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Berlin: Kunst aus dem Zigarettenautomaten

Unsere Autorin war auf Entdeckungstour in Berlin und hat die Kunstautomaten entdeckt. Da kommen keine Zigaretten raus, sondern Gedichte und Zeichnungen.

"Es war einmal ein Automat,
der sah von außen schlicht aus
und wenn man kräftig gegen trat
kam unten ein Gedicht raus.“
                            - Bas Böttcher, Poetry Slammer
Mit müden Augen muss ich erkennen, dass die Sonne wieder aufgeht. Die Nacht war lang. Ich laufe die Weserstraße entlang. Vor mir ein Automat, der mich mit seinen bunten Farben und Formen anzieht. Trotz wirrem Kopf erkenne ich, dass dieser Kasten etwas besonderes sein muss und hoffe, dass auch die Zigaretten, die in ihm schlummern, anders sind als alle anderen. Langes Herumkramen nach dem nötigen Kleingeld in rechter und linker Hosentasche. Ich stutze. Ich entziffere die rot geschriebenen Buchstaben, die diesen Automaten zieren. "Kunstautomat"? Belustigt grübele ich, welcher heldenhafte Vollidiot die Zigarette zum Kunstprodukt erkoren hat. Zuzutrauen wäre es vielen. 

Ich werfe das passende Kleingeld ein und freue ich mich, schon gleich wie Picasso durch Neukölln zu schreiten mit „Nikotinkunst“ zwischen den Lippen. Eine Schachtel fällt, ich entnehme sie, öffne sie und halte in den Händen - ein Gedicht.                                 

In diesen Kunstautomaten stecken Überraschungen in Form von Lyrik, Prosa, Bildern, Drucken - Hauptsache, sie finden in einer kleinen Schachtel Platz. In Museen und Ausstellungen halten Berührungsängste oft davon ab, sich auf die große Kunst einzulassen, deshalb kommen einem hier zum Beispiel kleine Gedichte, Radierungen und Holzschnitte direkt entgegen. Hinter dieser Idee steckt der Galerist Lars Kaiser, der sich darüber ärgerte, dass seine Kunden nach Ladenschluss keine Kunst mehr kaufen konnten.

..und so sieht das dann aus.
..und so sieht das dann aus.

© Antonia Barthel

„Ich wollte Kunst dort hinbringen, wo sie niemand erwartet“, hat er einmal in einem Interview gesagt. Die Schachteln gleichen ganz normalen Zigarettenschachteln und werden von einer Behindertenwerkstatt der Diakonie in Potsdam gefalzt und geklebt. In diesem Kunstprojekt können Künstler ihre Kunst verkaufen und sich der Öffentlichkeit vorstellen. Für Lars Kaiser ist es wichtig, dass die Künstler ein Studium abgeschlossen haben und nicht ganz unbekannt sind. Zu jedem Kunstwerk wird ein Beipackzettel gelegt, der Informationen zu Leben und Werken des Künstlers enthält.

Klein und originell, eignen sich die Kunstschachteln zum Verschenken. Denn man beweist doch gerne vor der Liebsten, den Freunden und der Oma ein bisschen Kunstverstand. Wem das Talent zum selber Schreiben/Malen/Basteln fehlt, kauft am Automaten und erfreut trotzdem! Aber aufgepasst: „Diese Kunst kann verwirren, erhellen, aufregen und süchtig machen! Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie sich selbst und schreiben Sie die Antwort“, steht auf den Schachteln.
Berliner Automaten

Weserstr. 180 (Neukölln) Samariterstr. 23 (F-Hain) Kastanienallee 103 (im Cafe) Rykestr. 15

Die Autorin Antonia Barthel schreibt auf unserem neuen Jugendblog "Schreiberling". Lust auf mehr? Werdet unsere Freunde auf www.facebook.de/Schreiberlingberlin oder folgt uns auf www.twitter.com/schreiberling_. Fanpost und Kritik an schreiberling@tagesspiegel.de

Antonia Barthel

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