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Berlin: Berliner Festwochen: Tagebuch

Ob die harten Schläge der Bluttat in "Macbeth" oder die beiden Mönche, die in der neunten Variation von "Don Quixote" in meisterhaft gespielter Fagott-Polyphonie ihr fabulierendes Wesen treiben - der "Jahrhundertklang" dieser Werke gehört einer seltsamen Vorferne an. Es ist die Welt von Richard Strauss, die mit dem Fin de siècle versinkt, um sich in den ekstatischen Opern "Salome" und "Elektra" einer Modernität zu verschreiben, die sie dann aus eigenwilliger Kraft wieder verlässt.

Ob die harten Schläge der Bluttat in "Macbeth" oder die beiden Mönche, die in der neunten Variation von "Don Quixote" in meisterhaft gespielter Fagott-Polyphonie ihr fabulierendes Wesen treiben - der "Jahrhundertklang" dieser Werke gehört einer seltsamen Vorferne an. Es ist die Welt von Richard Strauss, die mit dem Fin de siècle versinkt, um sich in den ekstatischen Opern "Salome" und "Elektra" einer Modernität zu verschreiben, die sie dann aus eigenwilliger Kraft wieder verlässt. Vor dem "Rosenkavalier" und den "Vier letzten Liedern" jedoch verstummt die Widerrede gegen den kompositorischen Rückschritt.

Wie ein Künstler sich und seinem Gesetz treu bleibt, das klingt aus den Orchesterliedern des 84-Jährigen nach Gedichten von Hesse und Eichendorff. Cheryl Studer trifft diesen goldgerahmten Strauss-Ton durchaus intuitiv, ohne ihm zusätzlich eigenes Interpretenprofil zu geben (wie etwa eine Jessye Norman). Die Stimme, um die es den berühmten Münchner Opernstreit gegeben hat, wirkt wohltuend erholt, aber begrenzt in ihren Phrasierungsmöglichkeiten.

Da Claudio Abbados Gesundheit noch nicht wieder hergestellt ist, muss das begehrte "Elektra"-Projekt des Berliner Philharmonischen Orchesters entfallen, so dass vor dem Eingang der Philharmonie viele Billetts auf neue Käufer warten. Für die Chrysothemis-Partie engagiert, singt Studer späten Strauss. In dieser Situation driftet das Programm ins Beliebige ab wie viele andere Festwochenbeiträge auch. Als Dirigent "rettet" David Zinman das Konzert, indem er die Tondichtung nach Shakespeare und die "Fantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters" in wachsamer, unsentimentaler Kapellmeistermanier vorantreibt. Bleibt bei "Don Quixote" Natalia Gutman mit dem unwiderstehlichen Charme ihres Cellospiels, im Dialog mit Schellenbergers Oboe, und die Violakunst von Wolfram Christ: Bewunderung vor der makellosen Intonation zweier Solostreicher. S. M.

Wo bleibt eigentlich der "Wozzeck"? Wie kann es angehen, dass ausgerechnet die bedeutendste Oper des letzten Jahrhunderts bei der großen "best-of"-Show der Festwochen fehlt? Ein konzertante Aufführung mit den Philharmonikern wäre da eigentlich Pflicht gewesen, wenn schon keines der drei Opernhäuser das Stück gerade im Repertoire hat. Oder am besten ein Gastspiel einer aktuellen deutschen Stadttheater-Produktion. Zum Beispiel aus Neustrelitz. Das wäre wirklich einmal eine mutige Programmentscheidung gewesen, die einen Kontrapunkt gegen eingefahrene Festival-Hierarchien gesetzt hätte. Verpasst! Bleibt uns nur, in die Provinz zu fahren. Nicht nur zum "Wozzeck". jök

Der Mann ist und bleibt der Musikwelt ein Rätsel. In Moskau geboren, in Salzburg gestorben, seit 1936 "Reichskultursenator", davor Professor für Komposition in München und in Berlin. Hans Pfitzner schrieb viel Kammermusik, ein paar Chorwerke, zwei Symfonien und mindestens zwei Opern, von denen im Repertoire nur eine überlebte, nämlich, ach ja, das Künstlerdrama "Palestrina". Ein glänzender Pianist muss dieser Pfitzner gewesen sein. Darüber hinaus betätigte er sich unter so unsympathischen Titeln wie "Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?" (1920) als ebenso polemischer wie militant verzopfter Musikschriftsteller. Hans Pfitzner - der ewige Reaktionär und Anachronist?

Ein ganzer Abend Pfitzner im Kammermusiksaal der Philharmonie - das hätte in der Tat hart sein können. Überhaupt werfen nach dieser ersten Woche "Jahrhundertklang" gerade die strikt monothematischen (und also von Haus aus ziemlich fantasielosen) Komponistenporträts heikle Fragen auf: Hören unsere Ohren mikrokosmisch wirklich mehr als makrokosmisch? Erklärt sich ein Max Reger tatsächlich am besten durch sich selbst? Ein Richard Strauss durch Richard Strauss? Oder schreit gerade Pfitzner nicht vielmehr nach seinen politischen Antipoden, nach Busoni, Schönberg, Schreker, um sich nachhaltig Gehör zu verschaffen? Kurz: Was nützt alle Quer- oder vermeintliche Rückständigkeit, wenn sie nicht zu uns spricht?

Ob sich der Musikliebhaber nun mit derlei düsteren Gedanken beschwerte oder nicht: Das Publikum blieb einfach weg. Kaum zwei Buchstaben-Blöcke füllten die wenigen Unermüdlichen an diesem Abend. Eine Atmosphäre wie auf Bewährung, nur dass die fabelhaften Instrumentalisten des Rosamunde Quartetts (Andreas Reiner, Simon Fordham, Helmut Nicolai und Anja Lechner) dafür von Anfang an viel zu leidenschaftlich agierten: Pfitzner - davon kündete bereits der in seinen gläsernen Gesten gleichsam erstarrte, sich selbst konservierende Kopfsatz des späten dritten Streichquartetts von 1942 - ist diesen Musikern ein Anliegen.

Und wie so oft begeisterte ihr unerhört persönlicher, intimer, ja seelenwarmer Ton. Das orchestrale Rauschen, die fahlen, spukhaften Lichter im "Intermezzo" des Klavierquintetts (sehr wach: Silke Avenhaus), der sich quasi solistisch verzehrende Gesang der Instrumente im Sextett nach der Pause (mit dem Klarinettisten Jörg Widmann und dem Kontrabassisten Janne Saksala), die wehmütigen Reminiszenzen ausgerechnet an Franz Schubert - und man meinte Pfitzner, den Verkannten, früh Verhärmten, an die Wände seiner eigenen ästhetischen Gummizelle schlagen zu hören. Le.

Ob die harten Schläge der Bluttat in "Macbeth" oder die beiden Mönche, die in der neunten Variation von "Don Quixote" in meisterhaft gespielter Fagott-Polyphonie ihr fabulierendes Wesen treiben - der "Jahrhundertklang" dieser Werke gehört einer seltsamen Vorferne an. Es ist die Welt von Richard Strauss, die mit dem Fin de siècle versinkt, um sich in den ekstatischen Opern "Salome" und "Elektra" einer Modernität zu verschreiben, die sie dann aus eigenwilliger Kraft wieder verlässt. Vor dem "Rosenkavalier" und den "Vier letzten Liedern" jedoch verstummt die Widerrede gegen den kompositorischen Rückschritt.

Wie ein Künstler sich und seinem Gesetz treu bleibt, das klingt aus den Orchesterliedern des 84-Jährigen nach Gedichten von Hesse und Eichendorff. Cheryl Studer trifft diesen goldgerahmten Strauss-Ton durchaus intuitiv, ohne ihm zusätzlich eigenes Interpretenprofil zu geben (wie etwa eine Jessye Norman). Die Stimme, um die es den berühmten Münchner Opernstreit gegeben hat, wirkt wohltuend erholt, aber begrenzt in ihren Phrasierungsmöglichkeiten.

Da Claudio Abbados Gesundheit noch nicht wieder hergestellt ist, muss das begehrte "Elektra"-Projekt des Berliner Philharmonischen Orchesters entfallen, so dass vor dem Eingang der Philharmonie viele Billetts auf neue Käufer warten. Für die Chrysothemis-Partie engagiert, singt Studer späten Strauss. In dieser Situation driftet das Programm ins Beliebige ab wie viele andere Festwochenbeiträge auch. Als Dirigent "rettet" David Zinman das Konzert, indem er die Tondichtung nach Shakespeare und die "Fantastischen Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters" in wachsamer, unsentimentaler Kapellmeistermanier vorantreibt. Bleibt bei "Don Quixote" Natalia Gutman mit dem unwiderstehlichen Charme ihres Cellospiels, im Dialog mit Schellenbergers Oboe, und die Violakunst von Wolfram Christ: Bewunderung vor der makellosen Intonation zweier Solostreicher. S. M.

Wo bleibt eigentlich der "Wozzeck"? Wie kann es angehen, dass ausgerechnet die bedeutendste Oper des letzten Jahrhunderts bei der großen "best-of"-Show der Festwochen fehlt? Ein konzertante Aufführung mit den Philharmonikern wäre da eigentlich Pflicht gewesen, wenn schon keines der drei Opernhäuser das Stück gerade im Repertoire hat. Oder am besten ein Gastspiel einer aktuellen deutschen Stadttheater-Produktion. Zum Beispiel aus Neustrelitz. Das wäre wirklich einmal eine mutige Programmentscheidung gewesen, die einen Kontrapunkt gegen eingefahrene Festival-Hierarchien gesetzt hätte. Verpasst! Bleibt uns nur, in die Provinz zu fahren. Nicht nur zum "Wozzeck". jök

Der Mann ist und bleibt der Musikwelt ein Rätsel. In Moskau geboren, in Salzburg gestorben, seit 1936 "Reichskultursenator", davor Professor für Komposition in München und in Berlin. Hans Pfitzner schrieb viel Kammermusik, ein paar Chorwerke, zwei Symfonien und mindestens zwei Opern, von denen im Repertoire nur eine überlebte, nämlich, ach ja, das Künstlerdrama "Palestrina". Ein glänzender Pianist muss dieser Pfitzner gewesen sein. Darüber hinaus betätigte er sich unter so unsympathischen Titeln wie "Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom?" (1920) als ebenso polemischer wie militant verzopfter Musikschriftsteller. Hans Pfitzner - der ewige Reaktionär und Anachronist?

Ein ganzer Abend Pfitzner im Kammermusiksaal der Philharmonie - das hätte in der Tat hart sein können. Überhaupt werfen nach dieser ersten Woche "Jahrhundertklang" gerade die strikt monothematischen (und also von Haus aus ziemlich fantasielosen) Komponistenporträts heikle Fragen auf: Hören unsere Ohren mikrokosmisch wirklich mehr als makrokosmisch? Erklärt sich ein Max Reger tatsächlich am besten durch sich selbst? Ein Richard Strauss durch Richard Strauss? Oder schreit gerade Pfitzner nicht vielmehr nach seinen politischen Antipoden, nach Busoni, Schönberg, Schreker, um sich nachhaltig Gehör zu verschaffen? Kurz: Was nützt alle Quer- oder vermeintliche Rückständigkeit, wenn sie nicht zu uns spricht?

Ob sich der Musikliebhaber nun mit derlei düsteren Gedanken beschwerte oder nicht: Das Publikum blieb einfach weg. Kaum zwei Buchstaben-Blöcke füllten die wenigen Unermüdlichen an diesem Abend. Eine Atmosphäre wie auf Bewährung, nur dass die fabelhaften Instrumentalisten des Rosamunde Quartetts (Andreas Reiner, Simon Fordham, Helmut Nicolai und Anja Lechner) dafür von Anfang an viel zu leidenschaftlich agierten: Pfitzner - davon kündete bereits der in seinen gläsernen Gesten gleichsam erstarrte, sich selbst konservierende Kopfsatz des späten dritten Streichquartetts von 1942 - ist diesen Musikern ein Anliegen.

Und wie so oft begeisterte ihr unerhört persönlicher, intimer, ja seelenwarmer Ton. Das orchestrale Rauschen, die fahlen, spukhaften Lichter im "Intermezzo" des Klavierquintetts (sehr wach: Silke Avenhaus), der sich quasi solistisch verzehrende Gesang der Instrumente im Sextett nach der Pause (mit dem Klarinettisten Jörg Widmann und dem Kontrabassisten Janne Saksala), die wehmütigen Reminiszenzen ausgerechnet an Franz Schubert - und man meinte Pfitzner, den Verkannten, früh Verhärmten, an die Wände seiner eigenen ästhetischen Gummizelle schlagen zu hören. Le.

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