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© Thilo Rückeis

Berliner Gewässer: Müggelsee wird immer wärmer

Im Lauf der Jahre stieg die durchschnittliche Wassertemperatur des Sees um zwei Grad. Am Müggelsee lässt sich die Wirkung des Klimawandels exemplarisch studieren.

Der Müggelsee schäumt mal wieder. Kräftiger Südwestwind hat die schmutzigweißen Schlieren zum Friedrichshagener Ufer geschoben. Direkt vor die Füße von Rita Adrian. Die Biologin schaut in die Brühe und erklärt: „Das Körnige, was unten im Wasser schwebt, sind Blaualgen. Die profitieren am meisten von der Erwärmung.“ Durchschnittlich zwei Grad ist der Große Müggelsee in den vergangenen 30 Jahren wärmer geworden. Rita Adrian und ihre 150 Kollegen vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) wissen das so genau, weil 300 Meter vom Ufer entfernt eine Messstation schaukelt, die vom Sauerstoffgehalt bis zur Temperatur in verschiedenen Tiefen fast alles registriert, was messbar ist. „So genaue und langfristige Datenreihen gibt es nur von wenigen Gewässern weltweit“, sagt die Wissenschaftlerin. So lässt sich am Müggelsee die Wirkung des Klimawandels exemplarisch studieren.

Das Jahr im See ähnelt dem auf dem Land: Je nach Saison gedeihen unterschiedliche Gewächse. Der Frühling im See beginnt, wenn das Eis taut. Das war früher oft erst Ende März, während es in letzter Zeit oft gar keines mehr gab. Die durchschnittliche „Eiszeit“ hat sich halbiert. In der Frühlingssonne beginnen die Kieselalgen zu wachsen und tönen das Wasser bräunlich. Nahrung finden sie dank der über den Winter angesammelten Nährstoffe genug. Allein: Die Algen leben nicht allzu lange; Massen von Wasserflöhen fressen sie auf. Das Resultat nennen die Experten „Klarwasserstadium“.

Diese Phase – etwa Ende Mai – verleitet Badefreunde alle Jahre wieder zu der trügerischen Hoffnung, dass das Wasser endlich richtig einladend bleiben würde. Den Biologen signalisiert sie, dass im See der Sommer beginnt. In dem wachsen Grün- und Blaualgen, wobei letztere jene Krümel bilden, die für Wasserflöhe zu groß sind. Außerdem können Blaualgen absinken, um Nährstoffe aus den Tiefen des Sees aufzunehmen, und wieder aufsteigen. Wenn dazu eine windstille Schönwetterphase kommt, wird der Sauerstoff knapp, und abgelagerter Phosphor beginnt sich zu lösen. Damit düngt sich der See praktisch selbst – und wird immer unappetitlicher. So macht das veränderte Klima teilweise den Vorteil zunichte, den der Müggelsee von der seit der Wende sauberer gewordenen Spree eigentlich haben müsste: Statt geschätzter 40 strömen jetzt noch rund 20 Tonnen Phosphor und 500 Tonnen Stickstoff pro Jahr nach Berlin.

Kaum fünf Meter ist der Müggelsee im Durchschnitt tief, aber die Ablagerungen an seinem Grund sind teils 20 Meter dick. So funktioniere die Verlandung, sagt Rita Adrian: Wenn die Ablagerungen oben ankommen, werde ein See zum Moor. „Jeder See verlandet irgendwann“, sagt sie. „Aber wir haben noch viel Zeit.“

Die Biologin hält den Effekt des Klimawandels im See für nicht dramatisch. „Noch haben wir keine Art verloren. Dafür sind neue hinzugekommen.“ Während auf dem Land „Promis“ wie die Gottesanbeterin einwandern, sind die Neulinge im See nur Insidern bekannt. Bestimmte Algenarten etwa. Bei den Fischen tut sich weniger: Was im Müggelsee lebt, gilt als anspruchslos. Die Muscheln dürften zu den Ersten gehören, die bei weiterer Erwärmung kapitulieren. Das Thermometer der Messstation hat es schon einmal getan: In den Sommern 2003 und 2006, als die obere Wasserschicht über 30 Grad warm wurde, versagte es den Dienst. Stefan Jacobs

Aktuelle Messwerte und Infos:

www.igb-berlin.de/abt2/ms

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