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Untergrund Berlin

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Berliner Infrastruktur: Blick in die Unterwelt

Die Explosion einer Dampfleitung in New York erinnerte an den unsichtbaren Teil der Städte. Wie sieht es im Berliner Boden aus?

Die Teilung der Stadt ist überwunden? Von wegen. Wir merken es nur nicht. Weil wir nur Straßen und Häuser sehen, den oberen Teil der Stadt. Der untere interessiert nicht – solange er funktioniert und nicht mit lautem Knall ins Bewusstsein schießt wie vor neun Tagen in New York. 84 Jahre alt war die Dampfleitung, bei deren Explosion ein Mensch starb und 30 verletzt wurden. Grund genug für einen Blick in die Berliner Unterwelt.

Unter einem durchschnittlichen Berliner Gehweg kann es etwa so aussehen: Das Verbundpfaster liegt auf einer etwa 80 Zentimeter dicken Sandschicht. Dann kommt der erste Hohlraum für die Telefonkabel, daneben ein Schacht für den Strom. Nebenan ziehen sich Gasrohre und vielleicht Reste der bis 1976 genutzten Rohrposttunnel durch den Sand. Eine Etage tiefer folgen Wasserrohre und Abwasserkanäle, die durchaus aus dem 19. Jahrhundert sein können. Je nach Standort rattert darunter die U-Bahn durch, unter der wiederum eine mannshohe Abwasser-Druckleitung (Chausseestraße) oder ein sogar per Kabinenbahn befahrbarer Schacht für ein Starkstromkabel (Leipziger Straße) liegen können. Eine Kontrollinstanz wie den für jedes Auto vorgeschriebenen Tüv gibt es nicht. Gründe genug, sich Sorgen zu machen?

Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Booz Allen Hamilton müssten in den nächsten 25 Jahren rund 40 Billionen Dollar investiert werden, um die Infrastruktur der Städte weltweit intakt zu halten oder zu bringen.

40 000 000 000 000 Dollar.

Der an der Studie beteiligte Experte Viren Doshi erklärt, Infrastruktur sei – weil im Normalfall unsichtbar – kein attraktives Thema für Politiker. Was im Boden von Kairo liege, sei für drei Millionen Menschen dimensioniert und werde inzwischen von 18 Millionen genutzt. „Nur nach so großen Katastrophen wie einem Krieg wird Infrastruktur wirklich erneuert“, sagt Doshi. In Deutschland, wo viel neu aufgebaut werden musste und die Städte nicht wachsen wie anderswo, sei die Lage eher unkritisch. „In den USA ist das Problem viel größer.“ Und in London, wo Doshi arbeitet, versickert nach verschiedenen Schätzungen rund ein Drittel des Trinkwassers durch Lecks in teils 150 Jahre alten Leitungen.

Die Berliner Wasserbetriebe (BWB) erneuern pro Jahr ein Prozent ihres 20 000 Kilometer langen Rohr- und Kanalnetzes. Das bedeutet im Umkehrschluss eine avisierte Lebensdauer von 100 Jahren. Mehr als die Hälfte der Abwasserkanäle ist über 75 Jahre alt; durch Mitte und Prenzlauer Berg ziehen sich gusseiserne Trinkwasserrohre von 1870. BWB-Sprecher Eike Krüger berichtet von weniger als zehn Prozent Verlust durch Lecks und zwei, drei Rohrbrüchen pro Tag: „Um diese Quote beneiden uns andere.“ Entscheidend sei die sichere Lage der Rohre im Berliner Sand. Das Trinkwasser wird mit sechs Bar aus dem Wasserwerk gedrückt – was für einen ordentlichen Springbrunnen reichen würde, sich aber bei einem Rohrbruch im Sand ringsum verteilt. 150 Millionen Euro investieren die BWB laut Krüger pro Jahr in Rohre und Kanäle.

Das Fernwärmenetz, das 27 Prozent der Berliner Haushalte versorgt, funktioniert nach Auskunft von Vattenfall nicht mit Dampf, sondern mit speziellem, rohrschonendem Wasser. 326 000 Kubikmeter zirkulieren durch einen 1320 Kilometer langen Kreislauf. Durch den Druck von bis zu acht Bar wird das Wasser selbst bei den an sehr kalten Wintertagen erzeugten 130 Grad nicht zu Dampf. Die ältesten Rohre stammen aus den 1950er Jahren, die meisten sind deutlich neuer.

Bei der Gasag werden die Rohrbrüche nicht pro Tag, sondern pro Jahr gezählt: Es sind etwa eine Handvoll, sagt Bodo Kipker, Netzplaner bei der Gasag-Techniktocher NBB. Noch nie hätten Mängel im Netz einen Unfall ausgelöst, was auch den in Deutschland besonders gründlichen Regelungen zu verdanken sei. Ein Viertel der 6700 Rohrkilometer sei inzwischen aus Kunststoff, gut die Hälfte aus Stahl. Problematisch seien jene acht Prozent des Netzes aus Grauguss, die noch nicht mit aktueller Technik saniert worden seien. Die Hälfte davon soll bis Ende 2009 erneuert werden, indem Kunststoffrohre eingefädelt werden. Anders als Wasser hinterlässt Gas auch nach Jahrzehnten keine Spuren in den Rohren; selbst manche Grauguss-Veteranen aus den 1920er Jahren sähen innen aus wie neu. Was an den Hausanschlüssen ankommt, hat nur einen Überdruck von 50 Millibar – das reicht kaum für ein Zischen. Während Anfang der 90er im Ostteil der Stadt acht Prozent des Gases durch undichte Verbindungen verschwanden, sind die Verluste nach Auskunft von Kipker jetzt nicht mehr messbar. Das Ost-Problem der Gasag, das in den 90ern auch manchen Straßenbaum dahinraffte, resultierte daraus, dass nicht erneuerte Graugussrohre bei der Umstellung von Stadt- auf Erdgas undicht wurden: Weil Erdgas keine Feuchtigkeit enthält, trockneten die zuvor aufgeqollenen Hanfdichtungen in den Ostbezirken aus. Seit das behoben ist, reichen laut Kipker neun Millionen Euro pro Jahr, um den Zustand des gesamten Netzes zu erhalten.

Nach Ansicht eines Grundbau-Experten der Technischen Universität ist der unterirdische Teil der Stadt in akzeptablem Zustand. Und Sascha Keil vom Verein „Berliner Unterwelten“ illustriert mit einer Zahl, um wie viel es geht: 40 Prozent der Bauwerte in der Innenstadt befänden sich unter der Erde. Am Potsdamer Platz seien es sogar 55 Prozent. Die Hälfte der Stadt funktioniert im Verborgenen.

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