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Die Justizvollzugsanstalt Tegel hat sich als Spielstätte der Berlinale bislang nicht hervorgetan, für den Dokumentarfilm „Raumfahrer“ aber bot sie sich an.

© Daniel Seiffert

Berlinale goes Knast: Die Freiheit vor Augen

Im Justizdeutsch heißt der Transport von Strafgefangenen nur schlicht „Verschubung“. Der Regisseur Georg Nonnenmacher hat daraus den Dokumentarfilm „Raumfahrer“ gemacht und in der JVA Tegel in Berlin gezeigt.

Ein paar Zuschauer haben sich Popcorn mitgebracht, die Stimmung ist ausgelassen. Was im Kino normal wäre. Aber dies hier ist ein Knast. Die JVA Tegel. Rund 50 Gefangene haben sich im Kultursaal versammelt, um die Vorführung von Georg Nonnenmachers Dokumentation „Raumfahrer“ zu sehen. Die erzählt von Gefangenentransporten per Bus, im Justizdeutsch „Verschubung“ genannt. Knäste auf Rädern, blaue Streifen, schmale Fenster, die man bisweilen auf der Autobahn sieht oder in der Stadt. Meist bleibt es beim flüchtigen Blick. Nonnenmachers Film aber öffnet einem die Innensicht. Mit der Kamera begleitet er den Häftling René, lässt ihn und andere im Off beschreiben, wie sich das anfühlt – für Stunden die Freiheit vorbeiziehen zu sehen.

Jetzt erlebt der Film, der auf der Berlinale in der Reihe „Perspektive Deutsches Kino“ läuft, seine Weltpremiere vor Fachpublikum. „Berlinale goes Knast“ ist die Veranstaltung nicht ironiefrei betitelt. In Anlehnung an „Berlinale goes Kiez“.

Rund 50 Häftlinge waren zur Aufführung gekommen und diskutierten den Film hinterher kontrovers mit Regisseur Georg Nonnenmacher. Dieser hatte als Protagonisten den Häftling René gewählt – den einzigen, der im Film tatsächlich zu sehen ist. Die anderen sind nur mit ihren Worten präsent.
Rund 50 Häftlinge waren zur Aufführung gekommen und diskutierten den Film hinterher kontrovers mit Regisseur Georg Nonnenmacher. Dieser hatte als Protagonisten den Häftling René gewählt – den einzigen, der im Film tatsächlich zu sehen ist. Die anderen sind nur mit ihren Worten präsent.

© Daniel Seiffert

Eine Doku über Gefangene, vorgeführt im Gefängnis. Bedeutet das nicht, Eulen nach Athen zu tragen? Georg Nonnenmacher lacht. Die Frage hört er nicht zum ersten Mal. „Ich würde den Film nicht in jeder beliebigen Anstalt zeigen“, stellt der Regisseur klar. Aber hier, in der JVA Tegel, hat Nonnenmacher mit den Redakteuren der Knast-Zeitschrift „Lichtblick“ die ersten Ansprechpartner für sein Projekt gefunden. Woraus sich viele wertvolle Kontakte ergaben. Etwa in die Vollzugsanstalt Schwerte, wo sein späterer Protagonist René einsaß.

„Berlinale goes Knast“ ist ein Dankeschön an die diejenigen, die ihm die Türen geöffnet haben. Fernsehteams sind in Tegel nicht zugelassen, nur wenige Journalisten dürfen mit. „Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich würde auf Kosten der Gefangenen Publicity machen“, sagt der gebürtige Kölner, der über den Job als Beleuchter zur Regie kam. Wer den Film sieht, wird an der Ernsthaftigkeit seines Anliegens kaum zweifeln. Überhaupt auf den Gefangenentransport mitgenommen zu werden, hat einigen logistischen Aufwand erfordert. „Die Busse verkehren nach einem festen Fahrplan zwischen den Gefängnissen“, erzählt Nonnenmacher, es gebe verschiedene Streckenabschnitte, Zuständigkeiten. „Ein Problem war, die Genehmigung für die unterschiedlichen Transportdienste zu bekommen.“ Köln beispielsweise erteilte ihm eine Absage. Wohl auch, weil im dortigen Hochsicherheitstrakt zur Drehzeit Beate Zschäpe einsaß.

Regisseur Georg Nonnenmacher hatte als Protagonisten den Häftling René gewählt – den einzigen, der im Film tatsächlich zu sehen ist. Die anderen sind nur mit ihren Worten präsent.
Regisseur Georg Nonnenmacher hatte als Protagonisten den Häftling René gewählt – den einzigen, der im Film tatsächlich zu sehen ist. Die anderen sind nur mit ihren Worten präsent.

© promo

Warum ein Film über Knackis? Soll man mit denen etwa Mitgefühl haben? Das sind schließlich Verbrecher! Mit solchen Anwürfen wurde Nonnenmacher selbst im Freundes- und Bekanntenkreis konfrontiert. Als ginge es darum, jemanden freizusprechen. „Kein Gefangener hat mir gegenüber bestritten, dass er zu Recht sitzt“, sagt er. Aber den Reflexionen der Häftlinge zu lauschen, die oft überraschend hellsichtig und bildstark ihre Situation beschreiben, verändert den Blick. „Normalerweise lassen die Gefangenen keine Gefühle raus“, sagt Nonnenmacher. Jedenfalls nicht gegenüber Mithäftlingen, schon gar nicht gegenüber dem Vollzugspersonal. Als er „Raumfahrer“ in der JVA Schwerte den Justizbediensteten zeigte, hätte ein stellvertretender Anstaltsleiter danach sichtlich bewegt gesagt: „Ich höre auf, ich kündige.“

In Tegel beginnen die Häftlinge nach dem Film eine engagierte Diskussion mit dem Regisseur. Einige loben „Raumfahrer“ als authentisch, ein Insasse bemängelt Einseitigkeit: „Wir hatten Transporte, auf denen wir Party ohne Ende gemacht haben!“ Aber kalt gelassen hat der Film niemanden.

Eine andere Perspektive auf die Realität schaffen – darum geht es Nonnenmacher, darum ist er Dokumentarfilmer geworden. Er selbst erzählt über seine erste Fahrt im Gefangenenbus: „Nach drei Stunden spätestens spürt man diese stille Gewalt, die einen umklammert.“ Auf der Zugfahrt zurück erschienen die Fenster auf einmal riesengroß, „man nimmt Gerüche und Geräusche anders wahr.“ Ein wenig erlebt man es so auch, wenn man nach der Vorführung die JVA Tegel wieder verlässt und die Gefängnistore sich hinter einem schließen. „Schon seltsam“, sagt Nonnenmacher. „Wir selbst würden unsere Welt ja nie als Freiheit bezeichnen.“

Raumfahrer: 13.2., 19.30 Uhr (Cinemaxx 3), 14.2., 13 Uhr (Colosseum 1), 14.2., 20.30 Uhr (Cinemaxx 1)

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