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Berlin: Berlin hat die säumigsten Hartz-IV-Empfänger

Jobcenter verhängen überdurchschnittlich oft Sanktionen gegen Terminschwänzer. Die Ursache dafür ist eigentlich positiv.

Von Sabine Beikler

In Berlin halten viele Hartz-IV-Empfänger ihre Termine in den Jobcentern nicht ein. Von 36 000 Sanktionen gegenüber Hartz-IV-Beziehern zwischen Januar und März dieses Jahres betreffen fast 80 Prozent Meldeversäumnisse. Damit liegt Berlin über dem Bundesdurchschnitt von 76,6 Prozent. Wer aus einem nicht stichhaltigen Grund einen Termin bei seinem Arbeitsvermittler schwänzt, muss mit einer Geldkürzung von 30 Prozent rechnen – aber nur beim ersten Mal.

Die Jobcenter haben weitere Sanktionsmöglichkeiten. Die Leistungsbezüge werden bei einem weiteren unentschuldigten Fernbleiben um 60 Prozent gekürzt. In extremen Fällen könne das Geld auch „auf null gesetzt werden“, sagte Olaf Möller, Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg. Die abgestuften Bezugskürzungen werden auch dann verhängt, wenn sich Hartz-IV-Empfänger weigern, eine zumutbare Arbeit oder eine Qualifizierungsmaßnahme anzunehmen. Das allerdings betrifft nur neun Prozent der verhängten Sanktionen.

430 000 Hartz-IV-Empfänger leben in Berlin. Neben den Kosten zur Unterkunft erhalten sie einen Regelsatz von 374 Euro pro Monat. Dass Leistungsempfänger Termine versäumen, erklärt Olaf Möller mit der besseren Arbeitsmarktlage. Im Juni seien den Berliner Arbeitsagenturen 6000 offene Stellen neu gemeldet worden – acht Prozent mehr als im Juni 2011. „Deshalb haben die Vermittler auch mehr Gründe, mit den Arbeitslosen zu sprechen und ihnen Jobvorschläge zu unterbreiten“, sagte Möller. Dass viele Hartz- IV-Empfänger einfach keine „Lust auf Arbeit“ hätten, könne man anhand der Zahlen nicht belegen.

Franziska Norberg von der Allgemeinen Sozialberatung der Caritas Neukölln kennt andere Gründe, warum Arbeitslose Termine bei Vermittlern nicht wahrnehmen. „Jobcenter sind Orte des Schreckens, Mitarbeiter oft inhaltlich überfordert oder nervlich am Ende.“ Ein Großteil der Hartz-IV-Empfänger sei überdies psychisch oder physisch krank.

Die Arbeitsagentur ist mit dem im Juni 2011 gestarteten Projekt „Berliner Joboffensive“ dennoch erfolgreich. 40 000 Hilfeempfänger konnten bisher in sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze vermittelt worden. Für die Grünen-Arbeitsmarktpolitikerin Sabine Bangert reicht das nicht aus. „Arbeitslose müssen besser beraten und qualifiziert werden, um wirklich existenzsichernde Arbeit zu erhalten.“ Viele könnten davon nicht leben. In der Tat gibt es in Berlin 120 000 „Aufstocker“, die neben ihrem Gehalt anteilig Hartz IV beziehen. Dieter Pienkny, Sprecher des DGB Berlin-Brandenburg, fordert deshalb einen bundesweiten Mindestlohn von 8,50 Euro. Sabine Beikler

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