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Bessere Kreise. Klaus Wowereit beim Plausch mit Gästen des VBKI-Sommerfests und VBKI-Chef Markus Voigt (2. v. li.)

© Eventpress/p-a

Berliner Krisenbewältigung: Die rhetorischen Figuren des Klaus Wowereit

Das mit dem Flughafen nennt Klaus Wowereit "ein mittleres Desaster". So schlimm ist das alles also nicht. Es werde erst schlimm gemacht von Leuten, die sich freuen, "dass etwas misslingt". Er sagt das vor Wirtschaftsmanagern. Und die finden das gut. Ein Lehrstück über eine Berliner Krisenbewältigung.

Er sagt nicht ganz genau, wen er eigentlich meint. Aber Klaus Wowereit hat ein neues Thema entdeckt: die böswilligen Kritiker des Flughafenfiaskos. Auch er nennt den halb fertigen Milliardenbau in Schönefeld „ein mittleres Desaster“, für das man jetzt eine Lösung finden müsse. Und er bekennt sich, wenn er darüber redet, schon in einem der ersten Sätze zu seiner politischen Verantwortung. Geradeheraus. Aber plötzlich, binnen Sekunden, wird er zum Opfer, zum Objekt ungerechtfertigter Angriffe. Plötzlich ist er es, dem übel mitgespielt wird.

Das erste Mal vor großer Runde probierte er die neue rhetorische Figur vor drei Wochen aus, vor 1200 Gästen im Garten des Schlosshotels im Grunewald. Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller hatte geladen. Ein lauer Sommerabend, es gab Pizza mit Trüffel, Opernarien, brasilianischen Jazz und als Stargast Klaus Wowereit. Mit offenem Hemdkragen stand er auf der Terrasse, begann launig, um dann jenen neuen Gedanken auszuprobieren. „Wenn sich Leute darüber freuen, dass etwas misslingt, das ist ein ganz schlimmer Charakterzug.“

Politiker machen das ja häufig so. Ein Gedanke, eine Idee fließt vorsichtig in eine Rede ein, und wenn sie zu funktionieren scheint, taucht sie leicht variiert immer wieder auf. Die charakterlosen Kritiker gehören jetzt als Textbaustein in Wowereits Reden an die Berliner Wirtschaft. Jedenfalls tauchten sie auch am Montag beim „Mittelstandsfrühstück“ im Capital Club wieder auf. Wowereit behauptete, dass „Leute unterwegs sind, die Lust am Misslingen haben, nicht am Gelingen“. Deswegen halte er nun „eine spaßfreie Rede“, weil „unsere Beobachter“ es nicht anders wollten.

Das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen in Bildern:

„Unsere Beobachter“ – die Medienschelte ist kaum noch verhohlen, der „ganz schlimme Charakterzug“ gewinnt Kontur. Als ob irgendwo in Berlin oder sonst wo Journalisten säßen und sich voller Schadenfreude ins Fäustchen lachten, dass dieser Wowereit mindestens daran beteiligt war, eines der größten Infrastrukturprojekte Europas zu verbocken. Zur Erinnerung: Vier Mal wurde die Eröffnung des Flughafens Berlin Brandenburg schon verschoben, jetzt soll es noch 13 Monate dauern, bis es so weit ist.

„Unsere Beobachter“ soll aber offenbar auch heißen: meine und eure Beobachter. Eine seltsame Solidarität wird da von der Wirtschaft eingefordert – und sogar erwidert. Im Capital Club lächeln die Gäste bei diesen Worten milde, und auch Eric Schweitzer findet derzeit trotz des Flughafens ausgesprochen freundliche Worte für den Regierenden Bürgermeister. „Klaus Wowereit trägt keine persönliche Schuld, und er hat als Aufsichtsratsvorsitzender, soweit ich das beurteilen kann, keine entscheidenden Fehler gemacht“, sekundiert der Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) im Tagesspiegel-Interview. Ein Aufsichtsrat sei ja nicht für das operative Geschäft verantwortlich und dürfe gegenüber der Geschäftsführung „auch nicht ständig bösgläubig sein“.

Und auch mit dem Klischee von Wowereit, dem leichtfüßigen Aktenfeind, will Schweitzer aufräumen. „Er kümmert sich intensiv um die Themen, er geht sehr gut vorbereitet in die Sitzungen und er findet sehr schnell die wunden Punkte.“ Mehr Lob gab es aus dem Ludwig-Erhard-Haus in der Fasanenstraße für Wowereit selten. Schweitzer berichtet von „Höhen und Tiefen in unserer Beziehung“ und dass er ihn aber inzwischen gut kenne. Eine Zweckbeziehung scheint es zu sein, eine, die noch lange nicht zu Ende ist: Schweitzer wurde gerade wiedergewählt, Wowereit vor einem Jahr, und so müssen es beide wahrscheinlich noch einige Jahre miteinander aushalten.

Ihre Argumente gleichen sich schon. Dass die arbeitgeberfinanzierte Stiftung Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft Berlin vergangene Woche wieder einmal auf dem letzten Platz einsortiert hat, ficht die beiden nicht an. Das sei ja nur das „Niveauranking“, beim „Dynamikranking“ komme man schon auf Platz drei. Nur: Brandenburg ist in jenem Teil der Umfrage Spitzenreiter und Bayern nur Mittelfeld. Wie aussagekräftig ist also dieser dritte Platz tatsächlich?

„Es kommen ja immer diese Rankings, wo wir ganz unten liegen. Lassen Sie sich nicht irritieren.“ Im Capital Club findet Wowereit mit dieser Linie Zustimmung. 150, vielleicht 200 Manager und Unternehmer haben an Damasttischdecken Platz genommen, die Wände sind cremefarben getäfelt, dazwischen großflächige Ölgemälde. Hinter den Fenstern liegt der Gendarmenmarkt im Sonnenlicht – wer wollte hier denn überhaupt irgendetwas kritisieren?

Eigentlich müsste Krach geschlagen werden

Bessere Kreise. Klaus Wowereit beim Plausch mit Gästen des VBKI-Sommerfests und VBKI-Chef Markus Voigt (2. v. li.)
Bessere Kreise. Klaus Wowereit beim Plausch mit Gästen des VBKI-Sommerfests und VBKI-Chef Markus Voigt (2. v. li.)

© Eventpress/p-a

Auch Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat an einem der Tische Platz genommen, ein Bremerhavener Kaufmann – also Unternehmer wie die anderen Gäste – mit bemerkenswerter politischer Fortüne in Berlin.

Wowereit geht routiniert die Problemthemen der Politik durch, das ICC, die Messegesellschaft, das Stromnetz, die Wasserbetriebe, und er lässt auch die glücklose Sybille von Obernitz nicht aus, der er „ausdrücklichen Dank“ ausspricht für ihre neun Monate im Amt. Woran sie scheiterte, sagt niemand so ganz genau. Eine fehlerhafte Ausschreibung war der Anlass, aber die Gründe liegen tiefer. „Das liegt auch an ihr persönlich, aber nicht nur“, sagt Wowereit. Und Schweitzer, dem eine tragende Rolle bei der Obernitz-Berufung nachgesagt wird, meint: „Menschen entwickeln sich im Amt, in die eine wie in die andere Richtung.“ Es war wohl so, dass ihr ein Netzwerk fehlte, der Apparat sie überforderte und sie sich mutwillig mit Honoratioren der Wirtschaft anlegte.

Die Neue ist ein erprobter Polit-Profi. Fast anderthalb Jahrzehnte war Cornelia Yzer Lobbyistin der Pharmaindustrie, und Anfang der 90er Jahre diente sie als Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Frauen und Jugend – die Ministerin hieß Angela Merkel. Das Gerücht, das Kanzleramt habe CDU-Landeschef Frank Henkel die Personalie nahegelegt, klingt mindestens plausibel. Alle brauchen Ruhe, der Senat in Berlin genauso wie die Bundes-CDU ein Jahr vor der Bundestagswahl.

Das Debakel um den neuen Hauptstadtflughafen in Bildern:

Dabei müsste eigentlich Krach geschlagen werden. Die Rezepte, die Berlin gegen seine Wirtschaftsmisere findet, sind uralt. Die Fusion der Wirtschaftsförderung Berlin Partner und der Technologiestiftung Berlin, die Obernitz gerade noch angeschoben hat, war schon seit Jahren gefordert worden. Sinnvoll ist das sicher, aber wie viel verändert sich wirklich? Die Lage der Wirtschaft in der Hauptstadt ist nach wie vor miserabel: Zwar wächst sie schneller als der Bundesdurchschnitt, aber von einem niedrigen Niveau kommend. Zwar sinkt die Arbeitslosenquote auch in Berlin, aber trotzdem liegt sie noch immer bundesweit am höchsten. Zwar gibt es einige Industriebetriebe, die neue Arbeitsplätze schaffen, aber die ganz große Dynamik fehlt immer noch.

Einen neuen Trend gibt es allerdings, auf den der Senat keine Antwort findet: Es fließt viel Geld in die Stadt und zwar in Immobilien und Start-up-Firmen. Was großartig klingt, birgt enorme Gefahren: In beiden Feldern ist schon von Spekulationsblasen die Rede, die Mieten steigen, das Gefüge der Stadt verändert sich. „Arm und sexy – das ist vorbei“, sagt Schweitzer. Das Geld kommt nicht, weil Berlin so toll ist – denn viel hat sich gar nicht geändert –, sondern weil die Renditen anderswo mies sind. Berlin wird zum Anlageobjekt, relativ billige Immobilien oder vielversprechende Geschäftsideen finden Investoren, weil Aktien und Anleihen gerade nicht so gut gehen. Wie aber erreicht Berlin, dass die Karawane nicht weiterzieht? Einer der Unternehmer im Capital Club weist darauf hin, dass es diesen Investoren vor allem um den erfolgreichen „Exit“ geht: billig rein, teuer raus. Der Regierende Bürgermeister empfiehlt abzuwarten. „Ob sich da eine Blase aufbaut oder ob das nachhaltig ist, wird die Zeit zeigen“, sagt er. Die Chancen für Berlin seien groß.

Das ist natürlich sehr wahr. Vielleicht sind die wirtschaftlichen Chancen der Stadt tatsächlich das erste Mal seit der Wiedervereinigung wieder groß. Aber es gibt kaum Anzeichen, dass die Regierenden sie ergreifen. Die Start-up-Szene entwickelt sich weitgehend jenseits von Förderkrediten und anderen Formen der staatlichen Unterstützung. Und weil das so ist, könnte sie morgen schon in Palo Alto oder Singapur weitermachen. Was also hat diese Stadt Unternehmern zu bieten? Und ist es auch ein „ganz schlimmer Charakterzug“, danach zu fragen?

Eines ist klar: Um Klaus Wowereit darf sich die Debatte nicht drehen, wenn die Wirtschaft der Stadt vorankommen soll. Der Regierende Bürgermeister hat für alle Fälle noch eine weitere rhetorische Figur im Repertoire: die des Unverstandenen. Vor drei Wochen im Grunewald sei er missverstanden worden, sagt er im Capital Club. „Ironie ist ja ganz schwierig.“

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