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Immer wieder in der Kritik. Sozialsenator Czaja.

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Update

Berlin, die Flüchtlinge und das Lageso: Wohin mit den Flüchtlingen? Mauschel-Vorwürfe gegen CDU

Sozialsenator Mario Czaja soll 2013 Unterkünfte verhindert haben, um CDU-Parteifreunde nicht zu verärgern. Czaja weist die Vorwürfe zurück.

Die Kritik an Berlins Flüchtlingspolitik reißt nicht ab. Jetzt veröffentlichte die "B.Z." interne Mails aus dem Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso). Sie sollen belegen, dass verantwortliche Politiker Jahre lang die Warnungen vor steigenden Flüchtlingszahlen ignorierten und Sozialsenator Mario Czaja (CDU) selbst neue Unterkünfte verhindert oder verschleppt habe – etwa, um CDU-Parteifreunde nicht zu verärgern. Czaja wies dies am Sonnabend vehement zurück. „Das ist kompletter Unsinn“, sagte er dem Tagesspiegel.

Die Mails stammen aus dem Jahr 2013

Die Mails stammten aus dem Jahr 2013, als es noch keinen Massenandrang von Flüchtlingen gab. Damals sei es darum gegangen, sie gerechter auf die einzelnen Berliner Bezirke zu verteilen. „Etwa 60 Prozent aller Flüchtlinge waren damals in Spandau, Lichtenberg und Tempelhof-Schöneberg untergebracht“, sagte Czaja. Das habe nicht nur der Senat, sondern auch der Rat der Bürgermeister ändern wollen und auch einen entsprechenden Beschluss gefasst.

Innensenator Frank Henkel bezeichnete die Vorwürfe als absurd. „Mario Czaja hat die volle Rückendeckung der CDU“, sagte er. Damals sei es um gerechtere Verteilung gegangen, heute müsse man so viele Kapazitäten wie möglich für Flüchtlinge zur Verfügung stellen, was eine große und schwierige Aufgabe sei. „In Anbetracht der wachsenden Flüchtlingszahlen sollte allein die Frage, wie und wo man Menschen schnell und gut unterbringen kann, eine Rolle spielen“, sagte auch die Sprecherin des Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (SPD), Daniela Augenstein. Über „beschriebene Verabredungen“ lägen der Senatskanzlei keine Informationen vor.

Der Präsident des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Franz Allert, der am 9. Dezember auf Drängen des Regierenden Bürgermeisters zurücktreten musste, sagte dem Tagesspiegel, er wisse nicht, von wem die internen Mails aus seinem Amt an die Presse gelangt seien. Zu den sonstigen Vorwürfen wollte er sich nicht äußern, weil er statusrechtlich nach wie vor Präsident des Lageso sei und daher einer besonderen Zurückhaltungspflicht unterliege.

Grüne in Berlin fordern den Rücktritt von Czaja

Ramona Pop, die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, ging Czaja am Wochenende scharf an. „Statt mit aller Kraft dafür zu sorgen, dass es in der Flüchtlingshilfe besser läuft, hat Mario Czaja offensichtlich am Gegenteil gearbeitet. Zugunsten seiner CDU hat Czaja getrickst, wo es nur ging.“ Sie forderte Czajas Rücktritt.

Die Mails fallen in die Zeit des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2013, nicht alles ist neu. Damals war die Zahl der Flüchtlinge in Berlin viel geringer als 2015. So habe der CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner verhindert, dass in Gatow, in Wegners Wahlkreis, das frühere Vivantes-Pflegeheim im Waldschluchtpfad zur Erstaufnahme-Unterkunft verwendet werde. Czaja habe einer Lageso-Abteilungsleiterin mitgeteilt, sie solle vorerst nichts unternehmen, er müsse erst mit Wegner reden. Das Heim wurde erst mal nicht eingerichtet.

Und wieder geht es um die Flüchtlinge in Hohengatow

Der CDU-Politiker Wegner war schon lange gegen ein Erstaufnahmeheim im Waldschluchtpfad, das ist kein Geheimnis. „Ich habe mich 2013 mit vielen Anwohnern unterhalten und beraten“, sagte Wegner am Sonnabend dem Tagesspiegel. „Wir alle waren der Meinung, dass ein Heim mit 550 Plätzen die 250 Anwohner überfordern würde.“ Damals war das Heim in der Ortslage Hohengatow als Erstaufnahmeheim im Gespräch.

Als die Zahl der Flüchtlinge erheblich anstieg, wurde das Heim im Oktober 2013 doch als Flüchtlingsunterkunft eröffnet. Es sollte allerdings nur zwei Jahre genützt werden. „Jetzt hat sich die Situation aber geändert“, sagte Wegner. Die Anwohner wüssten auch, „dass die Flüchtlinge eine Unterkunft benötigen“. Deshalb sei mit ihnen ein neues Konzept besprochen worden. Das Heim soll als Dauereinrichtung betrieben werden, „vor allem für Versehrte und Familien“. Und es soll weniger Bewohner haben als bisher. Auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh, zugleich Kreischef der SPD in Spandau, trägt dieses Konzept mit. Klar ist seit April 2015, dass das Heim für weitere fünf Jahre betrieben wird.

Vorwürfe auch gegen Eberhard Diepgen und Stefan Evers

Vorwürfe gibt es auch gegen den CDU-Bundestagsabgeordneten Jan-Marco Luczak. Er habe verhindert, dass in seinem Wahlkreis in Tempelhof ein Heim eröffnet werde. Auch Luczak weist die Vorwürfe zurück. Auch gegen Eberhard Diepgen werden Vorwürfe erhoben. Er soll Einfluss genommen haben, als ein ehemaliges Hostel in der Nikolsburger Straße in Berlin-Wilmersdorf als Asylbewerberheim im Gespräch war. Er soll dagegen gewesen sein, weil er dort Eigentum habe, heißt es in einer zitierten Mail aus dem Lageso. Doch Diepgen wies gegenüber „Bild“ und „BZ“ diese Darstellung zurück. Er habe kein Wohneigentum in dieser Gegend, er habe nie gegen das Heim interveniert.

Auch dem CDU-Abgeordnete Stefan Evers wird nachgesagt, er habe vor zwei Jahren Einfluss auf das Lageso ausüben wollen, als eben jenes Wilmersdorfer Hostel zu einem Flüchtlingsheim umgebaut werden sollte. Evers sagte allerdings der "Berliner Morgenpost", er habe gar nicht mit einem Lageso-Mitarbeiter über dieses Thema gesprochen. Offenbar habe der Hostel-Betreiber gegenüber dem Lageso Einschätzungen abgegeben und sich auf ihn berufen. Wie es zu dem Widerspruch kam, war am Sonntag vorerst nicht zu erfahren. Das Hostel ist längst geschlossen; dort sollen derzeit Wohnungen entstehen.

Heinz Buschkowsky spricht von "frei erfundenem Schwachsinn"

Der Bezirk Neukölln, damals geführt von Bürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), soll zudem den Neubau eines Heims in der Haarlemer Straße verzögert und dadurch erheblich Zusatzkosten verursacht haben. Buschkowsky bezeichnete die Vorwürfe, der Bezirk habe den Bau des Flüchtlingsheims bewusst verschleppt, im Gespräch mit dem Tagesspiegel „als frei erfundenem Schwachsinn“.

Das Problem sei die räumliche Nähe zweier „Gebäuderiegel“ auf einer „riesigen Fläche“ gewesen. Das Grundstück, auf dem die Gebäude für die Flüchtlingen entstehen sollten, sei „platt gewesen wie eine Flunder“. In der ursprünglichen Planung seien die beiden Gebäude allerdings so nahe aneinander gewesen, „dass sich die Menschen durch die Fenster hätten die Hand geben können. Wir wollten eine Hinterhofsituation vermeiden.“ Außerdem sei ein Gebäude sehr nahe an der Straße geplant gewesen. „Wir wollten nur, dass diese Fläche besser genützt wird.“ Der Bezirk habe aber nur erreichen können, dass der Abstand zwischen den Gebäuden 15 Meter größer ist als geplant. Durch die größere Entfernung seien allerdings längere Leitungen und Rohre nötig geworden. „Das ist natürlich teurer geworden.“ Buschkowsky betonte: „Mit parteipolitischen Gründen hatte die Bauverzögerung nullkommanull zu tun.“

1500 Flüchtlinge ziehen nach Berlin-Wannsee

Unterdessen sind am Wochenende in Berlin mehr als 500 Flüchtlinge ins ICC in Berlin-Charlottenburg gezogen. Zudem wird jetzt auch die ehemalige Lungenklinik in Berlin-Wannsee als Unterbringung genutzt. Rund 350 Asylsuchende ziehen nach Tagesspiegel-Informationen nächste Woche ein, bis Ende 2016 sollen bis zu 1500 Menschen in der neuen Gemeinschaftsunterkunft am Großen Wannsee leben. Bis dahin will der Senat weitere Gebäude auf dem Klinikgelände herrichten lassen. Die seit 2007 leer stehende Klinik wäre damit eines der größten Flüchtlingsheime in Berlin.

Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) und der Chef des landeseigenen Immobilienmanagements BIM, Sven Lemiss, gaben jetzt grünes Licht für den Einzug der ersten 350 Flüchtlinge ins Hauptgebäude der ehemaligen Klinik. Rund 1,1 Millionen Euro hat dessen Sanierung gekostet, die Haustechnik und Heizungsanlage wurden erneuert. Im Vergleich zu den Kosten von angemieteten Hostels sei diese Summe aber günstig, sagte der Finanzsenator. Streit gibt es zudem um die Nutzung von Turnhallen. Staatssekretär Dieter Glietsch kritisierte den Spandauer Bürgermeister Helmut Kleebank (SPD), dass der Bezirk zwar Gründe nannte, warum mehrere Sporthallen nicht genutzt werden könnten, aber keine Alternativen nennen konnte.

Bundesweit wollten am Abend tausende Menschen gegen Gewalt und Fremdenfeindlichkeit auf die Straße gehen und so eine Lichterkette bilden von München.

"Mit Parteiklüngel hatte das alles nichts zu tun": Lesen Sie hier unser Interview mit Sozialsenator Mario Czaja, in dem er sich gegen die Vorwürfe wehrt.

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