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Berlin: Berliner Nachtarbeiter: Irgendwann muss der Mensch ja ins Bett

Nein, Angst hat sie nicht. Höchstens mal ein ungutes Gefühl.

Nein, Angst hat sie nicht. Höchstens mal ein ungutes Gefühl. Dann zum Beispiel, wenn der Typ, den sie um zwei Uhr nachts in eine Gartenkolonie in Mahlsdorf fahren soll, nichts weiter sagt, als: "Machen Sie doch mal das Funkgerät aus!" "Dann überlegt man schon, ob man da reinfährt", sagt Tatjana Winderlich. "Das Funkgerät bleibt auf jeden Fall an. Allein schon aus Sicherheitsgründen." Das sei die Regel Nummer eins, gerade beim nächtlichen Taxifahren.

Die attraktive 40-jährige Frau, die sich mit einem eigenen Taxi vor zehn Jahren selbstständig gemacht hat, weiß einiges zu erzählen. "Mit dem, was ich nachts in der Taxe erlebe, kann ich ganz Bücher füllen", lacht sie und berichtet von der Frau, die auf der Rückbank versuchte, Sekt aus ihrem Cowboystiefel zu trinken. Oder von dem betrunkenen älteren Herren, der sich während der Fahrt übergeben musste. "Um das Taxi nicht zu verschmutzen, riss er seiner Frau den großen Hut vom Kopf", erzählt Tatjana Winderlich. "Morgen bekommst Du einen neuen", hat der Mann dann zu seiner Gattin gesagt.

Inzwischen läßt die 1,86 Meter große Frau den Fahrgästen nicht mehr alles durchgehen. "Gerade nachts muss man den Gästen zeigen, dass man nicht alles mit sich machen läßt", sagt sie energisch. Dazu gehöre auch die Art, sich auszudrücken. "Wenn ich zu Hause so reden würde, wie manchmal nachts in der Taxe, dann würden meine Nachbarn wahrscheinlich denken, ich komme aus der Gosse". Aber bei den meisten Fahrgästen ist es nicht nötig, den harten Ton anzuschlagen. Bei manch einem müsse man sogar besonders einfühlsam sein. "In dieser Stadt gibt es so viele Menschen, die nachts einsam sind und jemanden zum Reden suchen", weiß die Taxifahrerin. Gerne würde sie ihnen dann zuhören, "aber für intensive Gepräche sind die Fahrten oft viel zu kurz".

Von Überfällen kann Tatjana Winderlich zum Glück nicht berichten. "Nur einmal wurde es ziemlich eng." Doch habe sie ihr gutes Gespür und eben das Funkgerät vor Schlimmerem bewahrt. "Die beiden Typen, die mir damals im Nacken saßen, waren mir einfach nicht geheuer." Als die Männer zum dritten Mal das Fahrziel wechselten, sendete Tatjana Winderlich einen codierten Hilferuf über Funk. Gleich fünf Taxifahrer waren zur Stelle. Ihr Gefühl hatte sie nicht getrogen. "Die beiden hatten keinen Pfennig Geld, aber scharfe Waffen bei sich."

Trotz aller Risiken hat sich die Taxifahrerin, die sich ihre Arbeitszeiten frei einteilen kann, für die Nachtarbeit entschieden. Auch für eine Partnerschaft würde sie das nächtliche Taxifahren nicht aufgeben. Sie bezeichnet sich selbst als einen "absoluten Nachtmenschen" und eine "leidenschaftliche Taxifahrerin". "Und außerdem bin ich ein richtiges Quatschmaul", fügt sie hinzu. Deswegen könnte sie sich auch gut vorstellen eine Talk-Show im Radio zu moderieren. Und wann soll die laufen? "Na, nachts natürlich. Wann sonst!"

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