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Päuschen im Grünen Paradies: Bernd Schumann in seinem Weißenseer Hofgarten.

© Kitty Kleist-Heinrich

Berliner Pflanzen - die Gartenserie (3): Einer für alle

Dieser Hofgarten in Weißensee hat wenig Platz, er wächst einfach nach oben. Ein Zusammenspiel aus Improvisation und aufgepäppeltem Grün. Das Leben kippt Bernd Schumann die Dinge quasi vor die Tür.

Zur Straße hin war es ein schlichter Gründerzeitbau, aber jetzt, im Hausflur, schwappt durch die Fenster der Hoftür gleich eine mächtige grüne Welle. Bernd Schumann kommt die Treppe herunter und bringt einen Krug Wasser. Selbst gemachter Holunderblütensirup zum Mixen steht schon auf dem Tisch im Hof. Der Weg dorthin ist etwa 20 Schritte weit, für die Gartenfreunde ungefähr eine halbe Stunde brauchen können.

Zuerst streift die Hand übers weiche Gefieder des Mammutbäumchens. Der Kopf nickt anerkennend über den schlau von der Hauswand via Tunnel zum Weg verlegten Wasserschlauch, die Nase ist zwischen Lavendel und Kletterrosen hin- und hergerissen, das Ohr hört die Amsel an ihrem Nest in der Hecke rascheln, der Blick bleibt an einem Hochbeet hängen, dessen Einfassung sich bei näherem Hinsehen als alte Tür erweist. Den Abschluss dieses Rahmens bilden Dachziegel. Schumann hebt einen an, blickt in den Hohlraum darunter und sagt: „Hildegard ist heute gar nicht da.“

Hildegard, die Kröte vom Hochbeet, mag auf Wanderschaft sein, aber auf Keksi und Jean-Paula ist Verlass. Schumann reicht den Kaninchen der Nachbarskinder etwas Pflücksalat, der neben ihrem Stall wächst. „Pflücksalat mögen Schnecken nicht“, sagt Schumann. „Kopfsalat wäre nach einem Tag weg.“ Keksi und Jean-Paula verabschieden sich durch ein Rohr Richtung Fahrradschuppen, in dem übrigens auch die Mülltonnen stehen, die aber nur sieht, wer will. Dasselbe gilt für die je drei Regentonnen und Komposthaufen. In diesem gerade 243 Quadratmeter kleinen Garten spielen die Pflanzen mit dem Besucher Ostern.

Zeit, sich an den Gartentisch zu setzen für eine Inventur, bevor einem schwindelig wird. Drei Sitzplätze, ein Pfirsichbaum, mehrere Staudenbeete, ein Quittenstrauch, eine Süßkirsche, ein Holunderbusch und zwei Apfelbäume, davon einer mit sieben Edelreisern – also sieben Sorten. Apfelbäume zu veredeln sei für Gärtner wie die Blinddarm-OP für Ärzte, sagt Schumann: „Macht der Pförtner.“ Was natürlich nur ein Oberarzt sagen darf. Oder eben Bernd Schumann.

Früher war der Garten eine Wüste

Der gerade 50 Jahre Gewordene war Obstgärtner, bevor er Sozialpädagogik studierte und als Betreuer für Behinderte anfing. „Ich wollte nie Lokführer oder Pilot werden“, sagt er und erzählt, wie er sich einst in der Winsstraße mit einer chronisch schattigen Baumscheibe geplagt hat. Bis er 2006 mit seinem Mann hierher nach Weißensee zog und wusste, dass die bei der Sanierung des Hauses übrig gebliebene Wüste mit den Resten eines Buddelkastens unter seinem Balkon ein Garten werden sollte. Sein Garten – und zugleich einer für alle: Es gibt nicht nur drei separate Sitzplätze für die Bewohner, sondern auch einen neuen Sandkasten und ein kleines Stück Rasen hinter der Erdgeschosswohnung.

Überall liebevolle Details. Hier die alten Blechgießkannen.
Überall liebevolle Details. Hier die alten Blechgießkannen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Aber weiter mit der Inventur. Im Gewächshaus gedeihen Tomaten neben vor kurzem noch mickrigen Gurkenpflanzen, die Schumann aus der Wegwerfecke eines Baumarktes gerettet hat. Auf einer Euro-Palette sprießt aus Wannen und Töpfen ein Gemüsegarten, daneben Küchenkräuter in Töpfen, alles rückenfreundlich erhöht. Dahinter hat eine Knöterichhecke den Zaun zum Nachbargrundstück fest im Griff. Mittendrin eine Aussparung für einen weiteren Sitzplatz und einen Rosenstock. Weil Rosen es gern trocken haben, hat Schumann in deren Rücken hüfthoch alte Ziegel gestapelt, die die Rose wärmen, sobald die Sonne rauskommt. Gehalten wird diese Wandheizung von einem Drahtgeflecht, wie es auf Baustellen oft weggeworfen wird.

Aus Platzmangel darf alles in die Höhe wachsen

Viele solcher Dinge habe ihm das Leben quasi vor die Tür gekippt, bevor er sie lange suchen musste. Schumann meint damit Bewehrungsdrähte, die dezent seine Stauden stützen und Vogelhäuser tragen, aber auch die als Einfassung hervorragend geeigneten Ziegel und die Granitpflastersteine, die bei Straßenarbeiten übrig geblieben waren. Dass dieses unverschämt grüne Paradies sich streng geometrisch um einen Mittelkreis gruppiert, sieht man erst von den Balkons aus. Der Wein, der an deren Seitenpfeilern rankt, hat drei Jahre nach seinem Start das Dachgeschoss erreicht. Schumann hat nicht nur guten Boden hier, sondern auch das Glück, dass die Häuser den Hof nur nach Westen und Norden umschließen, so dass es sonnig ist.

Die Weinrebe ist buchstäblich der Höhepunkt dieses Gartens, den Schumann aus Platzmangel vor allem in die Höhe wachsen lässt. Das befördert den Überraschungseffekt, weil der Besucher ihn nicht überblickt wie eine schnöde Wiese mit Blumen und Gemüse drauf, sondern von Gewächsen auf mehreren Etagen umgeben ist. „Im Winter wirkt der Garten viel kleiner“, sagt Schumann, dem es außerhalb der Vegetationsperiode selbst ähnlich geht. Jetzt blühen beide. Am Grunde des Holundersirups bleibt die Erkenntnis, dass nur ein Ausnahmetalent einen solchen Ausnahmegarten zu schaffen vermag.

Nächste Folge: Mittwoch, 18. Juni

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