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Gewählt, gezählt? In manchen Bezirken konnten sich Bürger nicht sicher sein, dass ihre Stimme ins Wahlergebnis einging.

© dapd

Berlin-Wahl 2011: Jetzt ist die Pannenwahl amtlich

Auch drei Wochen nach der Wahl gibt es noch Zweifel am Endergebnis. Kritik an der Landeswahlleitung

Aberkannte Parlamentssitze, falsche Zählungen, im Müll entsorgte Briefwahlunterlagen – und nach all den Pannen schrammte der Landeswahlausschuss am Donnerstag auch noch knapp an einem Eklat vorbei. Erst nach dreieinhalbstündiger Beratung konnte sich das Gremium auf ein endgültiges Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl verständigen – mit drei Zustimmungen und drei Enthaltungen. Sonst dauern solche Sitzungen etwa 45 Minuten, hieß es. Im Gremium hatte es massive Bedenken über Unregelmäßigkeiten bei der Auszählung gegeben. Beklagt wurde außerdem, dass mehreren Anträgen auf Nachzählung von der Landeswahlleiterin nicht stattgegeben wurde. Die Landeswahlleiterin betonte, dass die Wahlordnung dies nicht zulasse.

„Der Ablauf der Sitzung war unbefriedigend“, sagte Mark Rackles, im Abgeordnetenhaus der Wortführer der SPD-Linken. Er enthielt sich ebenso wie ein zweiter SPD-Vertreter. Beide sprachen von fehlenden Rechtsmitteln, um zu einem zufriedenstellendem Ergebnis zu kommen. „Unsere Koalitionsverhandlungen mit den Grünen waren einfacher“, hieß es von SPD-Seite sarkastisch. Auch Sylvia Müller (Linke) stimmte nicht zu.

Die Mitglieder des Wahlausschusses ärgerten sich unter anderem darüber, dass ihnen Wahlleiterin Petra Michaelis-Merzbach drei Anträge auf Nachzählung von Stimmen vorenthalten hatte. So sollten in Lichtenberg zwei Wahlkreise erneut ausgezählt werden, weil es zu erheblichen Verschiebungen gegenüber der vergangenen Wahl gekommen ist. Beides wurde abgelehnt. Die Landeswahlleiterin betonte, dort sei korrekt gezählt und protokolliert worden. Den Antrag von Reimund Peter (SPD) auf Nachzählung der Stimmen im Wahlkreis 3, wo er sein Direktmandat an die Linke Marion Platta verlor, tat der Ausschuss als Versuch ab, eine Niederlage noch ändern zu wollen.

Unzufrieden mit den Erklärungen, beantragte Beisitzerin Sylvia Müller, die Stimmen des Wahlkreises 4 in Lichtenberg neu zählen zu lassen. „Wir haben noch nie über so viele ungeklärte Dinge geredet, das beunruhigt mich. Es fällt mir schwer, einem endgültigen Ergebnis zuzustimmen“, sagte Müller.

Der bezirkliche Wahlausschuss habe nicht das Recht, Nachzählungen zu veranlassen, erklärte Michaelis-Merzbach. Es sei in der Wahlordnung auch nicht geregelt, wie diese ablaufen müssten. Der SPD-Vertreter zog daraufhin den Antrag zurück, auch den Wahlkreis 2 in Steglitz-Zehlendorf nachzählen zu lassen. Beschwerden seien nach der Tagung der Bezirkswahlausschüsse in der vergangenen Woche nicht mehr zulässig, ergänzte Michaelis-Merzbach. Bisher sei die Wahlordnung noch nie an ihre Grenzen gestoßen. Dass es in diesem Jahr so war, liege an den knappen Ergebnissen. Auch der Umgang mit den im Müll gefundenen 379 Wahlbriefen sei nicht geregelt.

Die Landeswahlleiterin zeigte sich erleichtert, dass am Ende ein endgültiges Ergebnis festgestellt wurde. Sie sei überzeugt, dass die Wahlausschüsse korrekt gearbeitet hätten und könne deshalb mit Zweifeln leben. Zwar habe es an vielen Stellen Ärger gegeben, doch „es war keine Pannenwahl“.

Für Michaelis-Merzbach war es die erste Abgeordnetenhauswahl. Die promovierte Juristin war lange Zeit Verwaltungsrichterin in Berlin und wechselte 2008 in die Senatsverwaltung für Inneres. Mit Zahlen habe sie es als Juristin nicht so sehr, sagte sie vor einigen Wochen noch. In den kommenden Wochen will sie sich mit den Bezirkswahlleitern treffen und besprechen, wie die Wahl optimiert werden kann. Ihr Vorgänger, Andreas Schmidt von Puskas, hatte mehr als 30 Jahre lang das Amt des Landeswahlleiters inne. Größere Pannen gab es nicht.

Insgesamt hat das Abgeordnetenhaus künftig 149 Mitglieder – direkt nach der Wahl waren es noch 152. Die SPD zieht mit 47 Abgeordneten ein, die CDU mit 39. Die Grünen bekommen 29 Sitze, die Linke 19 und die Piratenfraktion 15 Sitze.

„Konsequenz sollte sein, unaufgeregt eine Fehleranalyse vorzunehmen und sich dabei von Profis beraten zu lassen“, sagte der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, der schon in vielen Ländern als Wahlbeobachter eingesetzt war. Er empfehle das ODIHR. Man könne jetzt nicht einfach zur Tagesordnung übergehen.

ODIHR ist das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte; es gehört zur OSZE. Vor zwei Jahren schickte die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erstmals Beobachter zur Bundestagswahl nach Deutschland, weil der Bundeswahlausschuss die Entscheidung getroffen hatte, einige Splitterparteien von der Wahl auszuschließen. Wegen einer regionalen Wahl würden die OSZE-Leute aber wohl nicht kommen – zu unbedeutend. „Wir kommen nur auf Einladung eines Mitgliedstaates, und in der Regel nur zu nationalen Wahlen“, sagt OSZE-Sprecher Jens-Hagen Eschenbächer. „Was die Berliner Wahlen angeht, hatten wir keine Einladung und wären wahrscheinlich auch sonst nicht gekommen – dafür haben wir nicht die Kapazitäten.“ Das wäre nach Lambsdorffs Meinung auch zu teuer; die Profis zur Fehleranalyse aus Warschau kommen zu lassen, sei viel billiger und effektiver.

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