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Geschützt und doch nicht sicher. In Flüchtlingsunterkünften kommt es immer wieder zu sexuellen Übergriffen.

© dpa

Berlin: Prozess um Missbrauch im Flüchtlingsheim beginnt

Ein Zwölfjähriger träumte von einem normalen Leben, ein Landsmann soll ihn zum Sex gezwungen haben. In Berlin begann der Prozess.

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Hamid (Name geändert) war zwölf, als er mit seiner Mutter und zwei Geschwistern nach Deutschland kam – ein Junge, der von einem normalen Leben träumte. Doch in der Enge eines Flüchtlingsheims wurde Hamid den Ermittlungen zufolge Opfer eines Kinderschänders. Ein Mann, der auch aus dem Irak stammt, soll ihn missbraucht haben: 68 Mal in sieben Monaten – bis Hamid die Kraft hatte, sich zu offenbaren. Seitdem ist er wie auf der Flucht. „Was dem Jungen passiert ist, wird als Familienschande angesehen“, sagt Anwalt Kai Lenwerder, der ihn im begonnenen Prozess vor dem Berliner Landgericht vertritt.

Der angeklagte Majed R., ein 45-Jähriger mit dichtem Schnurrbart, ist in Bagdad geboren. Auch er kam als Flüchtling nach Berlin, wohnte zuletzt in einer Unterkunft in Spandau mit rund 570 Flüchtlingen in vier Containerbauten. R. kam in einem Doppelzimmer unter, das laut Anklage zum Tatort wurde. An einem Nachmittag im Dezember 2015 oder Anfang Januar 2016 soll es zum ersten Übergriff gekommen sein. Majed R. habe den kindlich und schüchtern wirkenden Jungen aufgefordert, mit in sein Zimmer zu kommen. „Als der Geschädigte dies ablehnte, drohte er dem Kind, ihm Schmerzen zuzufügen“, heißt es in der Anklage. Aus Angst habe sich Hamid nicht gewehrt. Woche für Woche habe Majed R. den Jungen eingeschüchtert mit Drohungen wie „er werde ihn verbrennen“. Dann soll R. „jeweils für mindestens eine Stunde seine Zimmertür verschlossen“ haben.

Die Anklage vernahm er kopfschüttelnd

Es sei der älteren Schwester und der Mutter aufgefallen, dass etwas mit Hamid nicht stimmte, sagte Nebenklage-Anwalt Lenwerder. Sie sprachen schließlich mit einem Sozialarbeiter, kurz darauf soll sich Hamid seiner Mutter offenbart haben. Sie schaltete die Polizei ein. Seit Juli befindet sich R. in Untersuchungshaft.

Die Anklage vernahm er kopfschüttelnd. Doch es soll Videoaufnahmen geben, die ihn massiv belasten. Ermittler hätten sie auf seinem Handy gefunden, hieß es. Als ihn die Polizei mit den Bildern konfrontierte, habe R. sexuelle Kontakte zugegeben. Eine „Liebesbeziehung“ sei es gewesen, er habe das Kind nicht unter Druck gesetzt, soll R. erklärt haben. Im Prozess wird er sich voraussichtlich in der nächsten Woche äußern.

Hamids Geschichte ist kein Einzelfall. Laut Polizei wurden im ersten Quartal 2016 sechs Sexualdelikte gegen Kinder in Berliner Flüchtlingsunterkünften angezeigt, im zweiten Quartal waren es dreizehn, im dritten bereits sechzehn. Kurz nachdem Majid R. festgenommen worden war, gab es einen ähnlichen Vorfall in einem Heim am Lützowufer. „Wir versuchen vieles, um Missbrauchsfälle zu verhindern“, sagt Manfred Nowak, Kreisvorsitzender der Arbeiterwohlfahrt von Berlin-Mitte, die das Heim, in dem Hamid lebte, betreibt: „Aber bei einem Sozialarbeiter für etwa 150 Flüchtlinge ist das nicht einfach, auch wenn wir unser Personal entsprechend schulen.“

Gewaltschutzkonzept gefordert

Heike Rabe vom Deutschen Institut für Menschenrechte fordert, dass das Land von allen Betreibern von Flüchtlingsheimen ein entsprechendes Gewaltschutzkonzept fordert. „Solche Konzepte gibt es bereits“, sagt Raabe: „Sie reichen von baulichen Maßnahmen bis zu Melderegularien. Sie sind auch richtig gut. Man muss sie nur anwenden – und immer wieder kontrollieren.“

Hamid und seine Familie kamen nicht zum Prozess. Es gehe ihnen sehr schlecht, sagt ihr Anwalt. Seit Bekanntwerden des mutmaßlichen Missbrauchs seien sie bereits dreimal umgezogen – um der vermeintlichen Schande zu entgehen. Es habe per Telefon Drohungen gegeben – aus dem eigenen Familienkreis. Mutter und Kinder – der Vater ist ihren Angaben zufolge noch im Irak – befinden sich in psychologischer Betreuung.

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