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"Schauspieler dürfen ihre Kostüme gar nicht spüren." So lautet das Credo der Kostümbildnerin Ingrid Zoré – hier im Archiv der Stiftung Deutsche Kinemathek.

©  Thilo Rückeis

Berlinale 2017: Der Stoff, aus dem die Filme sind

Kostümbildnerin Ingrid Zoré hat mit Stars wie Romy Schneider und David Bowie gearbeitet. Nun stiftet sie ihr Werk der Kinemathek – und setzt sich für faire Produktionsbedingungen beim Film ein.

Dies ist ein Angebot, das man als Kostümbildnerin eigentlich nicht ausschlagen kann: Marlene Dietrich für ihre vielleicht letzte – und es wurde dann auch die letzte – Filmrolle einkleiden, auf deren Einladung hin zu ihr fahren und eine Woche lang mit der großen alten Dame zusammenarbeiten. So etwas dankend ablehnen? Unmöglich – aber es musste sein. Denn Marlene Dietrich verließ die Pariser Wohnung kaum noch, in der ihr Kurzauftritt als Baroness von Semering in „Schöner Gigolo – armer Gigolo“ gedreht werden sollte.

Hauptdrehort des 1977 entstandenen Films war aber West-Berlin, mit einem, man muss sagen, nicht immer ganz pflegeleichten Ensemble. Da hatte Ingrid Zoré, verantwortlich für den Look von Weltstars wie David Bowie, Kim Novak, Sydne Rome, Maria Schell, Curd Jürgens, dem ebenfalls mitspielenden Regisseur David Hemmings und eben Marlene Dietrich, alle Hände voll zu tun. Eine Woche Paris? Nein, das ging überhaupt nicht.

Aber die ersten Kostümzeichnungen, Figurinen genannt, hatten der Schauspielerin gefallen. Und wie sie jetzt so daliegen vor Ingrid Zoré, neben denen ihres Kollegen Mago, der sie in Paris vertrat, ist eine Nähe, man könnte sagen: ästhetische Verwandtschaft der Entwürfe nicht zu übersehen, wenngleich Magos Veränderungen ihr selbst doch „zu viel Chanel“ waren.

Rund 6000 Textilien, die Hälfe von Marlene Dietrich

Auf einem Tisch im Marienfelder Archiv der Stiftung Deutsche Kinemathek hat man sie für den Besuch Ingrid Zorés ausgebreitet, ein winziger Ausschnitt nur aus den 35 gut gefüllten Mappen voller Figurinen, in denen die 1936 in Steglitz geborene Kostümbildnerin ihr Lebenswerk dokumentiert hat und die sie jetzt peu à peu der Stiftung übergibt – in eine schon jetzt imponierende, im Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz nur in Ausschnitten ausgestellte Sammlung zur deutschen, und das heißt häufig, Berliner Filmgeschichte.

Allein rund 6000 Textilien werden dort aufbewahrt. Über die Hälfte stammt von Marlene Dietrich, so auch ein Showkleid, das sie 1953 in Las Vegas trug, modisch nicht allzu weit entfernt von dem berühmten, unlängst für 4,8 Millionen Dollar versteigerten Modell, in dem Marilyn Monroe Präsident Kennedy ein Geburtstagsständchen darbrachte und wie dieses entworfen von dem Designer Jean Louis.

Nach der Drehpause war Kim Novak leider dünner

Doch auch ohne die Reise nach Paris bot der Film, angesiedelt im Berlin der Weimarer Jahre, manche Herausforderung für Ingrid Zoré. Routine? Nichts weniger als das. Zum Beispiel David Bowie, der damals in der Schöneberger Hauptstraße 155 wohnte und für dessen Titelrolle des Adligen Paul von Pryzgodski sie einen weißen Anzug mit feinen schwarzen Nadelstreifen entworfen hatte. Gegen den hatte er keine Einwände – bis ihn sein englischer Maskenbildner spöttisch fragte, was für einen Pyjama er denn da trage. Über Nacht musste ein neuer heller Anzug her, diesmal ohne Streifen. Zum Glück hatte das damit betraute Kostümhaus Theaterkunst einen Mitarbeiter, der das nicht nur ruckzuck fertigbrachte, sondern auch alle Maße noch im Kopf hatte.

Das hätte bei Kim Novak nicht geholfen. Die erste Hürde, das Absegnen ihrer Entwürfe durch die Diva, hatte Ingrid Zoré problemlos überstanden. Mit der letzten Maschine war Kim Novak eines Abends in Berlin eingeschwebt, hatte die Kostümbildnerin noch zum Flughafen beordert, hätte laut Vertrag bei Nichtgefallen der Figurinen sofort wieder abreisen dürfen, was die Kostümbildnerin zum Glück nicht wusste. Na, es ging ja alles gut. Noch.

Denn als die Schauspielerin nach einer vierwöchigen Drehpause erneut anreiste, hatte sie 18 Kilo abgenommen und alles musste geändert werden – eine vergleichsweise leichte Aufgabe gegenüber den Herausforderungen an die Maskenbildner, die kaum wussten, wie sie das nun schmalere Gesicht den schon gefilmten Szenen anpassen sollten. Zu allem Überfluss hatte Kim Novak sich ein eigenes Kleid, ein „rosa Ungetüm aus den sechziger Jahren“, mitgebracht und ließ es sich nicht ausreden. Immerhin durfte Ingrid Zoré es durch weitere Stoffbahnen entschärfen und den Zwanzigern annähern.

"Es muss stimmen"

Denn das ist eines der Arbeitsprinzipien der Kostümbildnerin, das wichtigste: „Es muss stimmen.“ Und es stimmt nun mal nicht, wenn sich die Jahrzehnte vermischen, sie ist da sehr genau. Was sie schon mal in einige Nöte bringen konnte, etwa bei Andrzej Wajdas „Eine Liebe in Deutschland“: Uniformen hatte sie genug zum Drehort in Lörrach mitgenommen, aber als der Regisseur in einer Szene zehn weitere SA-Männer verlangte, war sie ratlos: Woher so schnell passende Armbinden nehmen? Doch selbst dieses Problem wurde gelöst, denn bei aller Akkuratesse: Improvisieren kann sie auch.

Also wurden aus roten Servietten, weißem Papier und schwarzem Klebeband zehn SA-Binden gebastelt, deren Träger man ganz hinten postierte und die gehalten waren, den linken, den Armbindenarm auf keinen Fall zu recken. Der Schwindel wäre sofort aufgeflogen. Wajda hat übrigens beim Drehen nichts bemerkt, wurde erst hinterher aufgeklärt und rief begeistert „Eine Ingrid“, weil sie so etwas oft tat, wenn es brenzlig wurde.

Ingrid Zoré könnte viele solcher Geschichten erzählen – eine Grande Dame in ihrem Metier, als Präsidentin des Vereins Die Filmschaffenden, der Vereinigung der Berufsverbände Film und Fernsehen, weiterhin der Branche eng verbunden und in dieser Rolle auch auf der Berlinale aktiv: Im Rahmen eines Empfanges des Vereins in der Landesvertretung Baden-Württemberg wird am Sonnabend zum siebten Mal der FairFilm Award für die fairste Produktion des vergangenen Jahres vergeben.

"Schauspieler dürfen ihre Kostüme gar nicht spüren"

Sie selbst hatte hinreichend Gelegenheit, Erfahrungen mit Produktionsbedingungen zu sammeln. Von den sechziger Jahren bis ins junge neue Jahrtausend reicht die Liste der Filme für Kino und Fernsehen, deren Personal sie eingekleidet hat, meist mit eigenen Entwürfen, bisweilen auch „von der Stange“, je nachdem, was der Stoff erforderte. Jedes Mal aber hatte zu gelten: „Schauspieler dürfen ihre Kostüme gar nicht spüren. Sie müssen sich tragen wie eine zweite Haut.“ Das wussten Stars wie Heinz Erhardt zu schätzen, mit dem sie in zwei „Willi“-Filmen zusammenarbeitete.

In Wolfgang Staudtes Gangsterkomödie „Die Herren mit der weißen Weste“ waren es Martin Held, Mario Adorf, Walter Giller, Agnes Windeck und Hannelore Elsner, in der TV-Serie „Drei Damen vom Grill“ Brigitte Mira, Brigitte Grothum, Gabrielle Schramm, Günter Pfitzmann und Harald Juhnke. Bei Romy Schneiders letztem Film „Die Spaziergängerin von Sans-Souci“ war sie dabei, ebenso bei dem Berliner Horrorfilm „Possession“ mit Isabelle Adjani. Für Sean Penns Vater Leo entwarf sie die Kostüme, die das Ensemble um Martin Sheen in „Judgment in Berlin“ trug, und in „Hokuspokus ...“ funktionierte Liselotte Pulver einen von Ingrid Zoré entworfenen Lampenschirm kurzerhand zum mondänen Hut um.

Eine ihrer letzten Arbeiten aber bekam kein Kinozuschauer zu sehen: Der Schauspieler Sylvester Groth sollte die Neuübersetzung von Dostojewskis „Schuld und Sühne“ – nun unter dem Titel „Verbrechen und Strafe“ – für ein Hörbuch einlesen, mochte dies aber nicht in seiner Alltagskluft tun, sondern bestand zwecks modischer Inspiration auf dem Kostüm des russischen Schriftstellers im 19. Jahrhundert. Also rief er Ingrid Zoré an, die ihn gleich mit zu Theaterkunst nahm: „Und dort hat sie mich von Kopf bis Fuß eingekleidet. Natürlich mit der üblichen Perfektion, wie für einen Film. Ich hätte sofort vor die Kamera treten können.“

Im Bremer Verlag Edition Linie ist Birgid Hankes Biografie „,Es muss stimmen’ – Die Kostümbildnerin Ingrid Zoré“ erschienen (70 Seiten, zahlreiche Abbildungen, 25 Euro, www.editionlinie.de).

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