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Berlin: Berlin verliert gegen Zeugen Jehovas

Glaubensgemeinschaft setzt Anerkennung als Körperschaft öffentlichen Rechts vor Gericht durch

Die Zeugen Jehovas haben vor dem Berliner Oberverwaltungsgericht (OVG) ihre staatliche Anerkennung durchgesetzt. Nach mehr als zehnjährigem Rechtsstreit sprachen die Richter der Religionsgemeinschaft am Donnerstag den Anspruch auf den Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu. Damit wären sie den großen Kirchen rechtlich gleichgestellt. Mit dem Status sind steuerliche und organisationsrechtliche Vorteile verbunden. Die Senatsverwaltung für Kultur, die eine Anerkennung bislang verweigerte, will nun weitere rechtliche Schritte prüfen.

Mangelnde Rechtstreue hatte das Land Berlin den Zeugen Jehovas vorgeworfen. Sie würden Bluttransfusionen bei Kindern verhindern, ihre Mitglieder sozial stark isolieren und Austrittswillige psychisch unter Druck setzen. Vorwürfe, die aus Sicht der Richter nicht mit Fakten belegt wurden. Es gebe keine objektiven Hinweise von Familiengerichten, Jugendämtern oder anderen Institutionen auf Rechtsverstöße, hieß es in der Entscheidung. Das Land habe sich vor allem auf Berichte von Aussteigern gestützt. Bei der Bewertung solcher Aussagen sei Zurückhaltung geboten, weil erst ihr psychischer Hintergrund geprüft werden müsse. „Diese Arbeit hat das Land Berlin seit zwölf Jahren nicht geleistet“, kritisierte der Vorsitzende Richter Jürgen Kipp.

Die mit dem Körperschaftsstatus verbundenen Privilegien wollen die Zeugen Jehovas nach eigenen Angaben nur begrenzt nutzen. Bereits vor dem Urteil hatten sie erklärt, keine Kirchensteuer erheben oder Beamte beschäftigen zu wollen. Das Recht, an Schulen Religionsunterricht zu erteilen, sei nicht vom Status abhängig, hieß es im Urteil. „Diesen Antrag hätten die Zeugen längst stellen können“, sagte Kipp. Bisher hatten sie stets betont, auf eigenen Religionsunterricht verzichten zu wollen. Dies hatten sie auch in Aussicht gestellt, als im Dezember ein Vergleich mit dem Land Berlin vorgeschlagen wurde. Diesen Vergleich lehnte das Land ab. „Wenn der Senat den Vergleich im Dezember angenommen hätte, hätten wir darauf verzichtet, Religionsunterricht anzubieten“, sagte Uwe Langhals, Sprecher der Zeugen Jehovas. „Jetzt aber überlegen wir neu.“ Allerdings sagte er auch, dass dieser Unterricht schwer organisierbar sei, da die Kinder der knapp 6000 Zeugen Jehovas in Berlin über alle Schulen verteilt seien.

Die Zeugen Jehovas haben nach eigenen Angaben bundesweit 280 000 und weltweit 16 Millionen Mitglieder. Ihr deutscher Hauptsitz ist in Köpenick. Dort war die Freude nach dem Urteil groß. Wir waren erst mal essen und haben einen Sekt getrunken“, sagte Langhals. Zufällig fiel die Gerichtsentscheidung auf den einzigen Feiertag der Zeugen Jehovas, dem „Abendmahl des Herren“: Nach Sonnenuntergang kommen alle zusammen, um der Kreuzigung Christi zu gedenken.

Der Rechtsstreit zog sich seit 1993 durch alle Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht. Im Mai 2001 hatte das Bundesverwaltungsgericht den Fall wieder an das Oberverwaltungsgericht verwiesen, das bereits 1995 zu Gunsten der Zeugen Jehovas entschieden hatte. „Wir stehen wieder da, wo wir vor genau zehn Jahren standen“, sagte Kipp. Diesmal allerdings wurde keine Revision zugelassen. Berlin kann dagegen Beschwerde einlegen, um doch noch eine weitere Überprüfung vor dem Bundesverwaltungsgericht zu erreichen. Nach Vorlage der schriftlichen Begründung wolle man analysieren, ob man Rechtsmittel einlegen werde, sagte der Sprecher der Kulturverwaltung, Torsten Wöhlert. Die Entscheidung entspreche nicht der Rechtsauffassung der Behörde. Aus ihrer Sicht steht mangelnde Rechtstreue der Zeugen Jehovas der Verleihung der Körperschaftsrechte entgegen.

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Berlins Bischof Wolfgang Huber, übte Kritik an dem Urteil. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass die Aussagen von Ausgetretenen als nicht glaubwürdig eingestuft wurden, sagte der Bischof im RBB-Inforadio. „Man muss ja auch fragen, wer sonst Auskunft geben soll, wenn nicht diejenigen Menschen, die tatsächlich unter Druck geraten.“ Er wundere sich, dass das Gericht der Argumentation des Senats so wenig Rechnung getragen habe.

Die Berliner Grünen fordern als Konsequenz aus dem Urteil die schnelle Einführung eines neutralen Werteunterrichts. Der Senat müsse ein Modell entwickeln, das sicherstelle, dass an den Schulen ein mit den Prinzipien der Toleranz und Menschenwürde unvereinbarer Unterricht verhindert werde, sagte Vize-Fraktionschef Oliver Schruoffeneger.

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