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Alle Mann an Deck. Die Piraten Martin Delius, Ben de Biel, Spitzenkandidat Andreas Baum und Christopher Lauer.

© Thilo Rückeis

Berlin-Wahl: Piratenpartei: Klar zum Entern

In Umfragen zur Berlin-Wahl hat die Piratenpartei die FDP schon überholt, jetzt will sie ins Abgeordnetenhaus. Wer steckt hinter dem Erfolg?

„Seid ihr die Gamer?“ Der schnelle Zuruf des Passanten bleibt unbeantwortet. Wer in den Umfragen die FDP überholt hat, muss nicht mehr auf jedes Klischee reagieren. Die Piraten haben sich von ihren Ursprüngen als Partei der Internetfreaks gelöst und „breiter aufgestellt“, wie das im Politikfachjargon heißt. Stadtentwicklung, Drogenproblematik, Mindestlohn, das Wahlprogramm hat viele Facetten. Ein halber Prozentpunkt fehlt noch bis zur Fünf-Prozent-Hürde und dem Einzug ins Abgeordnetenhaus.

Und dann? „Wir werden viel lernen müssen, aber lassen uns davon nicht abschrecken“, sagt Piratenspitzenkandidat Andreas Baum. Der ruhige Industrieelektroniker, 32 Jahre alt, hatte gar nicht vor, Politiker zu werden, aber die anderen Piraten wählten ihn trotzdem auf den Spitzenposten. Eigentlich wollte Christopher Lauer den ersten Listenplatz haben, ein dynamischer, gewitzter Software-Unternehmer, dessen Redefluss kaum zu bremsen ist. Grund genug für die Piraten, ihn etwas weiter hinten zu platzieren. So sind sie eben. Alphatiere, der klassische Politikertypus, werden von der Basis zurückgepfiffen, so wie früher bei den Grünen.

Die Wahlkampfzentrale der Piraten ist die „P 9“, ein Ladenbüro in der Pflugstraße 9 in Mitte, nicht weit von der neuen Zentrale des Bundesnachrichtendienstes entfernt, dem ideologischen Hauptgegner. Die Piraten wurden 2006 gegründet, um Geheimniskrämerei abzuschaffen und Informationen im Internet für jeden verfügbar zu machen. Totale Transparenz, so wollen sie auch Politik machen. Nicht-Mitglieder können bei den Piraten Anträge stellen und das Wahlprogramm weiterentwickeln. Voraussetzung ist ein positives Verhältnis zu SMS, Mail und Twitter. Die Piraten lieben das digitale Kommunizieren. Für Altvordere gibt es den „Kaperbrief“, eine gedruckte Wahlkampfzeitung.

Die P 9 sieht etwas chaotisch aus, mit angebrochenen Chiptstüten, leeren Flaschen und verwaisten Ohrstöpseln, aber diese Optik aus der seligen New Economy-Ära untermauert nur den kreativen Anspruch der Partei. Das Dutzend Wahlplakatmotive haben sich die Piraten selbst ausgedacht, aus Geldmangel und weil sie nicht fürchten müssen, Stammwähler zu verschrecken, die sie noch gar nicht haben. Das Plakat mit dem Konterfei eines Kandidaten „Warum häng ich hier eigentlich, ihr geht ja eh nicht wählen“ sei super gelaufen, sagt Lauer, der verhinderte Spitzenkandidat. Er, der Kandidat in Pankow, ist die kommunikative Allzweckwaffe. Kaum ein Thema, zu dem ihm nichts einfällt. Mit seinem karierten Jackett, Jeans, Turnschuhen und dunkler Brille tritt er dem Klischee des bleichen Sweatshirt- Nerds entgegen, der die Nächte vor dem Computer verbringt. Lauer sagt, er sei wie fast alle Piraten „im Internet sozialisiert“, doch politisch aktiv wurde er erst nach einem Auslandsjahr in China, wo er die Meinungsdiktatur in Kombination mit extremer sozialer Ungleichheit erlebte. Zurück in Deutschland lief gerade die Debatte an, ob das Internet Sperrzonen bekommen sollte.

Lesen Sie auf Seite 2, warum die Piraten das politische Rad nicht neu erfinden mussten.

Das Wahlprogramm klingt teilweise wie die Reinkarnation der FDP aus den Tagen der Koalition mit der SPD. „Sozialliberal“ als Kurzlabel der Piratenpolitik erscheint Lauer gar nicht abwegig. Gefordert wird strenge Einhaltung der Freiheitsrechte ebenso wie ein bedingungsloses Grundeinkommen, damit jeder teilhaben kann. Die technische Revolution durch das Internet sei in der etablierten Politik noch gar nicht angekommen, sagt Lauer. Die Piraten wollen die Bürger ermuntern, selbst Politik zu machen und über Fragen im Internet direkt abzustimmen. „Politiker haben dann eher die Rolle eines Moderators.“

35 000 Euro schwer ist das Wahlkampfbudget der Piraten. Davon haben sie Aufkleber, Flyer und die 12 000 Plakate in der Stadt bezahlt. Zum Vergleich: Die SPD gibt 1,7 Millionen Euro aus. Rund zehn Prozent der etwa 1000 Berliner Mitglieder seien ehrenamtlich aktiv, sagt Gerwald Claus-Brunner, Mechatroniker und Kandidat in Steglitz. Mit roter Latzhose und Palästinenser-Kopftuch ist Brunner sofort als Pirat zu erkennen.

Aus der Geschichte weiß man wenig über Piratinnen, auch in der P 9 sind keine zu sehen. Es herrscht Frauenmangel, auch wenn Lauer versucht, die Tatsache aus der Welt zu reden. „Das ist kein originäres Problem der Piratenpartei.“ Immerhin, die Schatzmeisterin ist eine Frau, und ohne sie, betont Lauer, wären die Piratenmänner längst im Finanzchaos untergegangen.

Die Partei im Internet: berlin.piratenpartei.de

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