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Berlin: Berlin, jeden Tag anders – schon 1885

Eine Ausstellung zeigt Werke des kaiserlichen Hoffotografen Albert Schwartz

„Berlin, wie hast du dir verändert!“ In diesen Seufzer des dichtenden Ingenieurs Heinrich Seidel hat wohl auch sein Zeitgenosse, der kaiserliche Hoffotograf F. Albert Schwartz (1836–1906) eingestimmt. Von dem brachialen Umbau Berlins um die Gründerzeit lebte er in gewisser Weise aber auch – der bedeutendste Kamera-Chronist dieser stadtgeschichtlichen Phase, später „Das Gewissen der Stadt“ genannt.

Längst verschwundene Spreebrücken, Passantengewimmel am alten Potsdamer Platz, das unfertige Reichstagsgebäude von Baugerüsten umstellt, das und noch viel mehr fing Schwartz mit seinen Plattenkameras ein. Ein anderes, versunkenes Berlin ist in der umfangreichen Schwartz-Schau im Ephraim-Palais zu erleben. „Schwartz hat Sichtweisen entwickelt, die man eigentlich den 1920er-Jahren zuschreibt“, schwärmt die Kuratorin Ines Hahn und schildert, wie Schwartz schon früh ungewöhnliche Perspektiven wählte und sich für abstrakte Strukturen interessierte: Wie Schwartz die Raumflucht der eisernen Bahnhofskonstruktion am Alexanderplatz fotografierte – das wirkt tatsächlich verblüffend modern.

1851 übernimmt der Buchbindersohn F. Albert Schwartz das Fotoatelier seines Onkels in der Friedrichstraße. Sein Atelierbetrieb, mit dem er viermal innerhalb Berlins umzieht, liefert Lichtbilder, Sonderalben und Postkarten aller fotografischen Genres. Früh und zunächst vergeblich kämpft er beim Magistrat um einen Etat zur systematischen Ablichtung denkwürdiger Bauwerke. Erst 1986 – mit einer Ausstellung Berliner Ansichten im Roten Rathaus – können die Stadtoberen überzeugt werden.

Die Berliner Bevölkerung wuchs in jenen Jahren geradezu explosionsartig. Viel Bausubstanz musste Mietskasernen weichen. Im Jahr 1878, Fotoplatten waren noch nicht sehr empfindlich, mussten für Schwartz hunderte Arbeiter einer Stadtbahn-Grube minutenlang stillstehen, inmitten eines Gewirrs von Leitern und Holzstegen im märkischen Sand. Das Berliner Leben war eine Baustelle, schon damals. Ohne F. Albert Schwartz wüssten wir wenig davon.

Camera berolinensis, Ausstellung im Ephraim-Palais, bis 7. Januar, Do–So 10–18 Uhr, Mi 12–20 Uhr, der Katalog im Nicolai-Verlag kostet 34,90 Euro.

Jens Hinrichsen

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