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Berlin-Mitte: Geheimnisvolle Statue aus Spreekanal geborgen

Trümmer eines versunkenen Reiches: Mit großem Aufwand wurde eine alte Statue aus dem Spreekanal in Mitte geborgen. Sie dürfte von der Neuen Münze stammen, die einst am Schlossplatz stand - ihre Identität ist aber unklar.

In der Hauptstadt lässt sich ja inzwischen fast alles touristisch vermarkten, wie die globale Begeisterung selbst für triste Kieze und verrumpelte Locations beweist. Der einzig unhippe Ort ist bisher – neben Kaulsdorf-Nord vielleicht – die Unterwasserwelt. Der Killerwels vom Schlachtensee beißt höchstens Eingeborene, und die auch nur im Sommerloch. Und nun das: Sechs Tage vor Weihnachten hat die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zu einem Termin geladen, der die Zutaten einer großen Geschichte enthält: eine geheimnisvolle Frau, um die sich gleich mehrere Männer bemühen, die Trümmer eines versunkenen Reiches und einen Feuerwehrkran.

Wie Tropenfische blitzen die neongrünen Schwimmflossen der drei Feuerwehrtaucher am Mittwochmittag im Wasser des Spreekanals zwischen Staatsratsgebäude und Auswärtigem Amt. Das Wasser ist so klar, dass man fast bis zum Grund in drei Meter Tiefe sehen kann. Am Ufer steht ein Feuerwehrmann vor zwei aufgeklappten Koffern und spricht Kommandos wie „Kissen zwei: Luft drauf!“ in sein Headset. Per Funk ist er mit den Tauchern verbunden, die zwei Riemen um die Skulptur geschlungen haben, die wohl seit mehr als 60 Jahren am Grunde dieses Gewässers liegt.

Einst zierte sie das Dach der Neuen Münze. Von 1871 bis 1945 befand sich die von August Stüler entworfene Münzprägestätte hier. Im Krieg schwer beschädigt, wurde sie bis 1951 abgetragen. Doch erst 2012 bemerkten Taucher der Schifffahrtsverwaltung bei Arbeiten am nahen Wehr die Figur. Im Mai nahm sich dann Doris Wollenberg ihrer an: Als wissenschaftliche Volontärin beim Landesdenkmalamt hat sie die Bergung vorbereitet, Behörden vom Auswärtigen bis zum Tiefbauamt waren involviert. Schließlich darf der Kran in diesem prominenten Boden keinen bleibenden Eindruck hinterlassen.

Nach zwei Stunden Vorbereitung ist es am Mittag so weit: Zwei aufgeblasene Luftkissen haben die Skulptur so weit vom Grund gehoben, dass sie in die Mulde – eine Art offenen Container – gehievt werden kann, die am Kranhaken sanft ins Wasser gesunken ist. Ein Dutzend Feuerwehrmänner ist konzentriert dabei, als sich nach einer Viertelstunde die Ketten straffen und die Mulde triefend an Land schwebt. In ihr liegt, gepolstert auf Autoreifen, die Skulptur: Ohne Hände, Kopf und Füße, mit tausenden kleinen Muscheln am wallenden Gewand. Dazwischen kringeln sich winzige graue Krebstiere oder Asseln.

Doris Wollenberg schaut ganz feierlich und fotografiert. Wann und wie die noch etwa zweieinhalb Meter lange Figur ins Wasser geraten ist, weiß sie noch nicht. Selbst ihre Identität ist unklar, denn auf dem Dach der Münze standen vier Figuren: Germania, Borussia, Friede und Überfluss. Der Haltung nach dürfte es sich um eine der beiden Letzteren handeln. Klar ist nur, dass sie erst einmal nach Friedrichsfelde ins Depot gefahren, gereinigt und begutachtet wird. Vielleicht könne sie ja später bei der Staatlichen Münze gezeigt werden, sagt die Denkmalpflegerin.

Noch einmal setzt der Kran an und hebt die Figur auf einen Anhänger. Wie Schneewittchen liegt die Statue nun auf einem dicken Polster mit einem Lattenrost aus Euro-Paletten. Doris Wollenberg eilt zu den Feuerwehrleuten, um sich zu bedanken. Zwei der Taucher haben für diesen Einsatz ihren freien Tag geopfert, damit genügend Kollegen für akute Notfälle verfügbar bleiben. An einen vergleichbaren Einsatz können sie sich nicht erinnern. Allerdings hatte den Großen Kurfürst samt seinem Pferd einst ein ähnliches Schicksal ereilt: Als er Anfang 1946 aus seinem sicheren Exil zurück nach Berlin gebracht werden sollte, sank das Schiff samt Ross und Reiter am Rand des Tegeler Sees. Erst mit sechs Jahren Verspätung erreichte der Kurfürst sein Reiseziel am Schloss Charlottenburg.

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