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Er liebte sie doch alle. Was von Stasi-Minister Mielke und seinen Genossen übrig blieb, ist in einer Ausstellung zu sehen.

© dpa und Kitty-Kleist-Heinrich

Berlin-Lichtenberg: Neue Ausstellung in früherer Stasi-Zentrale

Eine neue Ausstellung soll die einstige Stasi-Zentrale als Ort der Geschichte erlebbar machen. Dabei soll’s aber nicht bleiben.

Tom Sello strahlt. Es geht voran. Im Hof vor dem Haus 1 der Stasizentrale an der Lichtenberger Ruschestraße wird mit vielerlei Baugerät ein wichtiges Ereignis vorbereitet. „Am 15. Juni eröffnen wir hier die neue umfassende Open-Air-Ausstellung zur friedlichen Revolution und zum Mauerfall“, sagt Projektleiter Sello von der Robert-Havemann-Gesellschaft.

Wo sich einst die Schranke für Erich Mielkes schwarzen Volvo hob und der Minister, begrüßt von Marx und Lenin im Foyer, in sein Büro im zweiten Stock eilte, wird nun, 27 Jahre später, auf mauerhohen, mit 650 Fotos und Dokumenten bestückten Elementen die Vergangenheit wieder lebendig.

Diese Schau im Vorhof der eigentlichen Machtzentrale der DDR ist das Pendant jener Ausstellung, die vor zwei Jahren unzählige Besucher auf den Alex lockte. Tom Sello spricht von einem ganz neuen Element inmitten der grau-braunen, bedrückenden Enge zwischen den Fassaden der Stasizentrale: „Diese Schau beantwortet die Frage, wie es zum gesellschaftlichen Umbruch und zur friedlichen Revolution mit dem Fall der Mauer kam“ sagt er.

In der Open-Air-Schau wird quasi die Geschichte weitergesponnen: Was führte zur friedlichen Revolution? Im Mielke-Haus 1 kann man in einer famosen Ausstellung dem seltsamen Stasigeist von damals ganz nahekommen. Wie war das mit dem Schild und Schwert der Partei? Wie viele Leute arbeiteten eigentlich in den 49 Häusern auf einer Fläche von zwei Quadratkilometern im „Dienstobjekt Normannen-/Gotlindestraße“? Wie funktionierte (oder versagte) der Apparat zur Sicherung der SED-Herrschaft?

Drei Liter Cognac vom KGB

Hier gibt es auf drei Stockwerken die Antworten. Und als Zugabe diverse Geheimnisse: Einen Koffer mit eingebauter Minikalaschnikow Marke Skorpion – James Bond hätte sich kaputtgelacht –, das Konterfei von Feliks Dzierzynski als Zierde auf einem Cognacschwenker, den der KGB dem Genossen Mielke geschenkt hatte (Inhalt: ca. drei Liter!) und die Anweisung des Ministers, wie der Frühstückstisch zu decken sei: Stoffserviette, Besteck rechts, Ei im Becher, viereinhalb Minuten weich und bitte angepickt. Steht alles auf einem Zettel fürs Personal.

Das war die Vergangenheit. Die neue Ausstellung „Revolution und Mauerfall“ unter freiem Himmel zeigt die Repressionen der SED-Staatssicherheit und ihre Folgen: Weshalb ging das Volk 1989 auf die Straße? Wer bot dem Staat die Stirn? Um welchen Preis? Wie führte der neue aufrechte Bürgergang zuerst zum Mauerfall, dieser friedlichen Revolution, und dann ins einig deutsche Vaterland? Die Ausstellung ist rund um die Uhr kostenfrei zu besichtigen und wird, da ist sich Tom Sello sicher, ein Anziehungspunkt, nicht nur für Touristen: Das Interesse an der Geschichte der Hauptstadt sei ungebrochen, hier, direkt am Tatort in Lichtenberg, sogar besonders augenfällig.

Stasi-Unterlagen befinden sich noch hier

Kaum einer kann auf Anhieb sagen, wie viele Zimmer es in den Häusern gibt und wie viele davon seit 25 Jahren kein Staubtuch gesehen haben. Mehrfach wechselten die Besitzer, der Staat verscherbelte Teile seines merkwürdigen Erbguts, es gibt ein paar Arztpraxen, einen Frisör, aber weit und breit nicht mal ’ne Bockwurst. Ein Haus ist mit Planen verhangen, in einem anderen lagern die Stasiunterlagen. Auch noch 25 Jahre nach dem Mauerfall sei der Andrang auf die Akten so groß, dass man derzeit mit drei Jahren bis zum Einblick in sein Stasidossier rechnen müsse, sagt Tom Sello.

Roland Jahn: Gelände ist auch Lernort für Demokratie

Gerade finden „Citizen Art Days“ auf dem Gelände statt, Roland Jahn, der Bundesbeauftragte für die Stasiunterlagen, sagt dazu: „Das Archiv ist an diesem Ort, dem Ort der Entstehung der Dokumente und der Planung und Repression, ein Monument der Überwachung. Aber weil diese Art auch dafür steht, dass Menschen die Repression überwunden haben, eignet er sich besonders für die Auseinandersetzung um das Wesen von Demokratie und Diktatur. In dem Sinne kann der Innenhof mit den historischen Gebäuden als ein Campus und Lernort für die Demokratie begriffen werden.“

Mielkes Revier als Schule der Demokratie? Ist nicht schon der Stasiknast in Hohenschönhausen ein authentischer Ort? Die Mauergedenkstätte? Der Bendlerblock? Der Ort der Information unter dem Holocaust-Mahnmal? Der Platz des 17. Juni? Kann man in der Hauptstadt des Gedenkens alles in einen Topf werfen? Wohl nicht. Aber in der Normannenstraße sind nun einmal alle Aktivitäten zum Verstehen und Dokumentieren jüngster Historie möglich. Platz gibt es genug.

Bis 2019 soll der Campus fertig sein

Der Stoff, aus dem die Akten sind, ist eine unendliche Geschichte. Immer mehr bekunden ihre Sympathie für den Plan, der übrigens schon im Koalitionsvertrag von 2013 nachzulesen ist. „Das Areal soll zu einem lebendigen Ort für Forschung, Bildung und Diskussion werden“, sagen auch die Grünen, das Projekt hätte nationale Bedeutung und benötige mehr Engagement des Landes, denn zum 30. Jubiläum der friedlichen Revolution anno 2019 soll der Campus fertig sein. Dann möchten Tom Sello und die Havemann-Gesellschaft mit ihren Dokumenten des Widerstands längst in Lichtenberg sein, denn sie müssen bis Ende Juli ihr Archiv in der Schliemannstraße räumen, weil ein neuer Eigentümer eine Wohnung ausbauen möchte. Seit zwei Jahren gibt es auch einen „Förderkreis Campus der Demokratie“ mit einem dynamischen, 33 Jahre jungen Vorsitzenden. Danny Freymark sitzt für die CDU im Abgeordnetenhaus, kommt aus Lichtenberg und kennt die Sisyphusarbeit solcher Pläne und Entscheidungen bei acht Eigentümern auf dem Areal. „Wir müssen den wichtigen Ort so schnell wie möglich entwickeln“, sagt er, „meine Generation soll die Dinge bewahren, ehe sie verloren gehen.“

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