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Fertig saniert aber leer. Im Victoriahaus kann man dieses Jahr keine Mega-Seerosen bewundern

© Thilo Rückeis

Berlin: Der Botanische Garten droht finanziell auszutrocknen

Der Botanische Garten in Berlin gehört zu den artenreichsten der Welt. Aber ihn plagen finanzielle Sorgen, Beete werden stillgelegt, sich selbst überlassen. Selbst die Riesen-Seerosen erblühen 2017 nicht.

Willkommen zur Ferienreise auf dem europäischen Kontinent durch das erwachende Frühjahr. Was blüht und duftet bereits wo und wie? Auf dem Jahreszeitenpfad im Botanischen Garten kann man das bestens erleben. Doch wer genau hinschaut, sieht in der traditionsreichen Oase plötzlich kahle Stellen. Hier verkrautet ein vielfältig gestalteter, bislang mit Akribie gepflegter Steingarten. Dort verschwindet ein ganzes Beet unter braunen Abdeckfolien, wo im vergangenen Jahr noch Pflanzen aus aller Welt üppig gediehen. Noch ist Berlins Botanischer Garten wegen seines großen Artenreichtums international die Nummer zwei nach Londons Royal Botanic Garden. Aber das für Flaneure und Forscher gleichermaßen attraktive Schmuckstück in Dahlem droht finanziell auszutrocknen, und es ist von Personalnot bedroht.

Die Stars des Gartens bleiben im Kühlschrank

Sogar das Victoriahaus bleibt in dieser Saison geschlossen, obwohl es mit zehn Millionen Euro bis November 2016 aufwändig saniert wurde. Es war zuvor wegen Baumängeln ein Jahrzehnt außer Betrieb, aber nun könnten die Riesenseerosen victoria amazonica und victoria cruziana aus südamerikanischen Urwaldgewässern dort endlich wieder prächtig gedeihen, als Stars des Gartens. Doch sie werden in dieser Saison nicht angezogen und folglich im Sommer mit ihren spektakulären, bis zu zwei Meter breiten Blättern nicht zu sehen sein. Ihre Samen bleiben im Kühlschrank.

So schön könnte es wieder aussehen: Die Riesen-Seerosen im Victoriahaus 2003, also vor dessen Schließung und Sanierung.
So schön könnte es wieder aussehen: Die Riesen-Seerosen im Victoriahaus 2003, also vor dessen Schließung und Sanierung.

© imago, Waldemar Bögel

Verlassen steht das denkmalgeschützte Glashaus da. Die neue Technik funktioniert zwar perfekt, am Geländer des leeren Gästesteges zeigt ein Video auf Knopfdruck im Zeitraffer, wie die Mega-Rosen wachsen und ihre weißen Blüten öffnen, Bodenheizung und Luftbefeuchter erzeugen schweißtreibendes Dschungelklima. „Aber diese phantastischen Pflanzen brauchen auch intensive Pflege“, sagt der Direktor des Botanischen Gartens, Professor Thomas Borsch. Es sei ein schwerer Entschluss gewesen. „Doch wir schaffen das nicht. Für die Victorias bräuchten wir zwei zusätzliche Gärtner.“ Diese Arbeit könne er den vorhandenen Kollegen nicht noch zusätzlich zumuten.

Die Mitarbeiter fühlen sich "abgehängt" im Vergleich zur IGA in Marzahn

Fragt man Mitarbeiter des Dahlemer Gartens, so ist viel Frust zu hören. Irgendwie fühlen sie sich „abgehängt“, gerade im Vergleich zur Internationalen Gartenausstellung (IGA) in Marzahn, für deren Attraktionen bis zu 100 Millionen Euro aus EU,- Bundes- und Landestöpfen investiert wurden. Der Botanische Garten und das Botanische Museum erhalten hingegen schon seit 1995 jährlich umgerechnet 8,5 Millionen Euro für laufende Kosten plus Zuschüssen für Investitionen wie die Sanierung des Großen Tropenhauses 2009 oder des Victoriahauses.

Professor Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens.
Professor Thomas Borsch, Direktor des Botanischen Gartens.

© Thilo Rückeis

Bis 1995 wurde der Garten vom Land Berlin betrieben, seither ist er jedoch eine Einrichtung der Freien Universität (FU) und wird aus deren Budget finanziert. Weil dieses aber seit 2000 vom Land um 30 Prozent gekürzt wurde, litt der 1910 in Dahlem eröffnete, 43 Hektar große Vorzeigegarten in der Folge unter Finanznöten. Die 8,5-Millionen-Zuwendung war ohnehin knapp und wurde nicht nachgebessert, nun sank sie zeitweise sogar, Inflation und Tarifsteigerungen belasteten das Budget zusätzlich. Die Zahl der Mitarbeiter nahm ab.

Ein wissenschaftlicher Garten erfordert mehr Pflegeaufwand

Aktuell kümmern sich 70 Gärtner um Gewächshäuser und Freianlagen, „Wir bräuchten 20 mehr, um alles Notwendige zu leisten“, sagt der Technische Gartenleiter Karsten Schomaker. Und diese müssten ausgewiesene Fachleute sein. Einen Garten mit wissenschaftlichem Anspruch zu pflegen, erfordert mehr Aufwand als eine Parkanlage.

In der vergangenen Woche bestaunten Botaniker aus aller Welt anlässlich eines Kongresses das Dahlemer Pflanzenreich. Im „Kaukasischen Garten“, vor dem Schild „Blumenbunter Kaukasus“, breitete Professor Wayt Thomas aus New York die Arme aus, begeistert vom „Schilderwald“ mit den zahlreichen Namen, und rief aus: „Ich kenne kaum einen Garten mit einer solchen Vielfalt!“ Da stand er gerade vor dem Hügelbeet mit Schaf-Schwingel, Armenischem Ehrenpreis und der Kahlen Gänsekresse.

Die nahezu einmalige Vielfalt hat gute historische Gründe. Berlins Botanischer Garten wurde von Beginn an als „pflanzengeografische Anlage“ geplant. Man wollte die Welt in einem Garten zeigen, aufgeteilt in viele kleine modellierte Regionen wie den „Kaukasus-Garten“. Eine botanische Tour rund um den Globus als Garten-Kunstwerk, das war die Idee. „Derart konsequent wurde dieser Gedanke anderswo kaum verfolgt“, erklärt Direktor Borsch. Der Gewinn war in Berlin eine nahezu einmalige „Diversität“, wie die Experten sagen: Bis zu 20 000 verschiedene Arten kann man in den Glashäusern und unter freiem Himmel noch bewundern.

Braune Folien statt üppiges Grün. Die stillgelegten Beete im Systematischen Garten.
Braune Folien statt üppiges Grün. Die stillgelegten Beete im Systematischen Garten.

© Thilo Rückeis

In diesem Frühjahr gibt es aber schon etliche Abstriche. Borsch und Schomaker führen zum „Systematischen Garten“, dem Herzstück der wissenschaftlichen Pflanzensammlung seit 1910. Hier ließ schon der damalige Direktor Adolf Engler zahllose Pflanzen nach ihren jeweiligen Verwandtschaftsbeziehungen streng geordnet in die Erde bringen. Aber inzwischen sind gut die Hälfte der einstigen Beete mit Folien überspannt. Ganze Staudenrabatten gibt es nicht mehr – und der Abbau soll weitergehen. Denn dieser Bereich ist besonders pflegeintensiv. „Man kann da nicht mit der Gießkanne rübergehen“, so Schomaker.

Einjährige Blumen sind zu aufwändig, sie werden kaum mehr gepflanzt

Kurz, die Lage ist kritisch, die Gartenchefs sind zu einem Balanceakt gezwungen. Um den wissenschaftlichen Anspruch möglichst zu erhalten und die Schönheit des Gartens für Besucher zu wahren, haben sie sich ein Ampelsystem ausgedacht. Es gibt jetzt rote, gelbe und grüne Bereiche auf ihrer Karte. In den roten Arealen müssen sie Verzicht hinnehmen. Die gelben werden eingeschränkt versorgt, zum Beispiel Schmuckbeete, in denen nun weniger einjährige Blumen blühen. Oder Steingärten. Dort wird zwar noch Unkraut gezupft, aber robuste, mehrjährige Gewächse dürfen sich ungebremst ausbreiten, zu Lasten empfindlicherer Arten. Nur die grünen Areale werden komplett erhalten. Dazu gehört der Arzneipflanzengarten. Die Erde schön krümelig geharkt, saftig schießt Kraut empor. Borsch lacht: „Wir können auch anders.“

Rot = aufgegeben. Blick auf die botanische Sparkarte. Die grünen Bereiche bleiben uneingeschränkt erhalten, die gelben werden nur noch reduziert gepflegt.
Rot = aufgegeben. Blick auf die botanische Sparkarte. Die grünen Bereiche bleiben uneingeschränkt erhalten, die gelben werden nur noch reduziert gepflegt.

© Thilo Rückeis

An vielen Stellschrauben hat das Team des Gartens bereits gedreht, um mit ihrem Etat halbwegs auszukommen. Die Heizkosten wurden durch die „energetische Dämmung“ der Gewächshäuser um eine halbe Million Euro gesenkt, Werbung wurde angekurbelt, so dass die Zahl der Besucher 2016 auf 430 000 stieg, 2015 waren es noch knapp 300 000. Dadurch decken die Einnahmen an den Kassen nun 13 Prozent der Gesamtkosten. Und schließlich hat man den Botanischen Garten als gewinnbringende „Eventlocation“ profiliert. Die „Sinfonie unter Palmen“ oder "Botanische Nacht" gehören ja schon zur Tradition, aber das Lichtspektakel „Christmas Garden“ war zu Weihnachten 2016 neu.

An diesem Wochenende schmücken die Buschwindröschen den Buchenwald am Eingang zum Königin-Luise-Platz. Ein weißer Teppich, der optimistisch stimmt. "Vielleicht gibt es ja eine Lösung, wenn sich Land und Uni mit uns zusammensetzen", sagt Thomas Borsch. Damit der botanische Schatz Berlins weiter glänzt.

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