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BERLINER PFLEGEHEIME STELLEN SICH DEM VERGLEICH: 1. Folge Spandau: Hilfreich

Wer in einem Pflegeheim lebt, ist ständig auf andere angewiesen Wer hier arbeitet braucht viel Geduld - ein Besuch bei der Caritas

Apfelsaft, bitte. Leise, mit zitternder Stimme macht Willi Röglin auf sich aufmerksam. Der 74-jährige Mann mit eingefallenen Wangen und weißen Haaren hat fast sein ganzes Leben in Neukölln gewohnt. Seit knapp zwei Jahren lebt Röglin mit seiner Frau nun in Alt-Hohenschönhausen. Sein neues Zuhause ist eine ehemalige Brauerei, die Caritas hat das denkmalgeschützte Gebäude in ein modernes Altenheim verwandelt.

Pfleger Henry Guschall überhört Röglins leise Bitte nicht, reicht ihm den Saft. Es ist morgens, kurz nach 7 Uhr, im Altenheim St. Albertus. Willi Röglin liegt in seinem Bett, das Kopfende wird elektrisch hochgefahren, den Apfelsaft trinkt er durch einen Strohhalm. Der dünne Mann leidet an den Folgen einer Kinderlähmung und muss den ganzen Tag im Bett bleiben. Guschall greift zu Lappen und Handtuch und wäscht Röglin das Gesicht.

„Soll ich Sie gleich rasieren?“, fragt Guschall. Seit fünf Jahren arbeitet er hier, dem jungenhaften Gesicht sieht man seine 43 Jahre nicht an, dort hat der harte Job noch keine Spuren hinterlassen.

Ja, Guschall soll rasieren, und zwar gründlich. Röglin war früher Maschinenbauer. Er mag es präzise. Die Gardinen in seinem Zimmer etwa müssen ganz gerade herunter hängen, die Tischdecke muss in der Mitte des Tisches liegen.

Frühstück, ein Schluck Milch? Kurz vor 8 Uhr knabbert Willi Röglin ein wenig an einem Knäckebrot. Seine Ehefrau Waltraud ist zu dieser Zeit schon im Speisesaal. Sie ist mit ihrem Mann zusammen bei der Caritas eingezogen. Für die 73-Jährige ist der Weg ins Erdgeschoss aber kein Problem, auch ohne den großen Fahrstuhl würde sie sich das gemeinsame Essen mit den anderen Bewohnern nicht nehmen lassen. „Ich will in Bewegung bleiben“, sagt sie später.

Die Röglins wohnen in einem hellen Raum im dritten Stock des Klinkerbaus. Die zahlreichen Bilder in ihrem Doppelzimmer, das 24 Quadratmeter misst, zeigen Kreuze, Jesus und imposante Kirchen. „Wir wollten in ein religiöses Haus“, sagt Willi Röglin. Seine Frau und er sind Mormonen, Anhänger einer frommen Kirche aus den USA. Die beiden fühlen sich aber auch bei der katholischen Caritas wohl.

„Zu Hause war es natürlich schöner“, sagt Röglin, „hier geben sich aber alle sehr viel Mühe.“ Ihre Enkelin hat das Heim ausgesucht, die junge Frau hat hier nach der Schule ein freiwilliges soziales Jahr gemacht. Das Haus hat ihr gefallen, die Zimmer sind sauber, der Garten gepflegt, die Sitzecken auf den Fluren gemütlich: Hier sitzen Bewohner gerne mit ihren Kinder zusammen. Sie erzählen, sie lachen und sie weinen.

Genau 32 Menschen sind vergangenes Jahr im St. Albertus-Seniorenheim gestorben, knapp 100 Bewohner leben hier. Beim Tod eines Nachbarn trauert oft das ganze Heim. Bei den Gedenkgottesdiensten in der hauseigenen Kapelle ist dann zuweilen kein Platz mehr frei, nicht nur gläubige Bewohner drängeln sich vor dem Gebetsraum.

Ein Altenheim sei nun einmal Endstation, sagt Willi Röglin. Seine Frau käme mit dem Gedanken aber noch nicht ganz so klar. Niemand zieht gerne in ein Pflegeheim, man gibt Selbstständigkeit auf, der Alltag wird unpersönlicher. Viele Bewohner wollen anfangs nicht wahrhaben, dass sie es nicht mehr allein schaffen, dass sie nur noch in einem Heim gut aufgehoben sind.

Ab Nachmittag wird Willi Röglin noch mal gewaschen. Guschall hebt ihn an, dreht ihn, setzt in ab und hebt in wieder an. Röglin will keine Last sein, am liebsten würde er auf die Hilfe verzichten.

Geduld, für die Bewohner brauche man vor allem viel Geduld, sagt Henry Guschall. Er hat die nötige Ruhe. Der Altenpfleger singt bei der Arbeit und bleibt während der Acht-Stunden-Schicht gelassen. „Ich bin mit meiner Großmutter aufgewachsen, das prägt.“

Doch nicht nur beim Füttern und Waschen braucht man Geduld. Auch der Umgang mit Verwandten erfordert Verständnis und Gelassenheit. Zwar haben viele Angehörige Schuldgefühle, wenn sie ihre Verwandten in ein Heim schicken. Dennoch bekommen viele Bewohner oft monatelang, manchmal sogar für Jahre keinen Besuch. Und wenn, dann oft mit wenig Zeit, eher Pflicht denn Bedürfnis. „Zwischen Einkauf und Zahnarzttermin wird kurz bei der eigenen Mutter vorbeigeschaut“, klagt Ulrich Moser, Pflegedienstleiter des Altenheims.

Dabei werden die Ansprüche an ein Heim höher. Eine Frau habe kürzlich darauf bestanden, dass ihr Ehemann nur vegetarisch ernährt werden dürfe, sagt Moser; dabei habe der Bewohner nach eigener Auskunft gerne Fleisch gegessen. „Kein Stück Wurst“, sagte die Frau, die selbst nur Pflanzliches verzehrte. Oft akzeptierten Angehörige die Vorschläge der Pfleger selbst dann nicht, wenn aus medizinischer Sicht alles dafür spräche.

Für Monika Dollas existieren alle diese Probleme nicht. Sie bewegt sich viel, isst was ihr gefällt und bekommt regelmäßig Besuch. Ihr Zwei-Bett-Zimmer in der zweiten Etage verlässt die kleine Frau oft stundenlang. Das bunte Kleid und die winzigen Locken passen zu ihrer quirligen Art.

Manchmal fällt es ihr schwer, sich damit abzufinden, nun hier zu sein. Hier, wo das Essen zwar gut ist und die Pfleger nett sind. Aber wo man eben doch nicht richtig zu Hause ist. Trotz ihrer 86 Jahre fühlt sie sich noch nicht alt genug für ein Heim. Gegenüber ihrer Mitbewohnerin, die ihr zu wehleidig ist, schlägt Dollas auch mal strengere Töne an. „Die jammert mir zu viel, aber ein Einzelzimmer ist zu teuer.“

Montags nimmt Dollas am hauseigenen Malkurs teil, dienstags und donnerstags steht Gymnastik auf dem Plan, freitags geht es zur Messe im Erdgeschoss. Wöchentlich kommt einer ihrer beiden Söhne zu Besuch, für einen strickt sie gerade einen Schal.

Das Strickzeug legt sie gegen 12 Uhr zur Seite, zieht die Hausschuhe an und geht nach unten. Zum Mittagessen will sie rechtzeitig unten im Speisesaal sein, danach geht es schnell in den Garten, wer weiß wie lange die Sonne noch scheint.

Im Speisesaal bleibt nach dem Essen ein Mann sitzen: Detlef Markmann, 58 Jahre alt, wohnt nicht im Seniorenheim, sondern in der Nachbarschaft. Er hilft ehrenamtlich. Eigentlich ist er im Moment wieder als arbeitssuchend registriert, eine unbefristete Stelle ist schwierig zu finden. Die Bewohner schätzen ihn, weil er zuhören kann.

Detlef Markmann will helfen, weil er selber mal Hilfe brauchen könnte. „Hier werden alte Menschen nicht versteckt“, sagt er. Die Gesellschaft werde immer älter - und rücksichtsloser. Er sagt das ohne Zorn, eher enttäuscht.

Gegen 16 Uhr schaut Willi Röglin fern, ein Film über die Tierwelt Nordamerikas. Zum Abschied bittet er leise, den Stuhl wieder an den Tisch zu schieben. Wolle man es schön haben, müsse schließlich Ordnung herrschen. „Wie zu Hause“, sagt er leise.

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