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Berlin: Berlin gedenkt der Opfer

Gebete, Kränze, Kreuze und ein Eierwurf: Auf vielen Veranstaltungen wurde gestern an den 17. Juni 1953 erinnert

50. JAHRESTAG DES VOLKSAUFSTANDES

Wer gestern alle Berliner Gedenkveranstaltungen zum 17. Juni besuchen wollte, erlebte einen Erinnerungs-Marathon. Vom frühen Morgen bis zum Abend wurde an den Volksaufstand vor 50 Jahren erinnert.

Den Anfang macht um 8.30 Uhr ein Gottesdienst in der St. Marienkirche am Alexanderplatz. Trotz der Niederschlagung des ersten Aufstandes in einem sowjetisch besetzten Land seien die Opfer nicht vergeblich gewesen, sagt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Karl Lehmann, in seiner Predigt. Die Hoffnung auf ein Leben in Einheit und Freiheit habe sich am 9. November 1989 erfüllt. Unter den Gästen sind Bundespräsident Johannes Rau und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse.

Kurz darauf, um 10.30 Uhr, legen die beiden zusammen mit Bundeskanzler Schröder und anderen Staatsvertretern auf dem Städtischen Friedhof Seestraße Blumenkränze für die Opfer des Aufstandes nieder. In der ersten Reihe, direkt neben den Gräbern von elf am 17. Juni getöteten Berlinern, sitzt Elfriede Schulze. Ihr Mann Gerhard wurde vor 50 Jahren am Potsdamer Platz erschossen, erzählt die 82-Jährige. „Ich habe noch gesagt, er soll da nicht hingehen, aber er hat nicht auf mich gehört.“ Als Polizisten unter Trommelwirbel die Kränze von Bundesrat und Bundestag neben das Grab ihres Mannes legen, faltet Elfriede Schulz ihre Hände und blickt mit Tränen in den Augen auf den kleinen Grabstein vor sich. Danach schütteln Rau, Thierse und Schröder ihr und acht anderen Angehörigen von Opfern die Hand.

Von dort rauscht die Politiker-Karawane zum Reichstag, wo um 12 Uhr Bundestag und Bundesrat ihre gemeinsame Gedenkstunde abhalten (Bericht Seite 4).

Neben dem Reichstag, am westlichen Spreeufer, stehen sieben weiße Kreuze. Sie erinnern an die Menschen, die hier beim Fluchtversuch erschossen wurden. Wegen der Bauarbeiten im Regierungsviertel standen die Kreuze lange am Brandenburger Tor. Jetzt sind sie an den Ort zurückgekehrt, an dem der Berliner Bürgerverein sie einst zum zehnten Jubiläum des Mauerbaus aufgestellt hatte. „Wo die Kreuze angebracht sind, war damals das rettende Ufer“, sagt Wolfgang Thierse in seiner Rede zur Wiederaufstellung am Nachmittag. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit erinnert daran, dass der Fluss, auf dem in diesem Moment ein Touristenschiff vorbeituckert, bis vor 14 Jahren für viele Menschen den Tod bedeutete.

Zu einem Zwischenfall kommt es am späten Nachmittag in der der Karl-Marx-Allee, vor 50 Jahren eines der Zentren des Aufstandes. Bei der Präsentation eines aus Bausteinen bestehenden Denkmals wirft eine Frau drei Eier auf Klaus Wowereit, verfehlt aber ihr Ziel. Personenschützer werfen die Frau zu Boden. Auch in Tegel wird eine Gedenkfeier massiv gestört. Als ein Bundeswehrsoldat zum Ende der Feierstunde auf einer Trompete die Nationalhymne spielt, singen etwa 15 NPD-Anhänger die erste Strophe des Deutschlandliedes, teilt die Polizei später mit. Zwei Männer aus der Gruppe brüllen dabei so laut, dass die Feier in dem beabsichtigten Rahmen beendet wurde.

Elfriede Schulze ist derweil schon wieder auf dem Weg nach Hamburg, wo sie inzwischen lebt. Einerseits freut es sie, dass an diesem Tag mehr Menschen als in den vergangenen Jahren ihres Mannes und der anderen Opfer gedachten, sagt sie. Andererseits hätten die vielen Politiker-Reden eigentlich kaum etwas mit ihr persönlich zu tun: „Wenn man damals jemanden verloren hat, dann hat man an so einem Tag seine ganz eigenen Gedanken.“

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