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Berliner Landespolitik auf Wikileaks: Rot-Grün "besser für die Stadt und für Wowereit"

Auch die Berliner Landespolitik steht im Fokus der bei Wikileaks enthüllten diplomatischen Depeschen aus der US-Botschaft in Berlin. Landespolitiker reagieren amüsiert bis verärgert auf die Indiskretionen.

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In einer Meldung vom August 2006 zur damals bevorstehenden Berliner Abgeordnetenhauswahl wird Klaus Wowereit als "Galionsfigur der Parteilinken" in der Bundes-SPD porträtiert und von ihm eine stärkere nationale Rolle erwartet. Dass Gregor Gysi inzwischen voll in der nationalen Politik aufgehe, trage derweil zum Niedergang der Berliner Linkspartei bei. Die Grünen seien auf nationaler Ebene "präsentabler" als die - in anderen Depeschen aus der US-Botschaft in Berlin als "neo communists" bezeichnete - Linkspartei und daher eigentlich ein näher liegender Koalitionspartner für die Berliner SPD. Allerdings sei das Koalieren mit den zerstrittenen Grünen sicher schwieriger als mit der Linkspartei. Die damalige Berliner CDU wurde von den Amerikanern ohnehin abgeschrieben. Die Berlin-Wahl sei aber auch wegen eines möglichen Erfolges von Rechtsradikalen interessant, denn dies wäre ein weiteres Signal, dass rechtsextremistische Ideologien in Ostdeutschland weiterhin ein ungelöstes Problem seien.

Rüdiger Scholz, Landesgeschäftsführer der Berliner SPD, wird in dem Bericht aus der US-Botschaft mit der Einschätzung zitiert, dass es "wahrscheinlich besser für die Stadt und für Wowereit" wäre, wenn die Sozialdemokraten nach der Wahl 2006 eine Koalition mit den Grünen eingingen. Gerade angesichts Wowereits damaliger bundespolitischer Ambitionen wären die Grünen "vorzeigbarer", auch stünden sie politisch, vor allem finanzpolitisch, mehr in der politischen Mitte als die Linkspartei.

"Ich bin amüsiert, dass so eine Aussage jetzt über Wikileaks öffentlich wird", sagte SPD-Geschäftsführer Scholz Tagesspiegel.de. Damals sei es ja vor allem um die auch in der Öffentlichkeit viel diskutierte Frage gegangen, was Wowereit bei seinem angestrebten stärkeren bundespolitischen Auftritt hilfreich wäre. "Aber letztendlich hat er sich ja auch so gut durchgesetzt." Eine konkrete Erinnerung an die ihm zugeschriebene Einschätzung, eine Koalition mit den Grünen sei "besser für die Stadt" hat Scholz aber nicht. Er erinnert sich nur daran, sich vor der Wahl mal mit einem Mitarbeiter der US-Botschaft auf einen Kaffee getroffen zu haben, weil die Amerikaner interessiert daran waren, wie sich die SPD auf die Wahl vorbereitet. Den Neuigkeitswert der Veröffentlichung des Dokuments durch Wikileaks hält Scholz allerdings für begrenzt: "Hätten das Weiße Haus und das Pentagon den Tagesspiegel abonniert, hätten sie die gleichen Informationen bekommen."

Mit "allergrößter Gelassenheit" sieht auch Senatssprecher Richard Meng die Veröffentlichung. "Es ist ja schön, dass wir wahrgenommen werden", sagte er. Ob die Einschätzungen der US-Botschaft alle korrekt waren, sei jedoch eine andere Frage.

Grüne überrascht und verärgert

Vor allem Berliner Grüne reagierten am Montag überrascht und verärgert auf die Zusammenfassung der politischen Lage in der Hauptstadt. "Ich finde es in höchstem Maße irritierend, dass Gespräche, die man vielleicht mal bei einem Empfang geführt hat, dann in Depeschen landen und nach Washington geschickt werden", sagte der Bildungspolitiker Özcan Mutlu, der für die Grünen im Abgeordnetenhaus sitzt, zu Tagesspiegel.de. Mutlu wird in dem Bericht der Botschaft nach Washington mit der Einschätzung zitiert, dass eine Koalition der SPD mit den Grünen "anstrengender" für die Sozialdemokraten wäre, da man wegen der unterschiedlichen innerparteilichen Flügel der Grünen mindestens eine Mehrheit von sieben bis acht Parlamentssitzen benötige, um eine stabile Koalition zu haben. Inhaltlich steht Mutlu zu seiner in dem US-Dokument zitierten Aussage: "Es war ja kein Geheimnis, dass wir für Rot-Grün 2006 eine satte Mehrheit gebraucht hätten, damit Wowereit eine Koalition mit uns eingeht. Wir Grünen sind eben für Meinungsvielfalt bekannt."

Eine Einschätzung, der Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann widerspricht: "Wir waren und sind in der Lage, auch mit geringen Mehrheiten Stabilität zu gewährleisten", sagte er Tagesspiegel.de. "Das war damals so und das ist auch heute noch so." Allerdings stelle sich die Frage angesichts der jüngsten, für die Grünen schmeichelhaften Umfragen nicht mehr so wie 2006.

CDU und Kandidat Pflüger harsch angegangen

Besonders kritisch sehen die Amerikaner die Berliner CDU und ihren - eigentlich ausgesprochen USA-freundlichen - Kandidaten Friedbert Pflüger. Die Hauptstadt-CDU sei "zerfetzt" ("in tatters"). Pflüger "reiche an Wowereit bei Charisma und Wahlkampfkraft nicht heran". Dabei hatte sich Pflüger amerikanische Wahlkämpfe sogar bewusst als Vorbild für seine Berliner Kampagne genommen und in den USA geschulte Wahlkampfmanager beschäftigt.

Die Christdemokraten, so die US-Diplomaten, hätten sich durch jahrelange Grabenkämpfe und Reibereien zwischen "Modernisierern" wie Pflüger und "old-school" Konservativen selbst geschädigt. Die Auswirkungen des Bankenskandals hätten sie seit 2001 von der Regierungsverantwortung fern gehalten. Pflüger, der aus der Bundespolitik kommende Hannoveraner, habe zudem das Image eines "carpetbaggers", ein Wort, das aus der Zeit des amerikanischen Bürgerkriegs stammt und für eine Art Kriegsgewinnler steht. Im Süden waren nach dem verlorenen Bürgerkrieg viele Amtsposten freigeworden, die daraufhin Nordstaatler besetzten, die typischerweise mit Teppichen (carpets) im Gepäck anreisten und daher mit diesem Begriff bedacht wurden. Die Metapher ist jedenfalls eine Anspielung auf Pflügers Außenseiter-Rolle in der Berliner Landespolitik.

Pflüger selbst findet den Bericht der US-Botschaft - der von mehreren Mitarbeitern verfasst und vom Geschäftsträger der US-Botschaft John Koenig unterzeichnet wurde - eine "in großen Teilen korrekte Wiedergabe dessen, was damals war", wie er dem Tagesspiegel sagt. Die Autoren hätten "die Lage in Berlin relativ gut verstanden". Der auf ihn gemünzte Begriff "carpetbagger" beschreibe jemanden, der den Sprung ins kalte Wasser wage - angesichts der Umstände, unter denen der CDU-Politiker 2006 kurzfristig als Spitzenkandidat ins Rennen einstieg und sich binnen weniger Monate in die Berliner Landespolitik einarbeitete und Klaus Wowereit herausforderte, eine auch aus Pflügers Sicht durchaus angemessene Beschreibung. Er sieht die Wikileak-Veröffentlichung mit Gelassenheit, wie er sagt - zumindest was die Einschätzung zur Berliner Landespolitik angehe. "Problematisch" sei hingegen, welche Folgen die Indiskretion für das Verhältnis der USA zu anderen Ländern habe. Da sei ein "erheblicher politsicher Schaden" für die Vereinigten Staaten zu befürchten.

Berliner Gesamtlage: "Viele Wünsche offen"

Das bislang veröffentlichte Material aus Berlin ist weniger für sein Enthüllungspotenzial interessant als durch die Wortwahl - und wegen der überraschenden Tatsache, dass Berliner Landespolitik die Amerikaner überhaupt interessiert.

Schlechtes Schulsystem, bestenfalls stagnierendes Geschäftsklima, abwandernde Arbeitgeber, enorme Schulden: Die US-Diplomaten listen die Probleme Berlins vor der Wahl auf. Doch in ihrer Gesamteinschätzung zum Zustand der deutschen Hauptstadt 16 Jahre nach der Wiedervereinigung wird es dann fast schon wieder diplomatisch: Die Hauptstadt lasse "viele Wünsche offen" ("leaves much to be desired").

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