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Pfarrer Ulrich Kotzur geht das Zapfen im "Kreuzberger HImmel" leicht von der Hand. Und wie in der Kirche bekommmt er manche Beichte zu hören.

© David Heerde

Berliner Kneipen: Im "Kreuzberger Himmel" schenkt der Pfarrer ein

Seit letztem Oktober gibt es das Lokal in der Yorckstraße. Getragen wird es von Mitgliedern der katholischen Sankt-Bonifatius-Gemeinde. Zehn verschiedene Pfarrer, darunter ein evangelischer, bedienen die Bar.

Wer Pfarrer Ulrich Kotzur hinterm Tresen beobachtet, der glaubt, dass der kernige Zweimetermann dort schon immer gearbeitet hat. Er hält das Glas so schräg wie möglich und lässt das Helle vom Fass hineinlaufen. Wenn es die Litermarkierung erreicht hat, richtet er es routiniert auf und füllt es mit einer ordentlichen Schaumkrone. „Dit is schon ’n bisschen jeübt! Ick würd' sagen, von jepflegten Eltern“, kommentiert er seine erste Zapfung an diesem Abend. Nein, er habe das vorher nicht gemacht, versichert der 46-Jährige, der in Mariendorf aufwuchs.

Kotzur mag Menschen. Er redet gern und gestikuliert mit weit ausholenden, dynamischen Bewegungen. Seine Augen blitzen schelmisch. Er ist einer von etwa zehn Pfarrern, darunter ein evangelischer, die hier jeden Sonntag zwischen 20 und 22 Uhr am Zapfhahn stehen. Am Kollarhemd mit dem ringförmigen, weißen Stehkragen ist er als katholischer Priester erkennbar. „Tut manchem Pfarrer gut, sich mal zu erden und sich den Leuten auszusetzen“, sagt er.

Die Kirche mit der Kneipe

Der Jugendseelsorger im Erzbistum Berlin war bis Ende vorigen Jahres Pfarrer in der Gemeinde Sankt Bonifatius. Dort saß man eines Abends zusammen und dachte darüber nach, eine Kneipe im Kiez aufzumachen. Vom ersten Gedanken bis zur Eröffnung im Oktober letzten Jahres sollten aber noch drei weitere Jahre vergehen. „Hätt' ick dit jewusst, hätt ick jeschwiegen“, ulkt der Pfarrer.

Getragen wird der „Kreuzberger Himmel“ von einem Verein, der sich aus Gemeindemitgliedern zusammensetzt. Es kann jedoch jeder beitreten. Von der Bezeichnung „Kirchencafé“ will Kotzur allerdings nichts wissen. Das sei gewöhnlich nur etwas für Insider. „Wir wollen uns dagegen den Menschen im Kiez öffnen und mit ihnen das Leben teilen.“

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Eine Art Klosterschenke schwebte den Kirchenleuten vor. „Es sollte nicht aufdringlich sein, aber deutlich machen: Das hat etwas mit Kirche zu tun“, sagt Oliver Cornelius, Kotzurs Nachfolger in St. Bonifatius. Die Gemeinde gab den Kredit für die Einrichtung: schlichte, helle Holztische und Bänke sowie dunkle Stühle, die auch in einem bayerischen Wirtshaus stehen könnten. Die Kirchenbänke wurden den Originalen in St. Bonifatius nachempfunden. An der Wand hängn Orgelpfeifen, und ein Altarrelief aus der alten Kirche, die im Zweiten Weltkrieg abbrannte. Eine Himmelstapete an der Decke beschirmt die Gäste, weiß-blau und heiter – wie von Gerhard Richter gemalt. Ein unprätentiöses, unaufgeregtes Ambiente, das ohne Beschallung auskommt. Auf jeden Fall etwas, das es in der Gegend nicht gibt, sagt Geschäftsführer Allan Boyles. Das Essen nimmt auf die Klostertradition Bezug. Die Zutaten kommen aus der Region, Bier, Likör und Mineralwasser aus Klosterbetrieben.

In der Oranienstraße - ebenfalls in Kreuzberg - gibt's zwar schon den Bierhimmel, dieser hier ist aber auch nicht schlecht.
In der Oranienstraße - ebenfalls in Kreuzberg - gibt's zwar schon den Bierhimmel, dieser hier ist aber auch nicht schlecht.

© David Heerde

Von Speisen und Heiligen

„Sankt Peter“ heißt zum Beispiel ein Gewürzpfannkuchen mit Schinkenspeck, Salbei, Rosmarin, Parmesan und einem Schluck Klosterbier im Teig. „Sankt Gertrud“ ist ein Gericht mit Roten Rüben im Parmesanmantel mit Meerrettichschmand und Salat. Das schmeckt den Gästen wunderbar – vor allem mit einer ofenfrischen Brezel und einer anständigen Portion Butter. Hier wird weder für Öko-Freaks noch für Elite-Esser gekocht, sondern für entspannte Genießer, die gutes Essen und moderate Preise schätzen. Und das Publikum ist wiederum gemischt. „Das Lokal wird erstaunlich gut angenommen“, sagt Geschäftsführer Boyles, auch wenn man noch lange nicht gewinnbringend arbeite. Zweimal in der Woche gibt es Kulturveranstaltungen und einmal im Monat Glaubensgespräche. „Knackig beten und feste feiern – das ist schließlich gut katholisch und ein Lebensgefühl,“ meint Kotzur.

Kneipenwirte sind oft ungewollt Beichtväter. Wie steht es da mit dem Seelsorger hinterm Tresen? Das komme schon vor, erzählt Oliver Cornelius, dass ein oberflächliches Gespräch plötzlich tiefer gehe. Ob Jesus wohl mit seinen Jüngern in den „Kreuzberger Himmel“ kommen würde? „Das letzte Abendmahl hätte er hier wohl nicht gefeiert“, sagt Pfarrer Kotzur, „aber ich glaube, wenn er nach Berlin käme, würde er hier einkehren."

- Kreuzberger Himmel, Yorckstraße 89, täglich in der Zeit von 11 bis 23 Uhr geöffnet.

Carmen Gräf

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