen und Einkommensschichten. Russen flohen bereits in den zwanziger Jahren vor der Oktoberrevolution und kamen nach Charlottenburg, bis man schon von „Charlottengrad“ sprach. Zu dieser „ersten Welle der Migranten“ zählt Jochens auch chinesische Studenten. Damals entstanden erste chinesische Restaurants. Heute wirken Straßenabschnitte mit Dutzenden asiatischer Lokale und Läden fast wie ein kleines Chinatown.

Die auffälligste Veränderung gibt es am östlichen Ende. An der Stelle des Schimmelpfeng-Hauses ist das 119 Meter hohe „Upper West“ herangewachsen, auf der anderen Straßenseite das gleich hohe „Zoofenster“, zwei markante Wegmarken des Aufschwungs. Dessen Beginn datiert die Autorin auf 1999, als an der Ecke Uhlandstraße das Designzentrum Stilwerk öffnete. Bald machten rundum weitere Einrichtungsgeschäfte auf, die jährlich zur gemeinsamen „Designmeile“ laden.

Ansiedlung des Amtsgerichts führt zu Verlängerung

Einen „wesentlichen Anteil am Erscheinungsbild“ billigt Jochens auch dem 1995 fertiggestellten KapHag-Haus an der Ecke Fasanenstraße zu – wenngleich der Bezirk dem Architekten Josef Paul Kleihues statt der geplanten Höhe von 72 Metern nur 36 Meter zuzüglich des 18 Meter aufragenden Segels erlaubt hatte.

Ursprünglich sollte die 1887 nach dem Philosophen Immanuel Kant umbenannte Straße Nr. 9 nur vom Bahnhof Zoo bis zur Leibnizstraße reichen. Zur Verlängerung bis zur Suarezstraße kam es durch die Ansiedlung des Amtsgerichts 1897. Später folgte die Neue Kantstraße bis zum Messegelände.

Der Verkehr war schon damals enorm. Alte Fotos im Buch zeigen noch Straßenbahnen, die bis 1966 fuhren, während der heute denkmalgeschützte „Kant-Garagenpalast“ aus dem Jahr 1930 von den Anfängen der Massenmotorisierung zeugt. Und 1908 war die Straße schon so bedeutungsvoll, dass sich Elisabeth von Papp, „die erste deutsche Automobil-Chauffeuse“, genau dort fotografieren ließ.

Die Kantstraße steht für sich allein schon gut da

Die Autorin hat ihr Porträt der Kantstraße nach gut einem Dutzend thematischen Schwerpunkten gegliedert, so auch zu „Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Man erfährt, wie der „Reichsverband der Juden“ um Leo Baeck an der Kantstraße 158 erfolglos gegen Verfolgungen protestierte und die Gestapo Widerstandskämpferinnen im alten Frauengefängnis (Hausnummer 79) inhaftierte.

Mehrere Kapitel sind den Künstlern gewidmet. Schriftsteller, Musiker, Maler, Bildhauer und Schauspieler wohnten am liebsten rund um den Savignyplatz. Das 1886 erbaute Theater des Westens war ein berühmtes Opernhaus, bevor es zur Musicalbühne wurde. Aus einem 1927 eröffneten Tanzlokal entstand der Delphi-Filmpalast. Jochens beschreibt auch die „Glanzzeit“ des Kant-Kinos von 1976 bis 1983: Punk-, Rock- und Popbands spielten dort, bis das Ordnungsamt alle Konzerte nach 22 Uhr verbot. Zudem stellt sie gastronomische Institutionen wie die Paris Bar und das rund um die Uhr geöffnete Schwarze Café vor. Das Fazit der Autorin: Die Kantstraße hat es endlich geschafft, aus dem Schatten des Kurfürstendamms zu treten.

Birgit Jochens: Die Kantstraße. Vom preußischen Charlottenburg zur Berliner City West. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin. 168 Seiten, 166 Abbildungen, 26 Euro
Birgit Jochens: Die Kantstraße. Vom preußischen Charlottenburg zur Berliner City West. Verlag für Berlin-Brandenburg, Berlin. 168 Seiten, 166 Abbildungen, 26 Euro

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