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Berlin: Berliner Ärzte tun sich schwer mit türkischen Patienten

Die Herkunft beeinflusst Lebensweisen und damit auch die Gesundheit Mediziner beraten auf einem Kongress, wie sie Migranten besser helfen können

Türkische Patienten leiden anders: Magenkrankheiten zum Beispiel sind bei ihnen viel häufiger zu finden als bei der deutschen Bevölkerung. Und das hat einen einfachen Grund, sagt Ismael Tuncay, niedergelassener Chirurg in Berlin. „In Südeuropa sind die für Magengeschwüre verantwortlichen Bakterien stärker verbreitet.“ Auch Herz- und Kreislaufprobleme plagen die Migranten öfter. „Im Landesinneren der Türkei beginnt die Kebab-Zone“, sagt Tuncay. Die Menschen nehmen viel Fleisch und problematisches tierisches Fett zu sich. Kommen sie nach Deutschland, verstärkt sich das Problem. „Hier ist Fleisch billiger als in der Türkei, und die Einwanderer essen noch mehr Fleisch – mit all den Folgen dieser ungesunden Ernährung.“

Ein Arzt, der türkische Patienten behandeln will, muss diese Besonderheiten kennen – und die Sprache der Migranten sprechen. Doch daran mangelt es. Auf dem ersten Deutsch-Türkischen Kongress Medizin und Gesundheitspolitik, der heute und morgen in Zusammenarbeit mit der Charité stattfindet, steht die bessere Integration türkischer Patienten im Mittelpunkt. „Es war schon lange Zeit, dass ein solcher Kongress stattfindet“, sagt die Berliner Gynäkologin Emine Yüksel. Schließlich leben in der Stadt rund 180 000 türkischstämmige Einwohner. Insgesamt 6900 niedergelassene Ärzte arbeiten in Berlin, statistisch ist also ein Doktor für rund 500 Berliner und Berlinerinnen verantwortlich. Doch darunter sind nur 130 türkischsprachige Mediziner – einer für rund 1400 Türken.

Es gibt kulturelle Unterschiede im Umgang mit Krankheiten. Es ist beispielsweise schwierig, türkische Patienten davon zu überzeugen, ihren Lebensstil zu ändern, damit sie gesund werden oder das Risiko für Folgeschäden verringern. „Für Türken kommt eine Krankheit sozusagen von außen, sie fühlen sich nicht dafür verantwortlich“, sagt Yüksel. Deshalb fällt es einem türkischen Bluthochdruckpatienten schwer zu verstehen, dass er seine Ernährung umstellen muss. „Ein Kranker erwartet vom Arzt eine Pille, um das Problem aus der Welt zu schaffen.“

Noch schlechter sieht es bei der psychologischen Versorgung aus. „In Berlin gibt es rund zehn türkische Psychologen mit Kassenzulassung“, sagt Yüksel, die auch Mitglied in der Berliner Gesellschaft türkischer Mediziner ist. Dabei fänden sich unter den Migranten häufiger Depressionen als unter Deutschen. Davon seien zum Beispiel Frauen der ersten Einwanderergeneration, die jetzt Rentnerinnen sind, stark betroffen. „Sie haben jahrelang hier gelebt. Sie sind der Türkei entfremdet, aber in Deutschland nicht heimisch geworden – sie haben nie ein richtiges Zuhause gefunden“, sagt Yüksel.

Bei dieser Versorgungslage ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass ein deutscher Arzt einen türkischen Patienten behandelt. Deshalb wollen die Kongress-Organisatoren Netzwerke von deutschen und türkischen Medizinern in Berlin aufbauen, um gemeinsam Therapieprobleme zu lösen. Beispielsweise den Umgang mit den Schamgrenzen, die bei muslimischen Patienten wesentlich höher sind, als bei deutschen Kranken. „Untereinander könnnen türkische Frauen offener über sexuelle Probleme reden, als manche deutsche Frau“, sagt die Gynäkologin Yüksel. „Doch vor Fremden – und das gilt auch für eine Medizinerin – ist es für sie unendlich schwer, offen über solche Themen zu reden.“

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