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Berlin: Berlin von ganz unten

Ein neuer Trend steigert die Umsätze der Barbesitzer: Beim „Pub Crawl“ werden Touristen abgefüllt

Der schwankende Engländer hat seinen Spaß. Steht mit Freunden in einer Bar am Hackeschen Markt, grölt, leert den halben Liter Bier in einem Zug. Dann verschwindet er für längere Zeit auf der Toilette. Es ist nicht das erste Glas, das er an diesem Abend getrunken hat.

„Pub Crawl“ heißt der Trend aus England, der jetzt auch Berlin erreicht hat. Die Idee ist so simpel wie erfolgreich: Für zehn Euro lassen sich Touristen von einem Guide durch die Stadt führen. Nicht zum Brandenburger Tor oder zum Roten Rathaus, sondern in vier bis fünf Kneipen. Deren Inhaber freuen sich über mehr Umsatz und bieten im Gegenzug Alkohol zu Schleuderpreisen an. Erklärtes Ziel der Teilnehmer: So schnell wie möglich betrunken werden.

Der Australier Francis Hartnett hat den Pub Crawl zusammen mit seiner Frau Mickey in Berlin etabliert. Angefangen haben die beiden schon vor Jahren, aber „richtig populär wird das Konzept erst jetzt“. Hartnett ist Chef der Firma „Insidertours“, die verschiedenste Stadtführungen durch Berlin anbietet. Von seinen 20 freien Mitarbeitern kümmert sich gut ein Drittel ausschließlich um die Trinktouren. Die Guides müssen fließend Englisch sprechen können, weil die meisten Teilnehmer aus Großbritannien, Kanada, Australien oder den USA kommen.

Probleme, sagt Francis Hartnett, gebe es auf seinen Touren eigentlich nie. Das sehen nicht alle so. „Die Pub Crawls sind die Hölle“, sagt eine Barkeeperin, die ihren Namen nicht nennen will. „Die Leute pinkeln in den Laden, übergeben sich, klauen wie die Raben. Und manchmal demolieren sie die Einrichtung.“ An manchen Abenden kämen inzwischen bis zu 70 Touren-Teilnehmer in ihre Bar. Jeweils nur für eine halbe Stunde, „um zu trinken und zu randalieren“. In der Krausnickstraße in Mitte berichten Anwohner von „lärmenden Gruppen, die orientierungslos und brüllend“ durch die Gegend ziehen. Morgens sei dann regelmäßig der Gehweg voll mit Erbrochenem. „Das ist die Konkurrenz“, sagt Simone Stein, die für Insidertours Sauftouren durchführt. „Die füllen ihre Leute deutlich härter ab als wir – und kümmern sich dann nicht um sie.“ Bei Insidertours achte man darauf, Betrunkene nicht auf der Straße stehen zu lassen.

Wer mit Simone Stein durch die Nacht zieht, lernt vier Bars kennen. Zurzeit besucht sie mit ihren Gruppen die Bar Nuance am Monbijoupark, die Bar PIPS in der Auguststraße, das High End 54 im Tacheles und den Silberfisch in der Oranienburger Straße. Typisch Berlin sei das nicht, gibt Stein zu, aber den Amerikanern gefielen die Läden. Und sie seien begeistert, wenn im Tacheles ein Hauch von Haschischgeruch in der Luft liege: „Wahnsinn! Echte Drogen!“, sei eine häufige Reaktion. Zum Abschluss geht’s noch in den Sophien-Club. Da könnten die meisten dann ohnehin nicht mehr laufen. Denn ab der dritten Bar, sagt Stein, seien die Teilnehmer „richtig dicht“. Deshalb habe sie immer Mitleid mit dem Laden, den sie als letztes aufsuchen. Stein grinst, zieht ihre Schnapsflasche und gießt einem Teilnehmer nach dem anderen einen Schluck Schnaps in die Kehle. Sozusagen als Geschenk des Veranstalters. Die Betrunkenen johlen und entern die nächste Bar.

Johannes Boie

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