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Berlin-Marathon: Mit aller Kraft durch die Stadt

Ob Helfer, Arzt, Fan oder Sportler: Hunderttausende waren an der Strecke dabei. Hier stellen wir einige markante Protagonisten vor.

Verschwitzt waren sie, müde, am Ende ihrer Kräfte, und doch waren sie vor allem eines: stolz. 41 000 Teilnehmer zählte der diesjährige Marathon bei schönstem Sonntagswetter. Hunderttausende kamen zur Strecke, viele aus der ganzen Welt, manche auch nur aus dem Kiez nebenan, um Freunde und Verwandte, Kinder, Kollegen und auch Unbekannte auf ihrem 42,195 Kilometer langen Weg anzufeuern und sie zu unterstützen – mit Plakaten, Trompeten, frischem Wasser. Hier erzählen wir ihre Geschichte.

DER ÄLTESTE LÄUFER

Gut geschlafen hat er letzte Nacht nicht. „Aber das ist vollkommen normal vor einem Marathon“, sagt Werner Sonntag. Er muss es wissen: 335 Marathons ist der 83-Jährige in seinem Leben gelaufen, und das sind sogar mehr als 335 mal 42,195 Kilometer. Denn die Ultra-Marathons, die noch wesentlich länger sind, zählt der pensionierte Journalist aus Ostfildern bei Stuttgart gar nicht erst extra. In Berlin startet er an diesem Morgen zum zwölften Mal auf die Marathonstrecke. Als einige Läufer um ihn herum im Startblock auf der Straße des 17. Juni mitbekommen, dass neben ihnen der älteste Teilnehmer steht, sind sie fassungslos: „Er sieht höchstens aus wie 65“, flüstert Michael Tröger ehrfürchtig. Der 47-jährige Stuttgarter bestreitet an diesem Tag seinen ersten Marathon und schüttelt Sonntag lange die Hand – voller Begeisterung, den „Marathon-Vater“ getroffen zu haben. Der hat 1968 seinen ersten Marathon absolviert, und nachdem er pensioniert war, hat er erst richtig losgelegt: Bis zu zehn Marathonläufe hat er bis 2005 pro Jahr bestritten, als 2006 eine Bypass-Operation notwendig wurde, hat er sein Pensum reduziert – schweren Herzens. „Der Abschied tut weh, und ich werde es langsam auslaufen lassen“, so Sonntag. Er hat sich einen flotten Walking-Schritt vorgenommen. „Und wenn mich auch der Besenwagen überholt: Ankommen ist alles“, sagt Sonntag und lockert noch mal die Beine. Am Start ist auch die Jüngste bei diesem Lauf, Anna-Katarina Noryskiewicz aus Steglitz-Zehlendorf, 18 Jahre ist sie alt. Seit 13 Jahren trainiert sie nun schon mit ihrem Vater. Und das hier, das ist ihr erster Marathon. Für den zweiten fährt sie extra nach Barcelona.

DIE SCHNELLE ÄRZTIN

Blasenpflaster, Eisspray, Kopfschmerztabletten – Margrit Lock, Fachärztin für Orthopädie und Sportmedizin, kontrolliert noch einmal die kleine Tasche an ihrem Fahrradlenker. Ja, es ist alles da, was die Fahrradärztin beim Marathon braucht. „Wir sind acht Ärzte, die neben den Läufern herfahren und so besonders schnell auf kleine gesundheitliche Probleme reagieren können“, sagt die 44-Jährige aus Tempelhof. Die Ärzte sind Läufergruppen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zugeteilt. Weil am Start zu großes Gedränge herrscht, stoßen die Fahrradärzte allerdings erst bei Kilometer 8 an der Torstraße zu ihrem jeweiligen Läuferfeld. Lock begleitet die Teilnehmer, die in einer Zeit von rund vier Stunden ins Ziel kommen werden. Im letzten Jahr waren das um die 17 000 Läufer. Kann man bei diesen Menschenmengen überhaupt den Überblick behalten? „Wir versuchen es, und meistens klappt es ganz gut“, sagt Lock. Wenn ein Läufer ihr signalisiert, dass er Hilfe braucht, fährt sie schnell hin. Sie schaut aber auch selbst nach Teilnehmern, die offensichtlich Probleme haben. „Manche überschätzen sich einfach, gerade bei so warmen Temperaturen wie heute. Die Folge sind Herz-Kreislauf-Probleme“, sagt sie – die es gestern aber nicht gab, nur über Muskelprobleme klagten Teilnehmer, nichts Schlimmes. Lock hat schon beim Marathon geholfen, als sie längst noch keine Ärztin war: Vor fast 30 Jahren hat sie im Startbereich noch die Sportkleidung der Teilnehmer zusammengesucht. Damals ging das noch, bei weniger als einem Zehntel der heutigen Anzahl an Läufern.

DIE HELFER-FAMILIE

Falls es ein Marathonhelfer-Virus gibt, dann ist Familie Ludwig sicherlich infiziert: Seit elf Jahren sind die Ludwigs als Helfer beim Berlin-Marathon dabei. Erst Mutter Sylvia zusammen mit ihrem ältesten Sohn Marco, der damals neun war. Denn während Vater Peter auf der Strecke lief, wollte sie wenigstens auch etwas zu tun haben. Dann kamen auch die kleineren Kinder mit dazu, mittlerweile sind vier Mitglieder der Familie aus Großbeeren an der Strecke aktiv. Bei Kilometer 20, an der Möckernbrücke, Ecke Yorckstraße, helfen sie an den Verpflegungsständen, geben isotonische Getränke, einfaches Wasser, Äpfel und Bananen an die Läufer aus. Jedes der Kinder, Marco (18), Fabian (16), die gerade 14 gewordene Tabea und Marcel (19), ein enger Freund der Familie, hat dabei seine ganz spezielle Aufgabe. „Das ist reine Fließbandarbeit“, sagt Ludwig. Wenn in der Hauptzeit zwischen 11 und 12 Uhr die meisten Läufer vorbeikämen, könne man keinen klaren Gedanken mehr fassen. Doch der Einsatz lohne sich jedes Jahr, so die 43-jährige Pädagogin: „Viele Läufer nehmen das ganz toll an, wenn man ihnen helfen kann.“

DIE KOSTÜMIERTEN

Seine Kleidung und sein Hut sind grün, sein roter Bart ist ganz lang und zottelig. Eigentlich gilt der Leprechaun, ein koboldartiges Fabelwesen aus der irischen Mythologie, eher als menschenscheu und eigenbrötlerisch. Doch heute hat er sich unter die 40 000 Marathonstarter gemischt und läuft sogar mit, ein lustiges Lächeln auf dem Gesicht. Ist es nicht anstrengend, in so einem Kostüm zu laufen? „Nein, das geht schon“, sagt Rod Ashman aus England. Er hat nämlich auch schon als Clown, Super-Hero oder Elvis verkleidet an Marathons teilgenommen, der in Berlin an diesem Sonntag ist sein fünfundzwanzigster. „Damit sammle ich Geld für Kinderhilfsprojekte“, erzählt der 58-Jährige. „Wenn ich ins Ziel komme, öffnen die Sponsoren in meiner Heimat ihre Geldbeutel.“ Dann lüftet er seinen Hut und läuft fröhlich weiter. So griesgrämig wie ihr Ruf scheinen die irischen Trolle gar nicht zu sein.

DIE FANS

„Motivations- und Verpflegungsstation Nützje“ steht auf dem Schild, das Natalie Steffen auf der Konrad-Adenauer-Straße in die Höhe hält. „Nützje ist Kölsch und heißt Schätzchen“, erklärt die 36-Jährige, die hier auf der Spreebrücke bei Kilometer sieben auf ihren Freund wartet. Der heißt Andreas Müller und ist einer von acht Läufern dieses Namens beim Berlin-Marathon. Gerade rast der Kölner vorbei, allerdings in der Mitte der Brücke, so dass er nicht zu seinem „Nützje“ kommen kann. „Mensch, an der Ideallinie treffen wir uns, wie oft haben wir das geübt!“, ruft seine Freundin ihm lachend hinterher. Neben ihr steht Anne Schnettler, ihr Freund Björn ist schon längst durch. Er ist einer von nur wenigen hundert, die die Berliner Strecke in einer Zeit unter 3:00 Stunden absolvieren. „Nun müssen wir aber auch schnell weiter, wir wollen die Männer noch an vier weiteren Stationen treffen“, sagen die engagierten Betreuerinnen, schultern ihr Schild und gehen strammen Schrittes Richtung S-Bahn Oranienburger Straße.

DIE STARTSCHUSS-GEBER

Etwas verkniffen hat er geschaut, so eine polierte Waffe hat man schließlich nicht jeden Sonntagmorgen in der Hand. Doch den Startschuss, exakt um 9 Uhr, hat Joachim Löw, der Trainer der deutschen Fußballnationalmannschaft, dann doch hinbekommen. Und zwar zusammen mit dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Löw trug an diesem Vormittag ausnahmsweise mal keinen schicken Designeranzug, sondern eine knallgelbe Trainingsjacke. Nicht verzichtet hat er dagegen auf den obligatorischen Schal, den er sich um den Hals gewickelt hatte. Das Laufen liegt ihm übrigens auch am Herzen, wenn es nichts mit einem Rasen zu tun hat, auf dem zwei Tore stehen: Löw unterstützt die Aktion „Kinder laufen für Kinder“ zugunsten der SOS-Kinderdörfer. Und er ist auch schon selbst Marathon gelaufen für den guten Zweck, 2007 etwa, in Düsseldorf. Diesmal ließ er die Sportschuhe aber stehen. Eva Kalwa

Das Wetter super, die Stimmung fantastisch: Besser hätten es die 41 000 Läufer und hunderttausende Zuschauer an der Strecke des 36. Berlin-Marathons am Sonntag kaum treffen können. Und auch wenn der Bilderbuchtag nicht von einem neuen Weltrekord des Siegers Haile Gebrselassie gekrönt wurde, war der 42,195 Kilometer lange Lauf durch die Stadt für Teilnehmer und Zuschauer ein tolles Sporterlebnis.

Wer auf einer der Spreebrücken wie zum Beispiel auf der Konrad-Adenauer-Straße bei Kilometer sieben stand, konnte sogar den Eindruck gewinnen, die Stadt bebe: So sehr schwankte die Konstruktion, als Hunderte von Läufern gut zwanzig Minuten nach dem Start am Kleinen Stern gegen halb zehn auf die Brücke stürmten. Vor ihnen die Spitzengruppe mit Gebrselassie, hinter ihnen Abertausende von Läufern, die sich vorgenommen hatten, in einer Zeit von drei, vier oder fünf Stunden im Ziel auf der Straße des 17. Juni anzukommen.

Damit diese persönlichen Ziele leichter eingehalten werden konnten, gab es sogenannte „Hasen”, die ein bestimmtes Tempo vorgaben. Ein beschrifteter Luftballon zeigte die Zeit an, in der diese Läufer in etwa hinter dem Brandenburger Tor ankommen würden. Auch der Äthiopier Gebrselassie hatte natürlich mehrere Tempo-Macher dabei. Mit „Haile, Haile!“-Chören und auf der gesamten Strecke von über 70 Musikgruppen angefeuert, überlief der 36-Jährige die 30-Kilometer-Marke auf dem Hohenzollerndamm in Schmargendorf in der inoffiziellen Weltrekordzeit von 1:27:49 Stunden. Wenige Minuten später war er dann aber allein, sein letzter Begleiter war ausgestiegen und Gebrselassie musste sich bei Temperaturen um 24 Grad allein dem Ziel entgegenkämpfen. Daher vielleicht gewann er am Ende zwar als erster Läufer überhaupt zum vierten Mal in Folge den Berlin-Marathon, konnte aber seinen Weltrekord nicht unterbieten. Im Ziel bedankte sich Gebrselassie beim Berliner Publikum für die „wundervolle Atmosphäre“ und drehte dann mit WM-Bär Berlino eine Siegerrunde.

Rund 18 Minuten nach dem Äthiopier kam Landsfrau Atsede Besuye an, die erste von fast 9000 Frauen. Wie auch die rund 32 000 männlichen Läufer sowie die Handbiker und Rollstuhlfahrer wurden sie von tausenden Zuschauern am Brandenburger Tor und auf den Tribünen am Ziel beim Sowjetischen Ehrenmal mit lautem Klatschen und Jubel empfangen. Da die Tribünen, Absperrungen und Zelte nicht alle bis gestern Abend abgebaut werden konnten, bleibt die Straße des 17. Juni für den Autoverkehr heute noch gesperrt. Zahlreiche „Finisher“ des Marathons dürfte das wenig stören: Sie feierten nach dem Lauf im „Goya“ am Nollendorfplatz und freuen sich nach der Anstrengung auf langes Ausschlafen und einen freien Tag.

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