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Berlin: Berlin stellt sich aus

Wer fragt nach Bali, wenn er den Boxi hat? Wie sich die Stadt und ihre Bezirke auf der ITB präsentieren.

Was ist das Ding da draußen, das vor dem Fenster liegt? Für zynische Global Player, die schwitzend die Megacitys der Welt durchstreift haben, ist diese Stadt mit ihrer kurzen, aber verwegenen Geschichte und ihrer grünen und immer noch relativ kostengünstigen Gegenwart nichts weiter als ein verschlafenenes Nest, das sich vergeblich um Metropolen-Performance bemüht. Eingeweihte jedoch spüren die mühsam gezügelte Kraft und Erotik des Raubtiers Berlin, das einen, sobald man auf die Straße tritt, an zärtlichen Tagen mit der Samtpfote streichelt und an brutalen mit einem Prankenhieb niederstreckt. Ja, und das stell nun mal einer in den kalt beleuchteten Messehallen der Internationalen Tourismusbörse unterm Funkturm dar.

Schon der erste Augenschein auf dem Weg vom Raumschiff ICC zur Halle 12, wo sich Berlin der Welt vorstellt, lehrt: Erst mal die Ansprüche tiefer hängen. Das Erste, was der Tourist als vorgelagerten Außenposten sieht, ist der Stand der BVG, an dem joviale Herren jungen Frauen Streckenpläne in die Tasche schaufeln. Rührend das Riesenposter dahinter, auf dem eine offensichtlich in Hamburg gecastete Berliner Idealfamilie freudestrahlend der Ankunft der selten verkehrenden Buslinie 218 zur Pfaueninsel entgegensieht. Deutlich mehr Willen zur großen Vision zeigt die von roten Riesenlettern und einem in liebevoller Laubsägearbeit hergestellten Geländemodell dominierte Rotunde des neuen Flughafens BER. Wer sie und den mit Teak-Imitat verkleideten und Strelizien geschmückten Infotresen sieht, spürt instinktiv, dass die Welt ihr neues Drehkreuz gefunden hat.

Plötzlich dringt Papageiengekreisch ans Ohr: Die brandenburgische Badehalle Tropical Islands wirbt mit Urwaldsound, Palmen, Orchideen und Haribo Tropi Frutti für ihr Paradies. „Alles ächt“, beteuert eine Schöne mit polnischem Akzent und verteilt Gutscheine. Dann fällt endlich der Blick auf einen unscheinbaren und doch herzerwärmenden Stand: Kiez erleben – Berlins zwölf Bezirke. Hier präsentiert sich die Heimat, die Keimzelle, das, was die Stadt im Innersten zusammenhält. Und zwar mit der gleichnamigen Broschüre, die auf Englisch „Going local“ – also frei übersetzt „ins Lokal gehen“ heißt.

So eines ist aber weit und breit nicht zu sehen. Dafür eine in dynamisch-urbanes Rot und ländlich-harmonierendes Schilfgrün unterteilte Gemeinschaftsschau von Berlin und Brandenburg. In der Mitte prangen die Tourismuswerber, ringsum schlängeln sich die Stände ihrer Partner als dynamische Welle. Und zwei mit Perlenschnüren markierte „Erlebnisinseln“ laden im roten Territorium zum Verschnaufen ein. Die zum Thema „Gesundheitstourismus“ bietet eine Rast auf vibrierenden Liegen, die andere eine Silent Disco – also Kopfhörerausleihe – mit dem klingenden Titel „Der Sound von Berlin“. „Zwölf Minuten auf der Schwebeliege“, prophezeit ein herbeieilender Schamane im Einreiher, „und Sie sind die energetischen Blockaden, sogar den Burnout los.“ 4000 Euro soll eine kosten. Geht in Deckung, Touristen!

Die für die Clubstadt Berlin werbende Silent Disco hält schon eher ihre Versprechen. DJ Tataris, ein zutraulicher griechischstämmiger Mittdreißiger aus Charlottenburg, mixt auf Kanal 1 Clubsounds, auf Kanal 2 Wellenrauschen, das zum Märkischen Seeblick gegenüber passt, und auf Kanal 3 Musicalmusik aus hiesigen Produktionen. „Tanz der Vampire“ knattert immer. Und das soll der Klang von Berlin sein? „Nö, den kriegst du nicht auf drei Kanäle.“ Und zwölf Bezirke nur schwer in eine Broschüre. Viel Grün ist zu sehen, viel Wasser, viel Postkartenstadt.

Nur Lichtenberg zeigt sich urban – mit avantgardistisch bemalter Platte. Herr Deutschmann vom Bezirksamt, der gerade Standdienst hat, ist nicht glücklich damit. Er hätte lieber den Tierpark Friedrichsfelde als Schmuckfoto gesehen. Kollegin Marijnissen aus Tempelhof-Schöneberg dagegen ist’s zufrieden: Schwul-lesbisch und kiezig, ihr Bezirk sieht im Heft so aus, wie sie ihn weltweit verkauft. „Die Broschüre geht gut weg“, sagen beide, an Ausländer und Berliner. Und dann wird’s turbulent am Stand: Marzahn-Hellersdorf und Neukölln rücken zum Schichtwechsel an. Letztere sogar mit ihrem sogenannten Walking Act Reinhold Steinle, einer Kunstfigur, die auf Führungen nur Gutes über den Bezirk erzählt. Jetzt beginne derBroschürenkampf, grinst Steinle mit Blick auf die von den Bezirken ebenfalls angebotenen Einzelbroschüren. Pankow kommt nach unten im Ständer, Neukölln wird hochgeholt. Knisternde Spannung liegt in der Luft – das Raubtier Berlin ist wach.

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