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Das Gebiet um das Brandenburger Tor gilt laut Sicherheitsexperten als "Gefährdungsschwerpunkt". In der Nähe befinden sich die US-Botschaft, die französische Botschaft und das Hotel Adlon.

© dapd

Berlin: Höchste Alarmbereitschaft in Mitte

Im Regierungsviertel ist nach dem jüngsten Terrorhinweis von Aufregung nicht viel zu spüren. Doch hinter den Kulissen werden die Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft.

Die Terrorwarnungen waren am Sonnabend allgegenwärtig – doch das Regierungsviertel, der Reichstag, das Brandenburger Tor und die Botschaften in Mitte glichen von außen betrachtet keineswegs bewachten Festungen. Selbst rund ums Reichstagsgebäude, auf das Al Qaida angeblich einen Anschlag plant, hatte die Polizei nicht mehr Objektschützer als sonst postiert. Einzige Änderung: Die Männer sind seit Donnerstag mit Maschinenpistolen ausgerüstet. Und vor den Mauern wurden Absperrgitter aufgestellt, die aber jedermann unkontrolliert passieren kann. Hunderte Touristen standen gestern wie bisher vor dem Eingang zur Aussichtskuppel Schlange. Die diffuse Gefahr war zwar vielen bewusst, aber man reagierte gelassen. Anders war die Situation in der Zentrale der Bundestagspolizei im Reichstag: „Unsere 170 Beamten sind in höchster Alarmbereitschaft“, hieß es.

Die Kuppel soll für Besucher vorerst geöffnet bleiben. Hinter den Kulissen werden die Sicherheitsmaßnahmen aber massiv verstärkt. Das alleinige Sagen hat dabei die Bundestagspolizei, die direkt Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) untersteht. Im Regierungsviertel sind zwar noch zahlreiche andere Polizeidienste aktiv: Berliner Landespolizei, Zivilfahnder der Staatsschutzabteilung vom Landeskriminalamt, Bundespolizei, die Sicherungsgruppe der Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes und Dutzende private Sicherheitsdienste. Doch in den Bundestag und in die angrenzenden Gebäude wie das Paul-Löbe-Haus dürfen sie nicht hinein. Dies soll das Parlament vor direkter Einflussnahme durch Exekutive und Judikative schützen. Eine Lehre aus dem Nationalsozialismus.

Die Beamten der Bundestagspolizei haben eine normale Polizeiausbildung, sie tragen aber keine Uniform, sondern treten nur unauffällig in Zivil auf und sind mit Handfeuerwaffen ausgerüstet. Zu erkennen sind sie lediglich an ihren kleinen grün-weißen Ausweisen an der Kleidung. Der Parlamentsbereich wird zudem von einer Leitzentrale aus fast vollständig von Kameras überwacht. Schon am Mittwoch habe man alle Fraktionen und Mitarbeiter über die aktuelle Gefahr unterrichtet, sagt Bundestagssprecher Christian Hoose. Man nehme die Situation ernst, reagiere aber besonnen. Dass der Reichstag ein bevorzugtes Terrorziel sein könne, sei schon lange klar gewesen.

Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch sagte gestern, man sei auf die Lageänderung, die sich durch die erhöhte Anschlagsgefahr ergeben hätte, vorbereitet gewesen und habe zusätzliche Präventionsmaßnahmen ergriffen. Die Bürger reagierten „erfreulicherweise unaufgeregt und mit erhöhter Aufmerksamkeit“. Er könne „nur dazu ermutigen, diese Haltung beizubehalten“.

Die Behörden versuchten gestern auch an anderen exponierten Orten, das alltägliche Bild zu bewahren. Im Hauptbahnhof gingen kaum mehr Uniformierte als sonst Streife. Und die meisten Reisenden blieben bei ihren Gewohnheiten. „Umsatz okay“, sagt der Verkäufer im Segafredo Coffee Shop. „Die Leute bummeln durch die Bahnhofsgeschäfte wie eh und je.“

Vor den Synagogen und anderen jüdischen Gebäuden sowie vor etlichen Botschaften entlang der Tiergartenstraße wurden die sichtbaren Sicherheitsvorkehrungen nur geringfügig verstärkt. Auch vor der Niederlassung Frankreichs am Brandenburger Tor und der schräg gegenüberliegenden US-Botschaft patroullierten nur einzelne Wachmänner mit MPs. „Das Gedränge hier hat sich kaum geändert“, sagt einer. Reisegruppen ließen sich am Pariser Platz ablichten, Velotaxen hatte jede Menge Kundschaft, die meiste Aufmerksamkeit bekam dort das Technische Hilfswerk. Mit einem Kran richteten die THW-Männer den 15 Meter hohen Weihnachtsbaum auf.

Um die Ecke, an der Wilhelmstraße, waren aber zugleich die Absperrpoller an der Britischen Botschaft quer über die Fahrbahn hochgefahren. Nur Fußgänger und Radler durften passieren. Wie notwendig solche Vorkehrungen sind, zeigt ein Rückblick auf Pannen beim Schutz des Reichstages. Gegner des Kosovokrieges ließen 1999 von der Dachterrasse ein Transparent herab. 2000 wurden die Auffahrten zum Osttor mit Steinen versperrt. Damals hatte ein 22-Jähriger versucht, die Glasfront mit seinem Wagen zu durchbrechen. Kurz darauf war ein Mann im Auto die Rampe hinaufgefahren. 2007 warfen Globalisierungskritiker Falschgeld von den Besuchertribünen und seilten sich in den Plenarsaal ab. 2009 befestigte Greenpeace an den Reichstagssäulen ein Anti-Atomkraft-Transparent.

Besucher des Reichstages bewahrten gestern auch angesichts der TV-Teams, die sie interviewen wollten, Humor. „Angst, wieso? Das ist doch das am besten bewachte Gebäude Berlins.“ Und eine Touristin aus Köln erinnerte sich an ihre Gedanken am Morgen. „Da schoss mir durch den Kopf, ob ich mich in Gefahr begebe?“ Aber das „Erlebnis Reichstag“ wollte sie sich nicht nehmen lassen.

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