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Berlin: Berliner Abgeordnetenhaus: Bald geht alles wieder von vorne los

Der Abgeordnetenhauspräsident Reinhard Führer (CDU) gönnt sich erst einen Schluck Wasser. Dann eröffnet er die 35.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Der Abgeordnetenhauspräsident Reinhard Führer (CDU) gönnt sich erst einen Schluck Wasser. Dann eröffnet er die 35. Sitzung des Abgeordnetenhauses. Es ist die letzte Plenarsitzung dieser Wahlperiode, in dreieinhalb Wochen wird neu gewählt. Es ist 13.06 Uhr, auf der Zuschauertribüne sitzen einige Stammgäste und eine Schulklasse, die Presseplätze sind nur mäßig besetzt. Führer hält eine kleine Rede, das Besondere dieses Tages hervorhebend. "Viele Mitglieder des Abgeordnetenhauses werden dem nächsten Parlament nicht mehr angehören. Ihnen möchte ich für die Arbeit danken, die Sie für Berlin geleistet haben".

Stellvertretend für alle, die ihr Mandat abgeben, freiwillig oder unfreiwillig, nennt der Parlamentspräsident zuerst die beiden dienstältesten Volksvertreter: Eberhard Diepgen und Hubert Rösler. "Als Berliner von Geburt und Überzeugung hat Diepgen die Sache Berlins stets mit Leidenschaft vertreten", sagt Führer, und selbst die PDS-Abgeordneten klatschen.

Der ehemalige Regierende Bürgermeister sitzt in der ersten Reihe der CDU-Fraktion, neben dem Fraktionschef und Spitzenkandidaten Frank Steffel. Unbewegt nimmt er das hohe Lob entgegen. Schon am Vorabend hat er beim Abendessen mit ein paar Journalisten gebrummelt: "Muss denn das sein..."

Ja, das muss sein, so wie die Hommage an den Rechtsexperten Rösler aus Tempelhof, der gemeinsam mit Diepgen und anderen "jungen Wilden" 1971 ins Abgeordnetenhaus einzog. Führer erwähnt auch den SPD-Gesundheitsexperten Reinhard Roß, der ebenfalls das Parlament verlässt, und den sozialdemokratischen Bildungsexperten Peter Schuster, der in der ablaufenden Wahlperiode Alterspräsident war. Die scheidende PDS-Hinterbänklerin Kerstin Anding wird als "fleißig und sachkundig" gelobt und der Grünen-Abgeordnete Burkhard Müller-Schoenau als Haushaltsexperte, "der sich schnell einen Namen machte". Bei jedem Namen, den Führer nennt, spenden die Fraktionen artig Beifall.

Andere bleiben unerwähnt; zum Beispiel der ehemalige CDU-Fraktionsvorsitzende Klaus Landowsky, der immerhin seit 1975 im Berliner Parlament saß. Und der PDS-Abgeordnete Wolfgang Girnus, der zu DDR-Zeiten mit der Stasi zusammenarbeitete, aber sein Mandat nicht vorzeitig abgeben wollte. Um Girnus kümmert sich an diesem Tag niemand, aber der gut erholte, braungebrannte Landowsky wird von Journalisten umringt. Nach 25 ereignisreichen Jahren gehe er ohne Wehmut. Alle historisch wichtigen Entscheidungen seien getroffen, die Länderfusion Berlin-Brandenburg werde die Entwicklung nach dem Mauerfall noch abrunden. "Wir haben die Stadt geeint", sagt Landowsky stolz. Er sehe mit großer Genugtuung, was im vergangenen Jahrzehnt politisch gestaltet worden sei.

Was sagen die Anderen, die jetzt gehen? Irgendwie dasselbe. Das bewegendste Ereignis ihrer Parlamentszeit sei die Einheit der Stadt gewesen, meint die SPD-Fraktionsgeschäftsführerin Petra Merkel, die 2002 in den Bundestag einziehen will. "Ich bin 1989 reingekommen mit Rot-Grün, jetzt gehe ich mit Rot-Grün", sagt sie und lacht. Müller-Schoenau von den Grünen wiederum findet bei den Parlamentskollegen viel Verständnis und Respekt für seine Entscheidung, wegen seiner bevorstehenden Vaterschaft eine "Aus-Zeit" von der Politik zu nehmen.

Ohnehin liegt ein Hauch von Harmonie über dieser 35. Plenarsitzung. Arbeitssenatorin Gabriele Schöttler, im luftigen himmelblauen Kostüm, bekommt Blümchen und Küsschen, weil sie Geburtstag hat. Dann erheben sich die Abgeordneten spontan zu einer Schweigeminute, nachdem Parlamentspräsident Führer eine Agenturmeldung über die Schreckenstat in einem schweizerischen Kantonsparlament verlesen hatte. Die Fragestunde wird abgespult.

In der Aktuellen Stunde zum Großflughafen Schönefeld rangeln sich die Fraktionen routinemäßig, tauschen bekannte Positionen aus, aber echte Leidenschaft kommt nicht auf. Derweil plaudert Diepgen mit seinem alten Parteifreund und bewährten Berater Peter Radunski im Kasino. Radunski kommt auch nicht wieder, hat freiwillig auf eine neue Kandidatur verzichtet. Stunde für Stunde nähert man sich dem Ende der parlamentarischen Arbeit, nach 16 Tagesordnungspunkten und 33 Dringlichkeitsanträgen ist Schluss. Über die meisten Themen wird gar nicht mehr diskutiert.

Einen gemeinsamen Aufruf haben CDU, SPD, Grüne und PDS noch vorbereitet: an die "Bürgerinnen und Bürger aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Wahrnehmung des Wahlrechts". Die EU-Bürger dürfen seit 1995 an den Bezirkswahlen teilnehmen, aber die Beteiligung war bisher gering. Das sollte sich ändern, meinen die Fraktionen. Der Resolution stimmen alle zu. Gegen 20 Uhr gehen die Abgeordneten auseinander. Voraussichtlich am 29. November wird sich das neu gewählte Landesparlament zur konstituierenden Sitzung treffen. Dann geht alles wieder von vorne los.

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