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Zum Kinostart von „Im Westen nichts Neues“ im Dezember 1930 randalierten Nazi-Schläger am heutigen Goya am Nollendorfplatz, Polizei musste anrücken.

© picture alliance / IMAGNO/Austri

Berlin und der Erste Weltkrieg: Grabenkämpfe am Nollendorfplatz

Erich Maria Remarque schrieb seinen berühmten Antikriegsroman "Im Westen nichts Neues" in Berlin. Die SA bekämpfte den Film später im Goya sogar mit weißen Mäusen. Jetzt ist er im Zeughauskino wieder zu sehen.

Gut drei Kilometer Weg liegen zwischen dem Kaiserdamm 114 in Charlottenburg und der Wittelsbacherstraße 5 in Wilmersdorf. Die Häuser haben wenig miteinander zu tun, eines aber doch: In beiden lebte Erich Maria Remarque, woran Gedenktafeln erinnern. Am Kaiserdamm hatte er Anfang 1925 seine erste Berliner Wohnung bezogen, Jungredakteur bei der Zeitschrift „Sport im Bild“. Lange hielt er es dort aber nicht aus, zog nach Wilmersdorf, suchte sich also, wenn man so will, im Südwesten was Neues. Dort in der Wittelsbacherstraße, so verkündet es eine Eisentafel seit 1972, sei „Im Westen nichts Neues“ entstanden, das Remarque als „Versuch“ beschrieb, „über eine Generation zu berichten, die vom Krieg zerstört wurde – auch wenn sie seinen Granaten entkam“. Allerdings, die Informationen zur Entstehung des Romans seien „äußerst widersprüchlich“, bilanziert das in Osnabrück, der Geburtsstadt des Autors, von Stadt und Universität gemeinsam betriebene Erich Maria Remarque-Friedenszentrum. Zwar kann man das Haus in Wilmersdorf als Geburtsstätte des Romans gelten lassen, aber ob er wirklich nach der Büroarbeit in sechs Wochen ohne Korrekturen heruntergeschrieben wurde, als eine Art besessener Befreiungsversuch vom Trauma des Krieges, wird von der Forschung mittlerweile bezweifelt.

Aber das Buch, das Remarque erst erfolglos S. Fischer anbot und das Ende 1928 als Fortsetzungsroman bei Ullstein in der „Vossischen Zeitung“ abgedruckt und rasch zu einem internationalen Riesenerfolg wurde, ist noch auf andere Weise untrennbar mit Berlin verbunden. In der Reichshauptstadt tobte der Kampf um die 1930 in die deutschen Kinos gebrachte Hollywood-Verfilmung von Lewis Milestone besonders heftig, hier wurden die Auseinandersetzungen zur Machtprobe zwischen dem Weimarer Staat und den nach der Macht greifenden Nazis.

Film mit ikonografischem Rang

Ein Film wie „Im Westen nichts Neues“ darf daher in der Filmreihe „Der globale Krieg. Der Erste Weltkrieg und das Kino“ des Zeughauskinos und der Bundeszentrale für politische Bildung auf keinen Fall fehlen, wird doch mit Buch und Film wie mit keinem anderen Werk die Massenschlächterei 1914/18 assoziiert. Keiner der anderen gezeigten Film hat es zu solchem geradezu ikonografischen Rang gebracht, nicht Meisterwerke wie „Lawrence of Arabia“, „The African Queen“, „Path of Glory“ oder „La Grande Illusion“ und schon gar nicht Propagandawerke wie „Stoßtrupp 1917“, die ebenfalls zum Programm gehören. „Im Westen nichts Neues“ – das ist der Film über den Ersten Weltkrieg schlechthin, und so wird er gleich zweimal gezeigt, im Original und in der deutschen Fassung.

Lew Ayres (li.) als Paul Bäumer und Louis Wolheim als Stanislaus Katczynski in Lewis Milestones Film "Im Westen nichts Neues" von 1930.
Lew Ayres (li.) als Paul Bäumer und Louis Wolheim als Stanislaus Katczynski in Lewis Milestones Film "Im Westen nichts Neues" von 1930.

© Zeughauskino

Natürlich half hier auch der Weltruhm des Buches – ein Vorteil, den „Westfront 1918“ von G. W. Pabst, mit dem die Reihe am 1. Juli eröffnet wird, nicht aufzuweisen hatte: Als Vorlage diente der heute weitgehend vergessene Roman „Vier von der Infanterie“ von Ernst Johannsen. Der von der Berliner Nero-Film produzierte Film entstand in München-Geiselgasteig, die Außenaufnahmen in Petershagen bei Frankfurt (Oder). Premiere war am 23. Mai 1930 in dem von Hans Poelzig entworfenen Kinopalast Capitol an der Budapester Straße, dort steht heute das Bikini-Haus. Das Filmmuseum am Potsdamer Platz hat in seinem Bestand eine Silberschatulle, die Pabst als Premierengeschenk erhielt, sie fand sich in dem 2005 erworbenen Nachlass des Regisseurs.

Schon „Westfront 1918“, 1933 verboten, war den erstarkenden Nazis wegen der pazifistischen Tendenz ein Dorn im Auge. Szenen, wie sie sich ein halbes Jahr später im Mozartsaal am Nollendorfplatz, dem heutigen „Goya“, bei den ersten Vorführungen von „Im Westen nichts Neues“ abspielten, blieben aber noch aus. Die nächste Runde aber ging an Goebbels & Co. Der hatte Remarques Roman schon am 21. Juli 1929 in seinem Tagebuch als „ein gemeines, zersetzendes Buch“ geschmäht, am 3. Dezember 1930 tauchte dessen Titel dort erneut auf: „Am Freitag gehen wir in den Film ,Im Westen nichts Neues’. Da soll den Eunuchen Mores beigebracht werden. Ich freue mich darauf.“ Wir – das waren der Berliner Gauleiter der NSDAP und die Schläger von der SA.

Verbot durch die Prüfstelle

Die Premiere am 4. Dezember verlief noch problemlos, mit zahlreicher Polit- und Kulturprominenz, die viel Beifall spendete, auch bei der ersten regulären Vorstellung tags darauf gab es keine Störungen, erst in der zweiten schlug Goebbels los. Der Verlauf ist oft beschrieben worden: Erst Zwischenrufe, Beleidigungen, demagogische Schmähreden, dann fliegende Fäuste, Stinkbomben, zuletzt aus Pappkartons freigelassene weiße Mäuse. Und draußen weitere 1500 Randalierer, die erst durch eilig herbeigeschaffte Polizeiverstärkung per Gummiknüppel abgedrängt werden konnten und nun die Straßen der Umgebung zur Machtdemonstration nutzten, wie Goebbels in seinem Tagebuch begeistert schrieb: „Nollendorfplatz: abgesperrt. Menge rast durch die Schupokette. Parole: Wittenbergplatz. 20–30 000 stehen und harren. Imposant.“ Ein Protestzug formiert sich: „Ohne Ende. Immer mit dem Versuch, an den Kurfürstendamm zu kommen. Am Uhlandeck Vorbeimarsch. Über eine Stunde. In Sechserreihen. Phantastisch! Das hat der Berliner Westen noch nicht gesehen.“

Die Filmprüfstelle hatte „Im Westen nichts Neues“ genehmigt, nun tagte auf Antrag mehrerer NS-geführter Landesregierungen die Oberprüfstelle und verbot den Film. Erst im Folgejahr wurde er nach einer Novelle des Lichtspielgesetzes wieder freigegeben – bis 1933. Dann kam das vorerst endgültige Aus, auch fürs Buch, das am 10. Mai 1933 auf dem Opernplatz, dem heutigen Bebelplatz, brannte.

Remarque hatte sich rechtzeitig ins Ausland abgesetzt. So wurde seine Schwester Elfriede zum Ersatzopfer: Wegen „maßlos hetzender defätistischer Äußerungen“ wurde sie von Freislers Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 16. Dezember 1943 in Plötzensee geköpft.

All Quiet on the Western Front“, 19. Juli, 18.30 Uhr; „Im Westen nichts Neues“, 20. Juli, 19 Uhr, Zeughauskino, Unter den Linden 2. Infos: www.dhm.de/Zeughauskino

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