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Berlin: Berlin: Wehr dich! (Gastkommentar)

Amerikaner sind berühmt dafür, dass sie mehr Geld ausgeben als sie eigentlich besitzen; "living beyond your means" heißt das dann - über seine Verhältnisse leben.Neuerdings scheint es, als ob Berlins Kulturpolitik auch nach diesem Motto lebt.

Amerikaner sind berühmt dafür, dass sie mehr Geld ausgeben als sie eigentlich besitzen; "living beyond your means" heißt das dann - über seine Verhältnisse leben.

Neuerdings scheint es, als ob Berlins Kulturpolitik auch nach diesem Motto lebt. Schade, denn für einen Amerikaner ist es schon erstaunlich, was Berlin an Opern und Theatern zu bietet hat - in der New Yorker Oper sind die Preise oft zehn mal so hoch wie im seligen Berlin. Es sind meist nur noch reiche Geschäftsleute, die sich solche Vergnügen leisten können.

Natürlich: Auch Berlin ist seit der Wiedervereinigung teurer geworden. Aber nicht unbedingt reicher. Die Lösung für die Berliner Kultur soll jetzt darin bestehen, wie es in der "Zeit" angekündigt wird, eine "Kapitale Kultur" zu etablieren. Aber das ist Nonsens. Sicherlich: Schon seit einiger Zeit war klar, dass Berlin sparsamer mit seiner Kultur umgehen muss. Aber Berlin ist nicht eine Hauptstadt wie Washington, es ist ein Bundesland, das seine Autonomie wahren muss.

Es wäre eine Art feindlicher Übernahme, wenn der Bund fünf Institute übernähme, also die Philharmoniker, die Festspiel-GmbH, das Haus der Kulturen der Welt, das Konzerthaus am Gendarmenmarkt und das Jüdische Museum. Keine Frage: Kulturminister Michael Naumann muss beweisen, dass er tatsächlich etwas zu sagen hat, und in der Schröderschen Sparzeit kann man nicht einfach das Geld verpulvern. Aber was wird aus Amerika, wenn Deutschland seine Künstler nicht mehr großzügig finanziert? Unsere eigene Politik wäre ja so viel langweiliger.

Nehmen wir zum Beispiel Hans Haacke. Natürlich denkt man in Deutschland bei seinem Namen an das Unkraut-Projekt vom Reichstag. In New York aber hat Haacke schon mit seiner Ausstellung im Museum of Modern Art für Furore gesorgt, und zwar im Senatoren-Wahlkampf zwischen Hillary Clinton und Rudy Giuliani. Gegen moderne Kunst zieht Giuliani gern ins Feld, und besonders gerne legte er sich natürlich mit Haacke an, der in Fraktur einige von Giulianis drohenden Aussprüchen zitiert hatte. Selbstverständlich bagatellisiert Haacke den Holocaust, indem er Giuliani als Quasi-Nazi darstellt. Aber vielleicht stellt Haacke damit auch jene neue Unbefangenheit dem Holocaust gegenüber unter Beweis, nach der Schröder und sein Kulturminister Naumann schon gerufen haben.

Das kann nur Unruhe stiften. Amerikaner erwarten von deutscher Kultur keine Unbefangenheit, sie erwarten Kulturpessimismus. Gerne hören sie, dass die Deutschen sich in Streitigkeiten über Heidegger und Nietzsche verwickelt haben - freilich ohne dass die Amerikaner ein Wort davon verstehen.

Je unverständlicher den Amerikanern ein solcher Streit ist, umso mehr gelten ihnen die Deutschen als ein Volk. Gerade deshalb sind die jetzigen Auseinandersetzungen über das Geld so gefährlich. Nicht der Mangel an Geld bedroht die deutsche Kultur, sondern die Tatsache, dass der Streit darum so kleinlich und durchsichtig ist. Amerikaner streiten jedes Jahr darüber, wie viel Geld sie für Kultur ausgeben sollen. Das kann jeder. Die Deutschen sollten sich lieber wieder wieder über die Bedeutung von Kultur zanken. Da macht das Zugucken jedenfalls viel mehr Spaß. Der Autor ist Korrespondent des Internet-Magazins "PoliticalWag". Foto: privat

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