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Berlin: Berliner Büßerhemd

Bei der Neuverhandlung des Länderfinanzausgleichs wird es die wirtschaftsschwache Hauptstadt schwer haben Seit 1995 überwiesen Bund und Länder insgesamt mehr als 85 Milliarden Euro. Das Vorbild Hamburg bleibt vorerst unerreichbar.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Wenn Bund und Länder, irgendwann nach der Bundestagswahl 2013, den Länderfinanzausgleich neu aushandeln, wird das für Berlin ein Gang nach Canossa. Barfuß und im Büßerhemd wird der Regierende Bürgermeister, begleitet vom Finanzsenator, Abbitte leisten müssen. Ob das reicht? Die nackten Zahlen sprechen erst einmal nicht für Berlin: Drei Milliarden Euro flossen 2011 aus dem Länderfinanzausgleich in die Hauptstadt.

Als das zusammenwachsende Berlin 1995 gemeinsam mit den ostdeutschen Ländern in das bundesstaatliche Finanzsystem eingegliedert wurde, waren es „nur“ 2,2 Milliarden Euro. Seitdem haben die Länder, die in den großen Topf einzahlen müssen, über 45 Milliarden Euro an Berlin überwiesen. Das ärgert vor allem Bayern, Baden-Württemberg und Hessen, die als Wirtschaftsmotoren der Republik verfassungsrechtlich in der Pflicht stehen, die Finanzkraft der schwachen Länder auszugleichen.

Aber – wenn die Südländer jetzt den Bund auffordern, für die finanzielle Ausstattung seiner Hauptstadt mehr Verantwortung zu übernehmen, um ihnen einen Teil der Lasten abzunehmen, reden sie an den Tatsachen elegant vorbei. Denn auch der Bund zahlt kräftig ein. Im vergangenen Jahr flossen 2,5 Milliarden Euro Bundesergänzungszuweisungen in die Berliner Landeskasse. Seit 1995 mehr als 40 Milliarden Euro. Momentan muss Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble noch kein schlechtes Gewissen haben, weder gegenüber Berlin noch den laut klagenden Geberländern. Allerdings wird seine Position im Streit um den bundesstaatlichen Finanzausgleich und die Hauptstadtfinanzierung jährlich schwächer, denn die Zuwendungen des Bundes aus dem Solidarpakt für die ostdeutschen Länder werden schrittweise abgebaut. In Berlin von jetzt 1,4 Milliarden Euro bis 2020 auf null.

Momentan ist es aber noch so, dass jeder vierte Euro im Berliner Landeshaushalt vom Bund und den finanzstarken Ländern kommt. Dabei sind die rein hauptstadtbedingten Finanzmittel nicht eingerechnet. Für polizeiliche Sicherheitsmaßnahmen, die städtebauliche Entwicklung des Parlaments- und Regierungsviertels, für Verkehrsprojekte und Denkmalpflege, vor allem aber für die Kultur, überweist Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jährlich dreistellige Millionenbeträge. Der letzte Hauptstadtfinanzierungsvertrag wurde 2007 für zehn Jahre abgeschlossen. Erst dann kann neu verhandelt werden.

Alle diese Gelder stehen Berlin nicht nur vertraglich, sondern auch grundgesetzlich verankert zu. Als Hauptstadt, als strukturschwache Region im Osten Deutschlands, als Stadtstaat mit seinen vielfältigen Aufgaben für das Umland, und als immer noch schwachbrüstiger Wirtschaftsstandort. Das ist wohl auch das Hauptproblem, das die deutsche Metropole mit sich herumschleppt und im Vergleich mit Hamburg offensichtlich wird. Dort wurden 2010 knapp 50 000 Euro je Einwohner erwirtschaftet. In Berlin waren es gerade einmal 27 500 Euro, entsprechend gering ist die kommunale Steuerkraft. Trotz der relativ erfolgreichen Sanierung des Landeshaushalts, mit der die öffentlichen Ausgaben eingedämmt wurden, hat Berlin ein beträchtliches Einnahmeproblem.

Denn nach dem Mauerfall hat die Berliner Wirtschaft gute 15 Jahre gebraucht, um sich neu aufzustellen. Mit boomender Dienstleistung, Baubranche und einer forschungsintensiven, modernen Industrie. Erst seit 2005 zeigt das Bruttoinlandsprodukt Wachstumsraten, die Berlin im Vergleich mit anderen Wirtschaftsregionen konkurrenzfähig machen. Das ist ein mühsamer Prozess, und die Finanzverwaltung des Senats wagt keine zeitlichen Prognosen, wann sich Berlin vom Tropf des Bundes und der Länder ablösen kann. Um vom Nehmer- zum Geberland zu werden, müsste mindestens die Wirtschafts- und Finanzkraft Hamburgs erreicht werden, teilte die Finanzbehörde dem Tagesspiegel mit. Dies sei jedoch „auf absehbare Zeit unrealistisch“.

Für den Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos) ist die Strategie trotzdem klar, auch wenn die Erfolge auf sich warten lassen: „Erfolgreiche Unternehmen und gute Arbeitsplätze sind das Fundament für staatliche Einnahmen“. Und der jährlich wachsende Länderfinanzausgleich zugunsten Berlins hat für ihn auch einen positiven Hintergrund: Die steigenden Einwohnerzahlen bringen Geld.

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