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Berlin: Berlin ist Schwerpunkt des Visa-Betrugs

Brisanter Bericht des Bundeskriminalamts nennt 90 Firmen und Hotels. Erkenntnisse wurden Berliner Strafverfolgern eineinhalb Jahre vorenthalten

Berlin war offenbar von Schleusungen aus den GUS-Staaten und dem Missbrauch von Visa besonders betroffen. Das geht aus einem jetzt der Berliner Staatsanwaltschaft zugegangenen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) hervor – zu diesen Vorwürfen muss sich am heutigen Montag Bundesaußenminister Josef Fischer äußern. Von den insgesamt 359 Firmen und Geschäftsleuten, die in Deutschland nach BKA-Erkenntnissen mit Reiseschutzpässen gehandelt haben, sind danach 90 in Berlin ansässig. An zweiter Stelle im Bundesgebiet liegt Köln – mit 19 Firmen.

In dem so genannten „Wostok“-Bericht, der dem Tagesspiegel vorliegt, wird detailliert und mit namentlicher Nennung aller Verdächtigen aufgelistet, wie die Schleuser arbeiteten. Neben seriösen Unternehmen finden sich teilweise in Berlin bereits einschlägig bekannte Straftäter in der Aufstellung. Das Bundeskriminalamt hatte die Sonderuntersuchung „Wostok“ (also „Osten“) im November 2001 zur Aufklärung der Schleuserkriminalität begonnen. Auslöser waren damals Gerichtsverfahren gegen Schleuser, die Reiseschutzpässe verwendet hatten.

Die BKA-Expertise hat bei der Berliner Strafverfolgungsbehörde massive Verärgerung ausgelöst. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat den „Wostok“-Report nämlich erst vor zehn Tagen erhalten – mit eineinhalbjähriger Verzögerung. „Der Bericht ist vor wenigen Tagen bei uns eingegangen“, bestätigte Justizsprecher Michael Grunwald dem Tagesspiegel. Er werde jetzt ausgewertet.

Das Bundeskriminalamt hatte den Staatsanwaltschaften den als Verschlusssache eingestuften Bericht nicht von sich zur Verfügung gestellt, sondern ihn lediglich dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Visa-Affäre zur Verfügung gestellt. Seitdem bemühte sich die Berliner Staatsanwaltschaft um den Bericht und stellte eine Anfrage beim BKA. „Das Bundeskriminalamt stellt zusammen, dass etwas verkehrt läuft und stellt das den zuständigen Behörden nicht zur Verfügung“, äußern verärgerte Berliner Strafverfolger ihr Unverständnis.

Die Bundesermittler erkannten beim Visa-Betrug einen deutlichen Schwerpunkt in Berlin. „Es liegen Erkenntnisse zu Berlin vor, die belegen, dass dort mehrere Täterstrukturen bei gleichzeitig hohen Absatzmengen nebeneinander agierten“, heißt es in dem Bericht. Gemeint sind mit Absatzmengen offenbar Prostituierte. „Die festgestellte Häufung der Vertriebspartner in Berlin“ wertet das BKA als „regionalen Brennpunkt“.

Beispiele: Die in Charlottenburg ansässige Firma C. wird vom BKA der „gewerbs- und bandenmäßigen Schleusung mit Hilfe erschlichener Schengen-Visa“ verdächtigt. Über die Botschaften der Ukraine und der Republik Moldau seien 3000 Personen eingeladen worden. Ein durch Firma C. „eingeladener“ Mann wurde in Spanien festgenommen, weil er als Mitglied einer Bande Schutzgeld von Ukrainern erpresste. Schon im Jahr 2000 war die am Kaiserdamm ansässige Firma aufgrund eines Rechtshilfeersuchens der russischen Behörden durchsucht worden.

„Die Schleuser nutzen dabei die Unwissenheit der Arbeitssuchenden über die Möglichkeiten der legalen Arbeitsvermittlung aus, treiben sie in eine Verschuldungssituation und letztlich in die Illegalität“, heißt es in der 172-seitigen Untersuchung. So kamen laut BKA auch zwei Terrorverdächtige aus Tschetschenien mit Hilfe dieser Reiseschutzpässe nach Deutschland. Die meisten Geschleusten wollten in Deutschland oder anderen EU-Ländern durch illegale Beschäftigung Geld verdienen. Frauen würden häufig „zwangsweise der Prostitution zugeführt“. Organisiert wurde der Handel von Schleusernetzwerken, die in Deutschland agierenden Täter werden „von Personen aus dem russischsprachigen Raum“, vor allem von Aussiedlern dominiert.

Vielfach finden sich Hotels im „Wostok“-Bericht. Zum Beispiel das Hotel A. in Reinickendorf. Dessen Geschäftsführer, ein Russe, wird in dem Bericht verdächtigt, seit Anfang 2001 die Einschleusung von Ukrainern organisiert zu haben. Das Hotel war Teil eines kriminellen Geflechts aus Reisebüros in Wilmersdorf und Schöneberg sowie Busreisefirmen. Letztere organisierten den Transport, die Hotels wurden für die Einladungen benötigt. Von den Beschuldigten sollen allein 1598 Ukrainer „eingeladen“ worden sein. Nach BKA-Erkenntnissen stellten mehrere Berliner Hotels massenweise Reservierungsbestätigungen für Ukrainer aus – bezogen wurden die angeblich bestellten Zimmer dann aber nie.

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