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Berlin: Berlin ist seine Kinderheime los

23 Einrichtungen wurden von freien Trägern übernommen. Die Erzieher fürchten um die Qualität

Seit dem 1. Januar hat das Land Berlin keine eigenen Kinderheime mehr. Mit dem Heim „Pawel Kortschagin“ in Buch, dem Haus „Minna Fritsch“ in Pankow und der Marzahner Mühle sind die letzten drei Heime in freie Trägerschaft übergegangen. Insgesamt 23 Einrichtungen haben jetzt einen neuen Besitzer gefunden. Viele haben diesen Umstrukturierungsprozess mit Sorge betrachtet. „Es ist nicht gut, dass das Land Berlin jetzt keine eigenen Heime mehr hat“, sagt Stefanie Nikolai, die das Heim „Minna Fritsch“ geleitet hat. Sie befürchtet, dass die finanzielle Situation freier Träger sich schneller ändern könne als im öffentlichen Dienst und es somit keine Planungssicherheit und weniger Personal gebe. Im Haus „Minna Fritsch“ machen nur gut dreißig Prozent der Erzieherinnen den Trägerwechsel mit. Der Sozialdienst der katholischen Frauen hat die Einrichtung übernommen.

Die Marzahner Mühle gehört jetzt zum Verein „Kinder Lernen Leben e.V. (KiLeLe)“. Auch hier wird es teilweise neues Personal geben. „Aber wir wollen auch eine Beziehungskontinuität zwischen den Kindern und den bisherigen Erziehern bewahren“, sagt Thomas Knietzsch, KiLeLe-Geschäftsführer. Er kann die Sorgen verstehen, die mit einem Trägerwechsel einhergehen. „Wir können als freier Träger natürlich nicht diesselbe Arbeitsplatzgarantie abgeben wie der öffentliche Dienst, aber wir sind flexibler und können neue Konzepte schneller realisieren“, sagt Knietzsch. In der Marzahner Mühle sollen vor allem die Eltern wieder mehr in den pädagogischen Blickpunkt rücken und enger mit den Familien zusammengearbeitet werden.

Ein besonderer Fall ist das älteste Kinderheim Ost-Berlins: Pawel Kortschagin in Buch. Hier hat sich das Heim gewissermaßen selbst geschluckt. Denn Heimleiterin Vera Kluge ahnte nichts Gutes, als klar war, dass sich das Land zurückziehen würde. „Ich sah unsere Philosophie und unser Konzept in Gefahr und habe deshalb selbst einen Verein gegründet“, sagt Kluge. Der Verein heißt „Kindeswohl Berlin e.V.“ und bekam vom Auswahlgremium des Senats und des Jugendaufbauwerks auch den Zuschlag. Seit 1985 leitet Kluge das Heim. „Wir haben gerade nach der Wende einige positive Veränderungen mitgemacht und etwas aufgebaut, was wir nicht aufs Spiel setzen wollten.“

Erste Erfahrungen mit einem neuen Träger hat das Heim „Florian Geyer“ in Treptow bereits gesammelt. Seit Juli ist das Diakonische Werk Neukölln-Oberspree neuer Träger der Einrichtung. Heimleiter Achim Rebbig ist zufrieden. „Wir konnten fast 100 Prozent unseres alten Personals übernehmen und können jetzt viele Projekte schneller umsetzen als vorher“, sagt der Heimleiter. Neue Projekte wie Wohngruppen für Kinder und Mutter-Kind-Unterkünfte seien unkompliziert realisiert worden.

Das Land Berlin ist aber nicht aus der Verantwortung. Denn die Kontrolle über die Heime obliegt immer noch dem Landesjugendamt. „Wir kontrollieren sehr genau, wie in den Heimen gearbeitet wird“, sagt Wolfgang Penkert, Leiter der Abteilung Jugend in der Senatsverwaltung für Bildung und Wissenschaft. Erst vor wenigen Wochen berichteten ehemalige Heimkinder vor dem Petitionsausschuss des Bundestages über Misshandlungen, Zwangsarbeit und Folter in den Fünfziger- und Sechziger Jahren vorrangig in Westdeutschland. „Das war aber eine andere Zeit, heute gibt es viel mehr Kontrollen und ein viel differenzierteres Heimwesen“, sagt Penkert.

Verändert hat sich auch die Klientel. „Es gibt immer mehr Kinderschutzfälle aus verwahrlosten Familien“, sagt Achim Rebbig vom Kinderheim „Florian Geyer“. Es seien nicht mehr die Eltern, die Hilfe suchten, sondern meistens komme das Jugendamt oder die Polizei und verordneten eine Heimunterbringung. Das bestätigt auch Vera Kluge von Pawel Kortschagin: „Die Verwahrlosungstendenz ist massiv – Gründe dafür sind sicher der immer niedrigere Bildungsstand vieler Eltern, die hohe Arbeitslosigkeit und die Perspektivlosigkeit.“

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