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Bunte Ringe. Seit einigen Wochen sind die Ringe am Olympiastadion Berlin erleuchtet. Finden viele ganz schön.

© Kai-Uwe Heinrich

Berlin, die Spiele, die Bewerbung: "Warum regen Sie sich wegen Olympia so auf?"

Nolympia gegen Berlympics – Judith Demba gegen Alexander Wolf. Braucht Berlin Olympia? Ein Streitgespräch über Chancen und Risiken, die Erfahrungen aus den 90ern und die Fehler der Politik.

Judith Demba packt ein paar Aufkleber und Flyer aus: Auf einem steht groß: Wir wollen nicht spielen! „Die wollte ich Ihnen doch da lassen“, sagt Demba. Alexander Wolf grinst: „ Ist ja toll, Sie haben unseren Slogan („Wir wollen spielen“) aufgegriffen.“ Beide lachen.

Am Wochenende hat der DOSB seine Umfrage gestartet. Gibt es hier so etwas wie eine Olympiastimmung?
WOLF: Auf jeden Fall gibt es eine Olympiastimmung in der Stadt – entweder pro oder contra. Ein Drittel will Olympia, ein Drittel hat keinen Bock auf Olympia, und ein Drittel weiß nicht so recht. Das macht es spannend.

Wird das reichen?
WOLF: Das werden die nächsten Tage zeigen. Berlin ist – anders als jede andere deutsche Stadt – immer für eine Überraschung gut. Es ist alles offen.

DEMBA: An unseren Infoständen auf der Straße ist immer eine satte Mehrheit dagegen. Egal ob in Schöneberg, Prenzlauer Berg oder Neukölln. Wir haben nicht den Eindruck, dass es eine Olympiabegeisterung gibt. Die Leute erzählen uns von den existenziellen Problemen des Alltags. Eine Lehrerin etwa berichtet, dass es bei ihr an der Schule nicht einmal mehr Klopapier gibt. Ein Vater klagt darüber, dass an der sportbetonten Schule des Sohnes der Sportplatz gesperrt ist. Für nichts ist Geld da, sich aber für Olympia bewerben. Da sagen die Leute oft: Die spinnen doch.

Judith Demba war in den neunziger Jahren bei der ersten Berliner Bewerbung für Olympische Spiele das Gesicht der Nolympia-Bewegung. Damals war sie Abgeordnete der Grünen, inzwischen gehört sie der Linken an und ist Geschäftsführerin der Naturfreunde Berlin. Auch diesmal engagiert sie sich gegen die Berliner Bewerbung.
Judith Demba war in den neunziger Jahren bei der ersten Berliner Bewerbung für Olympische Spiele das Gesicht der Nolympia-Bewegung. Damals war sie Abgeordnete der Grünen, inzwischen gehört sie der Linken an und ist Geschäftsführerin der Naturfreunde Berlin. Auch diesmal engagiert sie sich gegen die Berliner Bewerbung.

© Kai-Uwe Heinrich

WOLF: Aber sehen Sie es doch mal so: Wenn ich im fünften Stock wohne und merke, dass ich kaum die Treppen hoch komme, dann ziehe ich doch auch nicht ins Erdgeschoss, sondern mache Sport. Und wenn diese Stadt überall Probleme mit ihrer Infrastruktur und der Verwaltung hat, kann die Lösung nicht sein, nichts mehr oder nur noch Kleinklein zu machen. Lasst uns also einen Stresstest für die Stadt machen, und der heißt Olympia. Zehn Jahre werden wir trainieren, und dann haben wir das, was Sie fordern, nämlich eine bessere Infrastruktur.

DEMBA: Hier geht es doch nicht um Kleinklein, sondern um ein Milliardenloch. Über Jahrzehnte wurde nicht mehr in die öffentliche Infrastruktur investiert. Selbst wenn wir über Olympia eine bessere Infrastruktur erhalten würden, hätten wir sie frühestens in zehn Jahren. Aber wir brauchen sie jetzt, bezahlbaren Wohnraum etwa.

WOLF: Da hat Frau Demba Recht. (Beide lachen.) Ich möchte auch, dass jetzt ein Ruck durch die Stadt geht, investiert wird und bezahlbare Wohnungen gebaut werden. Das kriegen wir am ehesten hin, wenn die Stadt darauf verweisen kann, in zehn Jahren ein Weltgroßereignis zu veranstalten. Dann kann man sagen: Liebe Stuttgarter, Münchner, Frankfurter kommt her und baut hier Wohnungen!

Alexander Wolf ist Netzwerker und Geschäftsführer des Business-Clubs „Außergewöhnlich Berlin“. Er ist Initiator der privat- wirtschaftlichen Berlympics-Bewegung, die unter dem Motto „Wir wollen spielen“ für Olympia mobilisiert. Die Aktion hat sich der Kampagne von Senat und Berlin-Partnern „Wir wollen die Spiele“ angeschlossen.
Alexander Wolf ist Netzwerker und Geschäftsführer des Business-Clubs „Außergewöhnlich Berlin“. Er ist Initiator der privat- wirtschaftlichen Berlympics-Bewegung, die unter dem Motto „Wir wollen spielen“ für Olympia mobilisiert. Die Aktion hat sich der Kampagne von Senat und Berlin-Partnern „Wir wollen die Spiele“ angeschlossen.

© Kai-Uwe Heinrich

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass die Stadt das auf die Reihe bekommen kann, wenn das Alltagsgeschäft nicht einmal läuft?
WOLF: Wenn die ganze Welt auf uns guckt, hat Nichtstun Konsequenzen. Dann werden auch verantwortliche Leute rausfliegen, wenn etwas nicht läuft. Das hätte ich mir schon bei einigen Projekten gewünscht. Beim BER etwa oder bei Tempelhof.

DEMBA: Es ist doch Wahnsinn, sich noch mehr aufzuhalsen. Beim BER, der nun wahrlich nicht von kompetenter Politik zeugt, schaut doch auch die ganze Welt hin. Und in der Verwaltung herrscht schierer Notstand. Neulich bin ich am Bürgeramt in Neukölln vorbeigekommen; da warteten die Leute draußen in einer 50 Meter langen Schlange. Wie kann man in so einer Situation auf die Idee kommen, die Verwaltung für weitere Großprojekte einzuspannen?

WOLF: Ganz einfach. Die beste Motivation für eine Verwaltung sind Projekte, die nicht verschoben werden können, bei denen der Termin definitiv fest steht. Berlin ist eine Weltstadt. Wenn wir Weltstadt sind, dann müssen auch richtig fette Großereignisse her.

DEMBA: Die haben wir doch gehabt mit der Leichtathletik WM vor ein paar Jahren. Und regelmäßig gibt es den Berlin Marathon oder das Istaf.

WOLF: Warum regen Sie sich dann wegen Olympia so auf?

DEMBA: Olympische Spiele haben doch eine unglaublich größere Dimension, und die Bedingungen werden von außen diktiert. Die Belastungen für die Stadt sind sehr viel größer.

Herr Wolf, ärgern Sie sich über die Olympia-Gegner.?
WOLF: Überhaupt nicht. Berlin ist doch deswegen weltweit so beliebt, weil wir hier die Freiheit haben, immer unsere Meinung sagen zu können. Nolympia wäre der Garant dafür, dass Berliner Spiele fair und transparent sind.

Skandale wie bei der Bewerbung in den Neunzigern mit Sexdossiers und opulenten Essen am Pergamonaltar wird es nicht mehr geben?
WOLF: Wenn es sie gibt, werden sie durch eine Gruppe wie Nolympia sehr schnell aufgedeckt.

DEMBA: Ich glaube nicht an Transparenz und demokratische Strukturen, wenn es um das IOC und eine Olympiabewerbung geht. Während der Spiele werden Demokratie und Bürgerrechte über den Host City Vertrag ausgehebelt und die Stadt begibt sich freiwillig in die Hände des Privatclubs IOC, der dann bestimmt was in der Stadt passiert und was nicht. So lange es bei der Bewerbung darum geht, jede einzelne Stimme der Mitglieder einzukaufen, wird es auch Skandale und Korruption geben. Und zwar zu Lasten der öffentlichen Haushalte.

WOLF: Ich möchte mal für unsere Initiative für „Berlympics“ sprechen. Wir würden ein Konzept nach Berliner Regeln erstellen. Alles wird offen gelegt. Es gibt eine Bürgerjury, der jeder Vertrag, jeder Auftrag vorgelegt wird. Wenn das IOC den Berliner Stil nicht verkraftet und etwas verlangt, was den Interessen der Stadt widerspricht, dann gibt es auch kein Olympia in Berlin.

Aber gibt es nicht ohnehin sehr viele Forderungen des IOC, die eine Gastgeberstadt erfüllen muss?
WOLF: Zurzeit versucht Berlin in der Tat zu sehr, auf Liebkind zu machen. Das ist nicht der Berliner Stil. Wir sind groß genug, toll genug, sexy genug, um unsere eigenen Konzepte zu haben.

Man kann aber auch den Eindruck haben, dass der Senat nicht richtig hinter der Bewerbung steht…
DEMBA: Der Senat spielt vor allem ein falsches Spiel. Nicht nur, dass er jede Menge Geld für eine halbherzige Werbekampagne ausgibt. Er hat mit seinem Slogan „Wir wollen die Spiele – Berlin für Olympia“ die Antwort ja schon gegeben über die dann am 13. September abstimmt werden soll, zwei Tage bevor er seine Bewerbung beim IOC anmelden muss. Das Prozedere ist weder ergebnisoffen noch glaubwürdig. Da kann man nur von Placebodemokratie sprechen.

WOLF: Wir haben eine starke kritische Bevölkerung. Wir haben einen schwachen Senat. Die tun schon das beste, sie geben alles, was sie können. Uns fehlt aber das starke Engagement derjenigen, die für Spiele in der Stadt sind.

Wie wollen Sie die Leute begeistern?

WOLF: Wir haben in unserem Club „Außergewöhnlich Berlin“ eine Umfrage gemacht. Das sind Mittelständler, aber auch kleine Galerien, Fotografen bis zu Firmen wie dem Fernsehturm und der O2-World. Wir hatten eine 90-prozentige Zustimmung. Bei den Leuten, die unternehmerisch tätig sind, ist die absolute Mehrheit für Olympia. Aber sie machen nichts. Die Politik hat keine Alliierten.

Hat die Politik denn Verbündete gesucht?

DEMBA: Jetzt bin ich aber mal auf die Antwort gespannt.

WOLF: Nein, die Politik hat offensichtlich Angst vor zu viel Engagement. Und die Unternehmer der Stadt, vom Friedrichshainer Cafébesitzer bis zum Albachef, wurden nicht richtig angesprochen.

Liegt das daran, dass die Politik Angst vor dem Scheitern hat?

WOLF: Nein, es liegt daran, dass die Politik Angst vorm eigenen Volk hat – spätestens seit dem Volksentscheid zu Tempelhof. Berliner sind sehr kritisch, sehr wach und äußern ihre Meinung sehr deutlich.

DEMBA: Dass der Senat die Bürger bei dem Projekt nicht wirklich mitreden lässt, liegt daran, dass er mit Recht Angst davor hat, dass die Berliner es zum Scheitern bringen.

Lesen Sie mehr - das Verkehrskonzept für Olympia in Berlin. Von Expresszügen und Extra-Fahrstreifen. Könnten BVG und S-Bahn Olympia? Was bringt der Autobahn-Bau? Und wo sind die Stolperfallen?

Der Zeitplan bis zur Olympia-Entscheidung. Die Übersicht finden Sie unter diesem Tagesspiegel-Link.

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