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Schwarzlose heißt die alte Berliner Firma - einst preußischer Hoflieferant.

© Michel Penke

Berliner Parfümerie: Sie haben die Nase voll

Immer nur Chanel N°5, das war diesen jungen Berlinern zu langweilig. Auf der Suche nach neuen Düften haben sie eine Traditionsfirma entdeckt – und wiederbelebt.

„Immer das Gleiche“, sagt Tamas Tagscherer, ein abschätziger Blick, die Hand fällt lustlos auf das Knie zurück, „riecht einfach immer gleich.“ Um ihn herum sind zahllose Flakons aufgebaut: alte Phiolen, filigranes Glaskristall und bauchige Flaschen. Parfümerie, das heißt für sie auch: Kunst. Die geübte Nase kann einzelne Inhaltsstoffe aus vielen tausenden Aromen herausriechen. „Es ist wie mit der Musik“, sagt Lorina Speder und sprüht Parfüm auf eine papierne Testkarte. „Wenn man sich konzentriert, kann man die einzelnen Instrumente heraushören.“ Sie selbst trägt „Treffpunkt 8 Uhr“. Allein der Name klingt eher nach Sinfonie als Popsong.

Jahrhunderte alte Marke - neu entdeckt und wieder belebt

Tagscherer, 30, und Speder, 25, haben zusammen mit dem Verpackungsdesigner Lutz Herrmann eine neue Parfümmarke aufgebaut, die eigentlich schon Jahrhunderte alt ist. Der Name „J.F. Schwarzlose Söhne“, vor Jahrzehnten aufgegeben und vergessen, ist seit kurzem in neuem Gewand wieder auf dem Markt.

Nischenparfüm wollen Tagscherer und Speder verkaufen. Parfüm, das anders ist: voller Geschichte, würziger oder auch fruchtig – und umtriebig wie Berlin. Mit bis zu 20 Prozent Parfümöl, das das Aroma länger speichert; normales Eau de Toilette kommt selten über fünf Prozent hinaus.

Zwei Jahre recherchiert Tamas Tagscherer, bevor er die Firma gründet. Die gesamte Geschichte der Parfümerie Schwarzlose durchforstet er; schreibt seine Diplomarbeit über die Marke. In Archiven stößt er auf alte Fotos der Berliner Filialen, Werbeplakate aus den Gründerjahren, Anzeigen aus Singapur, Sydney, Equador und Niederländisch-Indochina, mehr als 100 Jahre alt.

Der Berliner Joachim Friedrich Schwarzlose, Klavierbauer, gründet die Parfümerie „J. F. Schwarzlose Söhne“ im Jahr 1856. 24 Jahre später steigt er zum preußischen Hoflieferanten auf. Parfüm ist Luxus im 19. Jahrhundert. Nur der königliche Hof und die Aristokratie können sich die teuren Düfte leisten. Blumendüfte sind bis 1920 in Mode, Fürsten und Herzoginnen tragen „Maiblume“ und „Veilchen“. Eine möglichst genaue Wiedergabe des Blumenaromas ist gefragt.

Der letzte Kaiser von China trägt "Weiße Rose" aus Berlin

Doch während die Herrschaft der Königshäuser nach und nach zerbröckelt und das Bürgertum die Macht im Staat ergreift, wandelt sich auch die Vorliebe bei den Gerüchen. Die Parfümmischer entfernen sich von der Natur, kreieren fantasievollere Düfte mit ausgefallenen Namen. Während das Verwenden von Pudern, Seifen und Parfüm für immer mehr Menschen erschwinglich wird, erlangt „J.F. Schwarzlose Söhne“ weltweit Bekanntheit. „J.F. Schwarzlose Söhne“ wird zur größten Parfümmarke Deutschlands. Selbst in der Verbotenen Stadt im Kaiserpalast in Peking hüllt sich Pu Yi, letzter Kaiser von China, in das Odeur „Weiße Rose“ aus Berlin.

Der Duft von Schweiß, Dreck und Blut

Ein Auslieferfahrzeug aus den goldenen Jahren des Unternehmens Schwarzlose. Das Nummernschild aus Moabit stand Pate bei der Namenstaufe des Duftes "1A-33"
Ein Auslieferfahrzeug aus den goldenen Jahren des Unternehmens Schwarzlose. Das Nummernschild aus Moabit stand Pate bei der Namenstaufe des Duftes "1A-33"

© Schwarzlose

Doch bald wütet der Zweite Weltkrieg in Europa und im Krieg sind die vorherrschenden Düfte Schweiß, Dreck und Blut. Parfüm braucht niemand in der Zeit des Mangels. Während der Bombardierung Berlins geht die Fabrik der Parfümerie in Moabit in Flammen auf, und auch die Jahre danach sind schwierig. 1976 wird die Produktion eingestellt, nach 120 Jahren hört „J.F. Schwarzlose Söhne“ auf zu existieren. Bis zum Jahr 2012.

Lutz Herrmann und Tamas Tagscherer wagen einen Neuanfang mit dem bescheidenen Ziel, den alten Glanz der Marke wiederherzustellen; Düfte zu mischen, die abseits der Norm um Chanel Nº 5 sind. Doch dafür müssen sie zunächst die Zusammensetzungen der alten Düfte analysieren. Zwar sind die jahrzehntealten Parfüms gekippt und damit unbrauchbar, doch die ungefähre Mischung lässt sich im Labor noch ermitteln.

Hunderte Rosen: alle ähnlich, keine gleich

Die Parfümeurin Véronique Nyberg analysiert die wenigen Proben, die aus alten Beständen zusammengekauft wurden. Gaschromatographie heißt das Verfahren, das die Moleküle des Duftstoffes herausfiltert. Aus dem Mix der Moleküle kann Nyberg auf Inhaltsstoffe schließen. Zudem nutzt sie eine andere, altbewährte Technik: Sie erschnuppert die Inhaltsstoffe. Rosenöl findet sie in einer alten Mischung. Doch es gibt hunderte Rosenarten. Alle ähnlich, doch keine gleich.

Viele Ingredienzen sind wegen möglicher allergischer Reaktionen im Lauf der Jahre verboten worden, sodass das Rezept nur als Ausgangslage dient. Vor allem tierische Ausgangsstoffe und Moschusdüfte sind vom Markt verschwunden. Für die ausfallenden Rezepturen müssen neue gefunden werden. Doch nach und nach entstehen die alten Düfte neu, werden wiederbelebt, wie Tamas Tagscherer es nennt.

1A-33 benannt nach dem Auslieferungsfahrzeug

Der Prozess ist noch ganz am Anfang: Von den einst tausend Parfums, Seifen, Puder und Raumdüften haben die jungen Berliner derzeit erst fünf im Sortiment. „1A -33“ heißt ein Duft aus Mandarine, rotem Pfeffer, Linden- und Jasminblüte, benannt nach dem Nummernschild eines der Auslieferfahrzeuge in Moabit in den 1920er Jahren. Auch die Kreationen „Treffpunkt 8 Uhr“ und „Trance“ erinnern an die Weimarer Republik. Daneben versuchen sich die Parfümproduzenten auch an zwei neuen Mixturen: „Rausch“ und „Zeitgeist“ heißen die. Explizit als Luxusparfums angepriesen, hat das auch seinen Preis: 125 Euro kosten beispielsweise 50 Milliliter „1A-33“.

In gut 40 kleinen Boutiquen werden ihre Düfte bisher verkauft. Bei großen Ketten sucht man sie noch vergeblich. Doch Schwarzlose exportiert auch wieder ins Ausland; nach Österreich, Italien, die Niederlande und in die Schweiz, selbst in der Christopher Street in New York ist das gold-schwarze Design wieder zu sehen. Und das, obwohl sie ihre Düfte erst vor einem Jahr den Geschäften vorgestellt haben. 95 Prozent der Verkäufer hätten sie ins Sortiment aufgenommen, sagt Tagscherer, „das ist ungewöhnlich, sehr selten sogar.“

„Immer wieder sprechen uns Menschen an, die die Gerüche noch von damals kennen“

Der Duft der Geschichte scheint anzukommen. „Immer wieder sprechen uns Menschen an, die die Gerüche noch von damals kennen“, sagt Tagscherer. Und obwohl nur wenig flüchtiger ist als die Duftwolke eines Parfüms, ist die Erinnerung an einen Geruch häufig die stärkste. Selbst, wenn sie so lange zurückreicht wie bei Schwarzlose.

Die Düfte gibt es in Berlin beispielsweise bei Belle Rebelle, Bleibtreustraße 42, Charlottenburg, den Galeries Lafayette, Friedrichstraße 76-78, Mitte und im KaDeWe, Tauentzienstraße 21-24, Schöneberg oder im Internet unter: www.schwarzloseberlin.com

Michel Penke

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