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Trommeln gehört zum Handwerk. Beim Deutsch-Französischen Volksfest 1980 traten auch diese Majorettes aus Saint-Etienne auf.

©  Heinrich von der Becke

Berliner Rummel: Rendezvous im „Moulin Rouge“

Am Freitag startet auf dem Festgelände am Kurt-Schumacher-Damm das 50. Deutsch-Französische Volksfest. Mit der 1963 begründeten Tradition knüpften die Franzosen in Berlin an den Erfolg des Deutsch-Amerikanischen Volksfests an

Für die Fußballer ging die WM 1970 ganz passabel aus: Die bundesdeutsche Mannschaft wurde Dritter und Gerd Müller Torschützenkönig. Den Schaustellern des Deutsch-Französischen Volksfests in West-Berlin war die Freude am Fußball dennoch vergällt, verhagelte ihnen doch die Begeisterung ihres Stammpublikums für den transatlantischen Ballwechsel die Bilanz: Im Jahr zuvor waren es in den ersten zehn Tagen 180 000 Gäste gewesen – nun kamen 20 000 weniger.

Diesmal ist es die EM, die mit dem Franzosenrummel konkurriert, dennoch ist der Schaustellerverband optimistisch. Es gibt zwar keine große Leinwand, aber doch ein paar Fernseher auf dem Zentralen Festplatz in Wedding. Wäre ja noch schöner, wenn das traditionsreiche, zum 50. Mal gefeierte Volksvergnügen gerade im Jubiläumsjahr Einbrüche in den Besucherzahlen beklagen müsste.

Zumal das Fest noch einmal aufgefrischt wurde: Die blumengeschmückte Kulissenstadt im französischen Stil, identitätsstiftendes Herzstück des Vergnügens, wurde erneuert, mit frischgedruckten, fotorealistischen Verkleidungen für die meist den leiblichen Genüssen gewidmeten Stände. Ein paar Brünnlein, eine Schmiede nebst Schmied, ein Boule-Platz und als Mittelpunkt eine Art „Moulin Rouge“-Windrad, imposante 14 Meter hoch, gehören dazu, die frankophile Ergänzung zum deutschen Rummel mit seinen 150 Schaustellern, darunter diesmal gleich zwei Achterbahnen und drei Auto-Scooter.

Ein wenig haben die Berliner das Deutsch-Französische Volksfest auch den Amerikaner zu verdanken. Die hatten 1961 erstmals auf der Truman Plaza zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest geladen. Seine Landsleute seien „schon ein wenig neidisch“ gewesen, dass sich die Berliner immer wieder bei den Amis wie Bolle amüsierten, bekannte bei der Vorstellung des ersten Franzosenfests der Leiter des Berliner Centre Culturel Français, Monsieur Corcelle. Das an der Clayallee erprobte Konzept wurde daher kurzerhand französisiert und an den Kurt-Schumacher-Damm übertragen. Auf einem Übungsgelände, wo sonst französische Panzer den Boden aufwühlten, drehten sich nun die Karussells und die Mitglieder der aus dem Baskenland und Lyon angereisten Volkstanzgruppen, wurden französische Spezialitäten in flüssiger, halbfester und fester Form serviert.

Vermutlich waren schon zur Premiere Schnecken und Froschschenkel dabei, Leckereien, die aber gegenüber der üblichen Volksfestkost einen schweren Stand hatten: Die etwa 300 000 Besucher im WM-Jahr 1974 verzehrten zwar über 100 000 Bock- und Bratwürste, aber nur 60 000 Schnecken und 30 000 Froschschenkel.

Die den Amis abgeguckte Kulissenstadt blieb auch in den folgenden Jahrzehnten prägend, damit empfahl sich Frankreich zugleich als Reiseziel. Mal ging es zum Montmartre, mal in die Camargue, in die Bretagne in ein gewisses „kleines gallisches Dorf“ oder sogar in die französische Karibik, jeweils mit viel Folklore und sogar wiederholt mit „Kampfkühen“ aus Südfrankreich, wie der Tagesspiegel schrieb. Auch nervenstarke Amateure durften sich an dem unblutigen Spiel mit den temperamentvollen Tieren versuchen. Denen war das gelegentlich zu langweilig: Beim Fest 1972 jedenfalls brachen sechs Tiere aus ihrer Koppel auf dem Festgelände aus und verschwanden im Forst Jungfernheide. Erst tags darauf konnten sie auf der Baustelle des Flughafens Tegel wieder eingefangen werden.

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