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Regionale Produkte sind toll! Doch wer sie kauft, sollte sich deshalb nicht für einen besseren Menschen halten.

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Berliner Nervensägen: Kampfegos raus!

Radler, Raser, Öko-Fundamentalisten: Gefühlt alle zwei Tage verdoppelt sich in Berlin die Zahl derer, die ihre Mitmenschen aus einem Gefühl der Überlegenheit heraus maßregeln und drangsalieren. Damit muss endlich mal Schluss sein.

Im Bioladen kaufe ich nur gelegentlich ein. Vor allem weil mich der Geruch an meine Oma erinnert, zieht es mich manchmal spontan hinein. Ansonsten liebe ich die großzügigen Haltbarkeitsdaten des nahe gelegenen Supermarktes. Ja, ich benutze das Auto zum Einkaufen. Und nein, ich bin keine Veganerin, auch wenn Mitleid mit den Tieren gerade so angesagt ist. Manchmal muss es einfach ein Steak sein, gerne mit einem großen Glas Rotwein dazu. Bin ich deswegen ein besserer Mensch? Ich glaube nicht. Bin ich deshalb etwa ein schlechterer Mensch? Nein, das glaube ich auch nicht. Ich bin genau so, wie ich bin, und das würde ich gern auch allen anderen zugestehen. Das sollte nach meinem Gefühl eigentlich selbstverständlich sein.

Zuvorderst sind die Radfahrer

Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Zahl der Kampfegos verdoppelt sich in dieser Stadt gefühlt alle zwei Tage. Da sind zuvorderst die Radfahrer, die nicht einfach nur Spaß an ihrer Bewegung in frischer Luft haben können, sondern sich zusätzlich aufrichten müssen an der Schlechtigkeit der anderen. Die Bandbreite ist dabei groß und dehnbar, sie reicht von der rasenden Rücksichtslosigkeit der Autofahrer bis zur unerträglichen Schusseligkeit der Fußgänger. Der Blick auf sie zeigt: Es ist scheinbar ganz leicht und deshalb auch gerade in diesen verwirrenden Zeiten so wohlfeil, etwas an sich zu finden, das einen – gefühlt – überlegen macht und so viel besser als den Rest der Welt.

Natürlich sind die Radler nicht die einzigen Kampfegos, mit denen es der Mensch, der einfach nach eigener Fasson leben und glücklich werden möchte, zu tun bekommt: Auch die ökologisch korrekten Zeitgenossen gehören dazu, die jeden anschreien, der auf einer öffentlichen Toilette eine Sekunde länger als unbedingt nötig das Wasser laufen lässt, weil er ganz offensichtlich nichts weiß von den schrecklichen Dürren in Afrika. Auf der anderen Seite des weltanschaulichen Spektrums: die überzeugten Autofahrer, die freie Bahn überall fordern, weil sie es eilig haben und nebenbei rasend für irgendeine Form von Freiheit und Status einstehen wollen.

Schutz vor Kampfego-Müttern gibt es leider nicht!

Regionale Produkte sind toll! Doch wer sie kauft, sollte sich deshalb nicht für einen besseren Menschen halten.
Regionale Produkte sind toll! Doch wer sie kauft, sollte sich deshalb nicht für einen besseren Menschen halten.

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Eines eint all diese Kampfegos: Sie wollen besser sein als alle anderen. Aber nicht aufgrund einer besonderen Anstrengung oder eines besonderen Talents, sondern aufgrund einer Haltung oder einer Meinung, die sie vertreten. Es macht ihnen Spaß, auf andere herabzuschauen, sie zu maßregeln, einzuschüchtern oder zu bevormunden. Kürzlich wartete ich mit dem Einparken einen Moment vor dem Supermarkt, um zwei Frauen Platz beim Beladen ihres Wagens zu lassen, bevor ich selber in die Lücke stieß. Statt freundlich zu nicken, kam die eine innerhalb von Sekunden angeschossen und schrie: „Stellen Sie auf der Stelle den Motor ab!!! Da sind KINDER in dem Auto.“ Arme Kinder. Schutz vor Kampfego-Müttern gibt es leider nicht. Man kann nur hoffen, dass die Kleinen gesunde Trotzreaktionen entwickeln und ihrerseits besser werden als die Eltern, also milder und gelassener.

Ich möchte nicht von Monstermenschen umgeben sein!

Und das ist wichtig: Denn die fortschreitende psychologische Klimaverschmutzung ist – das wird nun manche Kampfegos ärgern – mindestens so gefährlich wie der Klimawandel, der das arktische Eis schmelzen lässt. Das schleichende Gift, das die Eiszeit im menschlichen Miteinander verursacht, wird nämlich immer wieder verschleiert von einer vermeintlich guten Sache, für die Kampfegos so gerne auf die Barrikaden gehen. Manche Missionen mögen ja wirklich edel sein. Sie sollten bitte nur nicht leiden unter der Art, wie sie vertreten werden.

Ich möchte nicht von Monstermenschen umgeben sein, die stets alles richtig machen. Und schon gar nicht möchte ich selber einer werden oder gar von anderen Monstermenschen dazu erzogen werden. Zum noch jungen Jahr wünsche ich mir Mitmenschen, die nicht zuerst unterstreichen, warum sie besser sind, sondern die auch mal einen Blick dafür haben, was an mir nett oder zumindest erträglich sein könnte. Interesse zeigen, offen sein, nicht sofort richten – das ist mein Beitrag zu einer Welt, in der die Kampfegos hoffentlich irgendwann alle zu den Toleranzaltruisten überlaufen. Bin ich deshalb ein besserer Mensch? Bestimmt nicht! Fangen Sie bitte gar nicht erst an, in solchen Kategorien zu denken!

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