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Berlin: Berlin strahlt nur noch schwach

19 Jahre nach dem GAU von Tschernobyl werden die Lebensmittel-Grenzwerte nicht mehr überschritten

Die Halbwertszeit des Wortes „Becquerel“ liegt ungefähr bei zehn Jahren. Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl jährte sich gestern zum 19. Mal, aber von Becquerel, der Einheit für die Strahlungsaktivität, will kaum noch jemand etwas wissen. Selbst bei den Umweltverbänden nähert sich die Kampagnenaktivität in Sachen Tschernobyl der Nachweisbarkeitsgrenze.

Der BUND-Landesverband verweist auf seinen Bundesverband, der sich an einer europäischen Unterschriftenaktion für einen generellen Atomausstieg beteiligt. Bei der Grünen Liga gibt Ernährungsberaterin Elisabeth Westphal zu bedenken, dass die künstliche Bestrahlung von Lebensmitteln zur Keimabtötung mindestens ebenso gefährlich sei wie die Belastung durch den Tschernobyl-Fallout. Sie werde den Jahrestag der Reaktorkatastrophe aber bei der nächsten Öko-Markt-Eröffnung mal ansprechen.

Die Strahlenmessstelle des Landes arbeitet trotz abnehmender Beachtung weiter ihr Programm ab. Rund 150 Lebensmittelproben würden jedes Jahr genommen, sagt Karl-Heinz Steinmetz von der Senatsverwaltung für Umweltschutz. Der Grenzwert von 600 Becquerell pro Kilogramm sei in den letzten Jahren nicht mehr überschritten worden. Der Verzehr von Lebensmitteln sei generell unbedenklich.

Belastet sind besonders Pilze und Wildfleisch. Maronen können radioaktives Cäsium 137 – davon geht die Strahlung in der Regel aus – besonders gut speichern. Meistens liegen die Werte unter 100 Becquerell, einzelne Proben erreichten aber auch mal 400 Becquerell. Cäsium 137 hat eine Halbwertszeit von 30 Jahren. „Damit werden wir noch einige Jahre zu tun haben“, heißt es in der Strahlenmessstelle.

Neben der künstlichen Belastung durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl oder die weltweiten Atombombenversuche gibt es auch eine natürliche Strahlung aus dem Boden und dem Weltall – Berlin sei von beiden Strahlungsquellen relativ gering betroffen, sagt Steinmetz. In den Mittelgebirgen erreicht die Strahlung deutlich höhere Werte – dort liegt auch die Belastung von Pilzen örtlich über dem Grenzwert.

Zu Messungen ist auch das Hahn-Meitner-Institut in Zehlendorf verpflichtet. Der Forschungsreaktor unterliegt der Atomaufsicht des Bundes. In den Bodenproben seien 1990 durchschnittlich 40 Becquerell pro Kilogramm Erde gemessen worden, sagt HMI-Sprecher Thomas Robertson. Aktuell würden nur noch Werte um 15 Becquerell erreicht. Der Rückgang der Belastung verläuft schneller, als der natürliche Zerfallsprozess vermuten lässt. „Das ist mit Auswaschungen zu erklären“, so Robertson.

Unmittelbar nach der Reaktorkatastrophe 1986 kam es in Berlin zu teils hysterischen Reaktionen. Schwangere befürchteten Missbildungen und wollten ihre Babys nicht mehr stillen. Die Kleingärtner rannten der Landesmessstelle die Türen ein, um ihre Radieschen beproben zu lassen. Vor Tschernobyl waren zwei Mitarbeiter mit Messungen beschäftigt, danach umfasste der Stab bis zu 60 Personen. In Moabit wurde eine private Messstelle eingerichtet, sie stellte ihre Arbeit 1993 ein.

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