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kreuzberg bergmannstraße

© Mike Wolff

Berlin-Kreuzberg: Hin und weg vom Kiez

Berlin-Kreuzberg wird zunehmend zu einem teuren Pflaster: Steigende Mieten setzen Einwohner mit niedrigen Einkommen im Bergmann- und Graefekiez, aber auch in SO 36 unter Druck. Eine aktuelle Studie sieht einen deutlichen Trend zur Verdrängung.

Menschen mit höherem Einkommen leben wieder gerne in den zentralen Bezirken. Kreuzberg profitiert davon – oder leidet darunter, je nach Sichtweise. Die Altbauviertel jedenfalls haben an Attraktivität gewonnen, die Mieten steigen. Das zeigen die Ergebnisse der neuesten Studie zu den drei Milieuschutzgebieten Bergmannstraße-Nord, Graefestraße und Luisenstadt (SO 36), die das Büro Topos Stadtforschung im Auftrag des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg erstellt hat. In jedem der drei Gebiete wurden rund 800 Fragebögen ausgewertet. Da Topos die Untersuchungen alle zwei bis drei Jahre vornimmt, und das seit über zehn Jahren, lassen sich auch längerfristige Veränderungen nachvollziehen.

Milieuschutzgebiete wurden in Kreuzberg ab Mitte der 90er Jahre eingeführt, um die soziale Mischung der Bevölkerung zu wahren und eine Verdrängung zu verhindern. Fünf solcher Areale gibt es heute im Altbezirk. In den drei untersuchten Gebieten zeigen die Zahlen in nahezu allen Bereichen – außer bei den Arbeitslosen – nach oben. Die Bevölkerung ging ab 1997 zunächst wegen der Abwanderung ins Umland zurück. Nach einem Tiefpunkt zu Beginn des neuen Jahrzehnts stieg sie aber wieder an, im Gebiet Graefestraße, das vom Kottbusser Damm bis zum Urban-Krankenhaus reicht, sogar steil. Darunter sind viele Selbstständige, allerdings nicht mehr der klassische, sozial abgesicherte Typus, sondern Vertreter einer prekären Form von Selbstständigkeit, die häufig mangels Alternativen begonnen wird.

Das teure Gebiet zwischen Bergmannstraße und Halleschem Tor, das wie zu erwarten in der Studie ganz vorn liegt, ist deshalb das einzige, in dem der Anteil der Selbstständigen zurückgegangen ist. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen ist dort mit 2000 Euro und der Mietpreis pro Quadratmeter mit 5,46 Euro am höchsten. „Wir beobachten eine Vorreiterrolle der Bergmannstraße. Die Graefestraße wird in ein paar Jahren auch dort angekommen sein“, sagt Sigmar Gude von Topos.

Bei der Luisenstadt dürfte das noch wesentlich länger dauern. Das größte der drei Milieuschutzgebiete liegt zwischen Kottbusser Tor und Spree nördlich und südlich der U-Bahnlinie 1. Hier liegt die Arbeitslosigkeit bei 22 Prozent, bei den Migranten teilweise bei 40 Prozent. Sie sind außerdem von der Einkommensentwicklung der deutschstämmigen Bewohner weitgehend abgekoppelt. Dennoch könne, so Gude, von einem Absturz in gettoähnliche Strukturen keine Rede sein. In den Wohnblocks zwischen Reichenberger Straße und Paul-Lincke-Ufer würden sich sogar deutliche Tendenzen der Verdrängung einkommensschwacher durch einkommensstarke Mieter zeigen. Aber selbst in der Wrangelstraße gäbe es Aufwertungstendenzen, so Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) bei der Vorstellung der Studie. Auch die emotionale Bindung an den eigenen Kiez ist in SO 36 stark gewachsen. Wollten 2002 noch 33 Prozent der Bewohner das Gebiet verlassen, sind es jetzt nur noch 23 Prozent. In keinem anderen von Topos untersuchten Gebiet in Berlin hat die Bindung stärker zugenommen als hier.

Und das, obwohl die Kaltmieten auch in der Luisenstadt wie in den anderen beiden Gebieten kontinuierlich stärker als der Mietspiegel gestiegen sind. Rund 30 Prozent, mit Warmmiete 35 Prozent des Einkommens werden inzwischen dafür ausgegeben. Betroffen von steigenden Mieten sind vor allem die neu Zugezogenen. Der Milieuschutz hilft den Altmietern, die während der Modernisierungen in den 90er Jahren in ihren Wohnungen geblieben sind. Bei ihnen sind die Mieten am geringsten gestiegen. Bei den Neumietern gibt es dagegen vor allem nördlich der Bergmannstraße Sprünge von bis zu eineinhalb Euro pro Quadratmeter.

„Die Studie dient uns vor allem dazu, die Fortschreibung des Milieuschutzes rechtlich zu begründen“, so Schulz. Wenn es darum geht, aufwändige Modernisierungen – und damit verbunden steigende Mieten – zu verhindern, seien dem Bezirk sowieso die Hände gebunden. So waren Umbau oder Abrisse früher genehmigungspflichtig, jetzt würde der Bezirk im Rahmen des neuen Baubeschleunigungsgesetzes nicht mehr automatisch davon erfahren. „Wir haben damals dagegen gestimmt und sind als Trottel beschimpft worden“, sagt der Bürgermeister. „Allein in den Milieuschutzgebieten haben wir noch eine zarte Möglichkeit zum Eingreifen.“ Sigmar Gude ist der Meinung, der Senat habe blauäugig gehandelt, als er die meisten Restriktionen für Bauherren abschaffte: „Eine Stadt wie diese braucht Steuerungsinstrumente.“

Für Sonnabend hat die Initiative „Mediaspree versenken!“, die die Mietpreisentwicklung für dramatisch hält, zu einer Demonstration aufgerufen. Die Studie soll in den nächsten Tagen auf der Internetseite des Bezirksamtes veröffentlicht werden.

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