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Im November 1991 wurde das Lenin-Denkmal am heutigen Platz der Vereinten Nationen in Friedrichshain abgebaut und in den Wald nach Köpenick gebracht.

© Imago

Berliner Denkmal: So wird das Lenin-Denkmal ausgegraben

Die Bergung des Lenin-Denkmals im Müggelwald beginnt. Sie ist mit fast kabarettistischer Akribie vorbereitet worden - um die Zauneidechsen zu schützen.

Wenn im Müggelwald ein Stein ausgegraben wird, fällt das zunächst in dieselbe Kategorie wie der umgefallene Sack Reis in China. Nicht aber in diesem Fall: Donnerstagmittag soll der Kopf des 1991 im Köpenicker Forst vergrabenen Lenindenkmals in der Spandauer Zitadelle eintreffen – als prominentestes Exponat der Dauerausstellung „Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler“. Das Medieninteresse ist so enorm, dass Journalisten anmelden müssen, ob sie den Kulturstadtrat, die Ausstellungsleiterin oder den wissenschaftlichen Beirat interviewen möchten. Von Akkreditierungswünschen für die Bergung des Kopfes bittet die Stadtentwicklungsverwaltung abzusehen, weil das Journalistenheer die mühsam umgesiedelten Zauneidechsen zertrampeln könnte. Der steinerne Lenin vom heutigen Platz der Vereinten Nationen wird posthum so berühmt wie die Rolling Stones. Und dabei selbst ein rolling stone.

In Luftbildern ist ein Landeplatz für Hubschrauber markiert

Vor dem Transport quer durch die Stadt steht die Bergung an seinem Lagerort im Wald bei Müggelheim. Und die ist mit fast kabarettistischer Akribie geplant, wie Dokumente zeigen, die dem Tagesspiegel vorliegen: Ein 17-seitiges Bergungskonzept mit sechsseitigem Anhang. Die zwölfseitige Expertise eines Diplombiologen zur Umsiedlung der Zauneidechsen von dem Sandhügel, unter dem die zunächst offen gelagerten 111 Denkmalteile seit 1992 ruhen. Und eine siebenseitige Ausnahmegenehmigung der Obersten Naturschutzbehörde.

Laut dem Anfang 2015 verfassten Bergungskonzept sind für die Freilegung des Kopfes drei Tage veranschlagt. Sie müsste also an diesem Montag beginnen, damit Lenin pünktlich seine Reise in den Westen antreten kann. Der Standort der Toilette („Es werden vier Mitarbeiter benötigt“) ist ebenso in Luftbildern vermerkt wie die Position des Kettenbaggers und die Lage eines möglichen Hubschrauberlandeplatzes. Wobei der Transport per Helikopter – das Bild aus dem Film „Goodbye, Lenin!“ ist weltberühmt – aus Kostengründen verworfen wurde: Die beauftragte Ingenieurgesellschaft hat ermittelt, dass geeignete Helis für 460 000 Euro aus Bayern geholt werden müssten.

Das Arbeitsgerät: Ein Bio-Bagger mit langem Arm

Das Gewicht des Leninkopfs aus ukrainischem Marmorgranit wird auf bis zu sieben Tonnen geschätzt. Da im Wald nur eine Arbeitsmaschine fuhrwerken soll, empfiehlt die Fachfirma einen Kettenbagger mit möglichst langem Greifarm. Der könne sich mit jeder Schaufel voll Aushub direkt zum bereitstehenden Container drehen, ohne durch den Wald fahren zu müssen und dabei den Boden zu verdichten. Zwar könnten die geschätzt 80 Kubikmeter Aushub auch per Schubkarre abgetragen werden, aber das würde mehr Personal und Zeit erfordern. Außerdem wird der Bagger mit biologisch abbaubaren Mitteln geschmiert. Ein Bio-Bagger.

Wo genau nach dem Kopf gegraben werden muss, ist dank einer Skizze von 1992 klar: Als Teil Nummer 16 liegt er etwa in der Mitte des Hügels.

Auf jenem Hügel hat sich dank sonniger Lage und Gestrüpps eine unbekannte Zahl streng geschützter Zauneidechsen angesiedelt, die im Sommer mit einem Folienzaun samt vergrabenen Puddingbechern eingesammelt und auf eine eigens freigelegte Nachbarfläche umgesiedelt wurden. „Eine erfolgreiche Beendigung der Vergrämung liegt vor, wenn zwei Wochen lang kein Individuum mehr in den Eimerfallen am Fangzaun vorgefunden wurde“, schreibt die Naturschutzbehörde.

Der etwa 50 Zentimeter hohe Fangzaun ist nach Einschätzung des beauftragten Biologen nötig, weil der Leninhügel so attraktiv sei, „dass ein großer Anteil der Eidechsen diesen nicht freiwillig verlassen wird“. Gegen Rückwanderung müsse auch das neue Habitat eidechsensicher umzäunt werden. Auch dürfe der Zufahrtsweg erst kurz vor Beginn der Arbeiten freigeschnitten werden, weil die Schneise wiederum Eidechsen anlocken könne. Denn unter den wechselwarmen Reptilien gilt gerade an kühlen Tagen die Devise: „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“.

Hinterher haben es die Eidechsen noch besser - sofern sie überleben

Dank der Ausnahmegenehmigung der Naturschutzbehörde muss die Grabung nicht abgebrochen werden, sobald eine Eidechse erscheint: „Eine unvermeidliche, während des Baugeschehens erfolgende Tötung einzelner Individuen, welche sich der zuvor erfolgten Vergrämung entzogen haben“, werde dank des insgesamt vergrößerten Lebensraums ausgeglichen, heißt es in dem Bescheid. Nach vollbrachter Bergung sei das Grabungsloch mit nährstoffarmem Z0-Boden gemäß Bundesbodenschutzgesetz zu verfüllen. Eine Zufütterung der Tiere im neuen Habitat sei „hier nicht vonnöten“.

„Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“, soll Lenin einst behauptet haben. Das Bundesnaturschutzgesetz gab es damals noch nicht.

Wie es übrigens mit dem Abriss vor 24 Jahren los ging, lesen Sie hier in einem Text aus dem Tagesspiegel vom 9. November 1991

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