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Dinnerparty heute: Einer lehnt Lauchgewächse ab, der nächste ekelt sich vor dem Inneren von Gurken. Eine macht immer Diät. Und dann kommen noch die Unverträglichkeiten. Es ist schwierig geworden, mit gutem Essen Freude zu stiften.

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Berliner Essens-Eigenheiten: Immer diese Suppenkasperei!

Vegetarisch, vegan, frutarisch. Zuckerfrei, glutenfrei, laktosefrei. Immer mehr Unverträglichkeiten, Essensmarotten und die Nischenrestaurants dazu. Unsere Autorin fragt sich: Können wir nicht einfach wieder essen, was auf den Tisch kommt?

Von Julia Prosinger

Ich stehe in der Küche und rätsele an Rubiks Zauberwürfel herum. So komme ich mir zumindest vor, wenn ich versuche, die Essgewohnheiten junger Berliner in einem einzigen Menü unterzubringen.

Denn hier wird nichts mehr einfach so gegessen. Jeder Zusage zur Essenseinladung folgen genaue Instruktionen. Einer meiner Gäste lehnt Lauchgewächse ab, Zwiebeln oder Knoblauch, weil er schlechten Atem befürchtet. Der nächste ekelt sich vor dem Inneren von Gurken, wegen der glitschigen Konsistenz, noch schlimmer findet er nur das Innere von Tomaten. Pilze gehen gar nicht, und Koriander schmeckt nach Seife. Eine macht immer Diät. Eine andere ernährt sich jetzt Low Carb, sie lässt Kohlenhydrate weg und isst stattdessen Eiweiß, aber nur bio und regional.

Hinzu kommen die Unverträglichkeiten: Laktose, Gluten, Fruktose. Ich bin verzweifelt. Vegetarier sind mittlerweile die unkompliziertesten Gäste. Früher habe ich gern für Freunde gekocht. Inzwischen verstopfen „Frei von“-Produkte und Agavendicksaft meinen Kühlschrank. Oder noch schlimmer: Jeder bringt sich seine Portion selbst mit. Es ist schwierig geworden, mit gutem Essen Freude zu stiften.

23 Prozent der Deutschen empfinden irgendeine Unverträglichkeit. Empfinden!

An manchen Tagen komme ich mir vor wie der Koch des DDR-Politbüros. Der erzählte einmal, wie er für die alten Männer dort Extrawürste braten musste: einen Rotkohl ohne Zucker, eine Rindsroulade ohne Speck, einen Kartoffelbrei ohne Butter. Auf Honeckers Teller steckten Fähnchen zur Kennzeichnung.

Liegt es an meinen Freunden, die sich wie 70-Jährige benehmen, oder habe ich es hier mit einem Trend zu tun? Bislang kannte ich dieses Verhalten von zickigen Models und esoterischen Makrobioten. Kinder, deren Gaumen noch ungeschult ist – Geschmack entwickelt sich ja durch Übung –, hassen Oliven oder Haut auf der Milch. Hat ja auch einen evolutionären Sinn, dass wir nur essen, was wir kennen, so vergiften wir uns nicht.

Aber plötzlich scheinen alle Ticks salonfähig. Essensmarotten werden zu Persönlichkeitsmerkmalen. Als wäre man ohne nicht eigen genug. Man legt sie sich zu wie eine stylische Hornbrille oder ein Retro-Rennrad. Natürlich gibt es Menschen, die wirklich unter bestimmten Nahrungsmitteln leiden. Die nach einer Pasta alla Gorgonzola die Nacht auf der Toilette verbringen müssen. Doch seid ihr wirklich alle so krank? Laut einer Studie von Ears and Eyes empfinden 23 Prozent der Deutschen irgendeine Unverträglichkeit. Ärzte kommen jedoch auf weit geringere Werte – nicht jedes Bauchgrummeln ist eine lebensbedrohliche Allergie.

Die Gastronomie hat sich längst auf diese neue Suppenkasperei eingestellt. Wer bei Tim Raue isst, wird zuerst nach etwaigen Intoleranzen gefragt, als wäre er gerade ins Krankenhaus eingeliefert worden und nicht in ein Sternerestaurant eingekehrt. Die Bestellung dauert bald so lange wie die Zubereitung: Könnten Sie bitte den Ziegenkäse weglassen und durch Croutons ersetzen?

Manchmal glaube ich, andere wollen mir durch ihr Essverhalten eins reinwürgen

Ich finde es ziemlich intolerant, ständig den gesamten Tisch mit den eigenen Vorlieben zu belästigen. Und ich werde das Gefühl nicht los, dass andere mir durch ihr Essverhalten eins reinwürgen wollen: Schau, ich rette die Welt, du hingegen belastest unseren Planeten mit deinem Kalbsschnitzel! Du bist altmodisch, verantwortungslos und wirst bald an Verfettung sterben!

Gerade erst hat in meiner Straße wieder ein veganes Restaurant eröffnet. Es gibt Eiersalat ohne Ei und bestimmt bald, wie in den USA, Truthahn aus Tofu, Tofurkey. Ich freue mich ja, dass sich der deutsche Gaumen fortbildet, dass die Zeiten von fadem Kartoffelpüree mit brauner Einheitssoße vorbei sind. Dass man nicht jeden Tag Schweinsbraten essen muss. Aber der Auswahlwahn ist massiv, besonders in Berlin, der inoffiziellen Hauptstadt der schwierigen Esser.

Im Eisladen wähle ich zwischen zuckerfreiem Marzipan-Mohn und veganem Gurke-Minze-Zitrone. Ob ich mein Wasser dazu still, medium oder klassisch will? Den Kaffee mit oder ohne Milch? Wenn mit: kalt oder warm, fettarm oder voll, Soja oder Kuh? Bei so viel "oder" vergeht mir der Appetit. Darum rufe ich wie einst die Großmütter: Gegessen wird, was auf den Tisch kommt!

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