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Tatkräftig. Mariangela Sglavo und Vanessa Wendel packen ein Auto.

© Ruben Neugebauer

Berliner Hilfstransport für Syrien: 3433 Kilometer Herzklopfen

Syrien ist weit und doch so nah. Berlinerinnen fahren jetzt Hilfsgüter bis an die Grenze – ganz privat. Dort sollen der Transport an syrische Helfer des Projekts übergeben und nach Aleppo weitergeführt werden.

Die vielen Kriege in der Welt, sie gehen auch den Berlinern nahe. Ein ungewöhnlicher, privater Hilfstransport startet in Kürze aus dieser Stadt in Richtung Syrien. Die freien Journalisten Björn Kietzmann und Ruben Neugebauer begleiten ihn.

In einem Neuköllner Hinterhof stapeln sich Pappkartons, einige davon sind so groß, dass man sie alleine kaum tragen kann. Vanessa Wendel schaut mit großen Augen auf die Kartons, „Wir freuen uns riesig“, sagt die 27-Jährige. Mindestens zwei Mal werden sie und ihre Kollegin Mariangela Sglavo fahren müssen, um alle Spenden mitnehmen zu können. „Hier, das ist auch noch für euer Projekt“, sagt eine Mitarbeiterin des Sanitätshauses Koch und kommt mit einem Stapel Krücken im Arm aus dem Lager. Einen letzten Karton noch, dann ist das Auto voll. Das medizinische Gerät tritt in diesen Tagen eine lange Reise an. 3433 Kilometer sind es von Berlin bis in die vom Krieg geplagte syrische Stadt Aleppo. 3433 Kilometer ist auch der Name des Crowdfundingprojekts, das Wendel und ihre Mitstreiter ins Leben gerufen haben.

Wendel ist ein wenig müde, tags zuvor hat sie mit anderen in einer Kneipe gekocht und Abendessen ausgegeben, gegen Spenden für das Projekt. Drei Transporter sollen von dem Geld gekauft werden, in denen medizinisches Gerät und warme Kinderkleidung für den Winter bis ins umkämpfte Aleppo gebracht werden sollen. Auch Rollstühle und Verbände sollen finanziert werden. Die Transporter selbst bleiben ebenfalls im Kriegsgebiet, wo sie als Krankenwagen genutzt werden sollen.

Erinnerung an Tamer Alawam

Auch Sprit und Maut für die knapp dreieinhalbtausend Kilometer müssen bezahlt werden. Deshalb wird auch online, über das Spendenportal „indiegogo“ Geld für den Transport gesammelt. Am 9. September ging die Kampagne online, kein Zufall, es ist der zweite Todestag des syrischen Journalisten Tamer Alawam. Die Freundschaft zu ihm war es, die Claudia Ruff, Mariangela Sglavo und Vanessa Wendel, die Initiatorinnen des Projektes, zusammenbrachte. 2012 wurde er in Syrien durch eine Granate getötet. Hätte es damals in Aleppo eine bessere medizinische Versorgung gegeben, lebte er wahrscheinlich noch.

Über drei Jahre dauert der Krieg in Syrien nun schon an, und die humanitäre Situation in Aleppo hat sich seit dem Tag, an dem Tamer Alawam starb, noch verschlechtert. Die Stadt liegt in Schutt und Asche, das Ausmaß der Zerstörung wird mit dem deutscher Städte nach den Bombardements im Zweiten Weltkrieg verglichen. Viele Menschen haben ihr Obdach verloren und leben unter schwierigsten Umständen, ohne fließend Wasser, ohne Strom und mit der beinahe schon alltäglich gewordenen Angst. Täglich fallen Fassbomben auf Wohngebiete, täglich sterben Zivilisten.

Hilflos. Diese Kinder haben Unterschlupf im Flüchtlingslager Bab al-Salam im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei gefunden. Jetzt steht erneut der Winter vor der Tür. Waisen, verwitwete Menschen und Flüchtlingsfamilien hoffen auf Unterstützung.
Hilflos. Diese Kinder haben Unterschlupf im Flüchtlingslager Bab al-Salam im Norden Syriens nahe der Grenze zur Türkei gefunden. Jetzt steht erneut der Winter vor der Tür. Waisen, verwitwete Menschen und Flüchtlingsfamilien hoffen auf Unterstützung.

© Ruben Neugebauer

Vanessa Wendel lernte noch ein anderes Syrien kennen. Sie studierte damals Arabistik in Leipzig, als sie 2009 über die Semesterferien drei Monate nach Syrien reiste. In Damaskus traf sie auf den syrischen Filmemacher Tamer Alawam, der ihr ein Zimmer vermietete. „Ich war begeistert davon, wie die Menschen in Syrien zusammengelebt haben. Sowohl Muslime als auch Christen. Es war einfach so pulsierend“, schwärmt Wendel. Doch auch die Schattenseiten der repressiven Diktatur blieben der jungen Studentin nicht verborgen: Syrische Studenten und Intellektuelle berichteten Wendel von Gefängnisaufenthalten, lediglich, weil sie sich politisch engagierten oder Meinungsfreiheit einforderten. Sie zeigten ihr die Narben, als Spuren der erlittenen Folter. Die Geheimpolizei war überall präsent, erinnert sich Wendel: „Einmal stand der Geheimdienst sogar in unserer angemieteten Wohnung und kopierte unsere Pässe“.

Kinder im Flüchtlingslager.
Kinder im Flüchtlingslager.

© Björn Kietzmann

Auch nach ihrer Rückkehr nach Deutschland brach die Freundschaft zu Alawam nicht ab. Wenig später zog dieser wegen seiner früheren Frau nach Berlin. Als in Syrien die Demokratie-Proteste ausbrachen, welche in dem blutigen Bürgerkrieg gipfelten, wollte Alawam nicht einfach unbeteiligt im sicheren Deutschland bleiben. Stattdessen reiste der Journalist mehrfach nach Syrien, von wo er unter anderem für ARD, BBC, CNN und Al-Jazeera berichtete.

Todesnachricht über Facebook

Die Nachricht von Alawams Tod erreichte Mariangela Sglavo und Vanessa Wendel per Facebook. Die beiden Frauen kannten sich zuvor nicht, doch der Tod des gemeinsamen Freundes brachte sie zusammen. „Es war einfach dieser Schock. Wir alle wollten etwas machen, weil es sonst zu schmerzlich oder zu sinnlos gewesen wäre“, erinnert sich Wendel. Zusammen mit Claudia Ruff, die mit Alawam in Syrien journalistisch arbeitete, entstand zunächst die Idee, über die Situation in Syrien zu informieren.

Später folgte ein spontan organisierter Hilfstransport für eine Klinik in Aleppo. Ein Krankenwagen, medizinisches Equipment und ein LKW voll mit Kleidung wurden innerhalb von zwei Wochen organisiert und an die syrische Grenze gebracht, unter großer Gefahr. „Uns ist bewusst, dass eine Hilfsorganisation vermutlich kostengünstiger Hilfsgüter nach Syrien bringen kann. Doch wenn wir diesen Transport nicht machen würden, fehlen halt auch diese Fahrzeuge für den Krankentransport.“ Und die warme Kinderkleidung. Vergangenen Winter erfroren zahlreiche Flüchtlinge.

Der Hauptstadt-Treck zur syrischen Grenze

„Es ist für mich total wichtig etwas zu tun, weil ich ansonsten verrückt werde“, sagt Vanessa Wendel. Syrien ist für Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, ebenso wie für Journalisten zu einem der gefährlichsten Länder der Welt geworden. Selbst in unmittelbarer Nähe zur Grenze gab es Entführungen und Anschläge. Der genaue Zeitraum, sowie die Route des für Herbst geplanten Hilfstransports bleibt deshalb geheim. Aus Sicherheitsgründen werden die Hilfsgüter zudem bereits an der Grenze an syrische Helfer des Projekts übergeben. „Es ist ein Risiko, das ich gerne auf mich nehme, und ich glaube auch, dass es nicht zu groß ist“, sagt Wendel.

Die Spenden

Crowdfunding-Homepage: www.indiegogo.com/projects/3433-the-road-to-syria

Projekt-Homepage: http://3433theroadtosyria.com/

Facebook-Seite: www.facebook.com/3433km

Ruben Neugebauer, Björn Kietzmann

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